Forschung & Lehre 9/2019

810 L E H R E Forschung & Lehre 9|19 Aufwand und Ertrag Mentoring für Studierende F&L: Wann und wie ist die Idee des Mentorings an der Universität Duis- burg-Essen entstanden? Christian Mayer: Die Idee entstand vor ungefähr zehn Jahren. Da haben wir Professorinnen und Professoren ge- meinsam überlegt, wie wir den hohen Abbruchquoten begegnen können. Da- bei kam die Idee der Beratung auf. Die Hoffnung war, durch informelle Treffen in Kleingruppen an die abbruchgefähr- deten und gescheiterten Studierenden heranzukommen und gemeinsam an den Problemen zu arbeiten. Aber es hat im ersten Ansatz leider nicht so gut funktioniert. In den meisten Fällen bleiben diese Studierenden einfach weg und wir haben dann keine Möglichkeit mehr einzugreifen. Vor zwei Jahren haben wir dann das Konzept geändert. Die Betreuung der einzelnen Gruppen übernehmen nun hauptsächlich Studierende. Bei der Beratung durch Professorinnen und Professoren stehen jetzt andere Ziel- gruppen im Fokus. Wir gehen ganz ge- zielt auf diejenigen Studierenden zu, von denen wir wissen, dass sie massive Probleme haben – z.B. wenn sie bei Prüfungen mehrfach durchgefallen sind oder die Studienzeiten aus dem Ruder laufen. Wir sprechen sie an und laden sie zu Einzeltreffen ein. Häufig kämpfen Studierende auch mit finanziellen Pro- blemen, müssen nebenher arbeiten und können nur sporadisch einzelne Prü- fungsleistungen erbringen. Wieder an- dere haben aus persönlichen Gründen die Kontrolle über ihr Studium verloren. An diesen Punkten versuchen wir zu helfen. Wir haben also jetzt eine neue Variante entwickelt, bei der wir uns auf die Problem-Studierenden konzentrie- ren und damit auf die, die sich noch im Universitätssystem befinden. F&L: Sie sind Mentor im Fachbereich Chemie. Worum geht es in den Gesprä- chen mit den Studierenden? Christian Mayer: Unsere Erfahrung zeigt, dass die meisten Probleme von Studie- renden fachlicher Art sind, und jeder Fachbereich hat seine eigenen Problem- stellungen. In der Chemie ist es das Praktikum. Man absolviert viele Praktika, die Laborarbeit beinhalten. Früher wurde im Chemie-Unterricht in den Schulen häufiger eine praktische Übung gemacht. Das hat inzwischen deutlich abgenom- men. Die Studierenden machen ihre ers- ten praktischen Erfahrungen also an der Universität, und das führt häufig zu ei- nem Aha-Erlebnis. Sie realisieren dann, dass die Arbeit mit einer gewissen kör- perlichen Anstrengung verbunden ist und negative Randbedingungen wie Ge- rüche und gewisse Gefahrenmomente beinhaltet. Diese neuen Erfahrungen schüchtern am Anfang etwas ein und führen manchmal sogar zu einer Aversi- on gegen die praktische Laborarbeit. Hier muss man als Lehrender aktiv wer- den und deutlich machen, dass man sich a) daran gewöhnt und dass b) gewisse Dinge typisch sind für die ersten Praktika und sich später etwas entspan- nen. Darüber hinaus hat die Chemie ein sehr breites Spektrum von Unterfä- chern, von der Mathematik bis hin zur biologischen, pharmazeutischen und medizinischen Chemie. Das kann den einzelnen ebenfalls heraus- und über- fordern. Viele unterschätzen z.B. den mathematischen Anspruch im Studium. Hier müssen wir Lösungen anbieten, um mögliche Defizite in der mathema- tischen Vorbildung auszugleichen. F&L: Wäre es nicht sinnvoll, dass die Schüler im Chemie-Unterricht bereits Erfahrung mit Laborarbeit sammeln? Dann kämen Studierende zumindest in dem Punkt nicht unvorbereitet ins Stu- dium und die Abbrecherquote wäre möglicherweise nicht so hoch. Christian Mayer: Ich habe viel Ver- ständnis für Chemie-Lehrer, die ange- sichts der praktischen Probleme (Stich- wort Sicherheit) davor zurückschrecken, praktischen Chemie-Unterricht mit Schülern durchzuführen. Das ist in den letzten Jahren immer schwieriger bzw. | I M G E S P R Ä C H | Immer differenziertere Studienangebote, falsche Erwartungen und Vorstellungen sowie hohe Abbrecherquoten fordern Lehrende und Lernende in den Universitäten gleichermaßen heraus. Können Mentoring-Angebote dabei helfen, ein Scheitern im Studium zu verhindern? Fragen an einen Mentor zu Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung. Christian Mayer ist Professor für Physi- kalische Chemie und Mentor für Chemie- Studierende an der Universität Duisburg- Essen.

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