Forschung & Lehre 9/2019

M an könnte versucht sein, die epochemachende For- mel von „Forschung und Lehre“ additiv zu verstehen, so, als könne es an Universitäten auch For- schung ohne Lehre geben und Lehre ohne Forschung. Beides gibt es zwar, aber nicht als Wissenschaft – und daher sollte es die Trennung auch nicht an der Universität geben. Will man das eine fördern, muss man auch das andere fordern, denn beides hängt kau- sal zusammen. Forschung und Lehre Jede Forschung ist auf Lehre angewiesen – sonst wüsste man nicht von ihr. Jeder noch so hochspezialisierte Fachaufsatz ist immer auch zugleich eine Form von Lehre und muss daher die grundlegen- den didaktischen Kategorien von Adres- satenorientierung, Darstellungsziel, In- haltsauswahl, Darstellungsmethode und Mediengemäßheit beachten. Zugleich setzt jede wissenschaftliche Lehre eige- nes Forschen voraus, sonst wäre sie Lehre vom Hörensagen. An der authen- tischen Universität sind Forscher als Dozierende tätig und alle Dozenten ha- ben Anteil an Forschungsprozessen. Die Gründungsväter der modernen Univer- sitäten versprachen sich von dieser Konzeption, dass jede Forschung sich verbessert, wenn sie sich der zuständigen Öffentlichkeit als „Prüfstein“ (Kant) aussetzen muss. Und dass sich jede Lehre verbessert, wenn sie ihre Autorität nicht aus der sozialen Rolle des Lehren- den zieht, sondern aus der Sache selbst: „Überhaupt lässt sich die Wissenschaft als Wissenschaft nicht wahrhaft vortra- gen, ohne sie jedesmal wieder selbsttätig aufzufassen, und es wäre unbegreiflich, wenn man nicht hier, sogar oft, auf Ent- deckungen stoßen sollte“, schreibt Wil- helm von Humboldt in seinem Aufsatz „Über die innere und äußere Organisa- tion der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“ (1810). Jeder, der akademisch lehrt, wird diese Erfahrung bestätigen. Gute Lehre ist wissenschaft- lich anregend. Und wer forscht, möchte sich mitteilen. Denn wissenschaftliche Lehre bedeutet die reflektierende Darle- gung der Forschungsmethode als Gene- rierung von Erkenntnissen. An der Uni- versität sind Forschung und Lehre zwei Seiten derselben Sache, nämlich der Sa- che der Wahrheit. Historischer Vergleich Im historischen Vergleich wird diese re- volutionäre Eigenheit moderner univer- sitärer Lehre besonders deutlich. Vor- | V O L K E R L A D E N T H I N | In der Forderung nach guter Lehre an Universitäten sind sich alle die einig, die das Humboldtsche Bildungsideal auch in der Moderne als Maßstab betrachten. Doch was ist gute Lehre und was bedeutet Lernen in der heutigen Zeit? A U T O R Volker Ladenthin war Professor für Histori- sche und Systemati- sche Erziehungswis- senschaften an der Universität Bonn. Foto: © Claudia Friedrich Wissenschaft als Methode Die Universität muss lehren, was noch keiner kennt L E H R E 803

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