Forschung & Lehre 9/2019

816 L E H R E Forschung & Lehre 9|19 3 x 25 + 3 x 5 Zur zeitlichen Strukturierung von Lehrveranstaltungen H eftig diskutiert wird, wie Leh- rende mit diesen Situationen umgehen sollen. Hier reicht das Argumentationsspektrum von durchweg liberalen Grundsatzeinstel- lungen bis zu einem Verbot von Mobil- telefonen, beispielsweise in Form einer Electronic Etiquette Policy . Lehrende verweisen allerdings häu- fig auf Situationen, in denen der Einsatz eines Mobiltelefons durchaus didaktisch sinnvoll ist. Diverse Anwen- dungen ermöglichen es, innerhalb kür- zester Zeit eine solide Rückmeldung der Studierenden zu erhalten. Diese Audience Response -Anwendungen füh- ren automatisch zu einer Mobiltelefon- nutzung, da offensichtlich der (durch den Lehrenden stimulierte) Nutzen we- sentlich größer ist als die Kosten. Da Letztere vor allem durch Flatrates mo- netär abgedeckt werden, sind sie als Sunk Costs ohnehin nicht entschei- dungsrelevant. Neben diesen „internen“ Kosten spielen allerdings auch „externe“ Kosten eine Rolle. Diese müssen als Erwar- tungswert – und damit als Produkt aus (wahrgenommener) Entdeckungswahr- scheinlichkeit und (wahrgenommener) Sanktion – betrachtet werden. Lehren- de, die eine liberale Laissez-faire-Ein- stellung vertreten, setzen (bewusst oder unbewusst) diese externen Kosten auf Null. Die Mobiltelefonnutzung ist damit in den hinteren Reihen des Audimax nur folgerichtig, ebenso das Phänomen der geringen Nutzungsintensität in klei- nen Seminargruppen. Offen bleibt je- doch, wie Lehrende mit dem Einsatz von Mobiltelefonen in Großveranstal- tungen umgehen sollen. Pomodoro-Methode Hierzu lohnt ein Blick auf etablierte und bisweilen sehr gut erforschte Me- thoden des Zeitmanagements wie z.B. die Pomodoro®-Technik. Sie basiert auf der Unterteilung großer Zeiteinhei- ten in kleinere Blöcke, in denen dann ein konzentriertes Arbeiten möglich ist. Zwischen den Blöcken gibt es kleine Erholungspausen sowie regelmäßige größere Pausen. Angewendet auf Lehr- veranstaltungen mit 90 Minuten Ge- samtdauer bedeutet das: Nach jeweils 25 Minuten Lehrveranstaltung folgen fünfminütige Kurzpausen. Dies wird dreifach wiederholt, so dass der Ge- samtumfang gut ausgeschöpft wird. In den dreimal 25 Minuten wird ge- nauso viel (häufig sogar spürbar mehr) Inhalt behandelt wie sonst in 90 Minu- ten en bloc. Die Kurzpausen dienen dem „Durchatmen“, zum schnellen Blick auf neue Benachrichtigungen (also dem bewussten Benutzen des Mo- biltelefons) und sonstigen kurzen Aus- gleichshandlungen. Auch Verständnis- fragen an die Lehrenden sind durchaus willkommen. Diese zeitliche Strukturierung hat weitreichende Konsequenzen – für die Lehrenden und deren Lehrveranstal- tungsvorbereitung sowie für die Studie- renden und deren Mobiltelefonbenut- zung. Auf Studierendenseite wird zu- nächst die Nutzenwahrnehmung ver- schoben. Es ist vergleichsweise einfach, 25 Minuten inhaltlich konzentriert und ohne multimediale Ablenkung zu arbei- ten. Insbesondere durch die bewusste Zulassung der Mobiltelefonbenutzung in den Kurzpausen wird dem latenten Gefühl des Verpassens von Benachrich- tigungen adäquat begegnet. Insofern unterscheidet sich dieser Ansatz deut- lich von der generellen Ablehnung des Mehrwerts von Mobiltelefonen oder dem Verweis auf den (im Zweifel 89 Minuten entfernten) Lehrveranstal- tungswechsel. Darüber hinaus entsteht in der Regel ein sozialer Druck, der so- wohl die Entdeckungswahrscheinlich- keit (durch den Sitznachbarn und an- dere Kommilitonen) als auch die Sank- tion (beispielsweise durch Belächeln und verbale Kommentierung) erhöht. Auf der Seite der Lehrenden stellt sich damit die Frage, unter welchen Umständen der real vorhandene Auf- wand der Lehrveranstaltungsumstellung auf dreimal 25 Minuten (dies entspricht hier der Kostendimension) größer ist als der versprochene Nutzen. Anders formuliert: Der wahrgenommene Lei- densdruck der derzeitigen Lehrveran- staltungskonzeption entscheidet über didaktische Umstellungen. Eine ausführlichere Fassung mit Literaturanga- ben kann bei der Redaktion angefragt werden. | R O N N Y B A I E R L | Mobiltelefone bieten Studierenden in den Lehrveranstaltungen reichlichAblenkungsmöglichkeiten. Die Konsequenzen des Abdriftens in digitale Welten sind hinreichend bekannt: Fehlende mentale Präsenz weist nahezu die gleiche Effektstärke wie fehlende physische Präsenz auf. EinVorschlag jenseits von Laissez-faire undVerbot. A U T O R Prof. Dr. Ronny Baierl ist Professor für Schlüsselqualifikatio- nen sowie Instituts- direktor des Zentrums für fachübergreifende Bildung an der Hoch- schule fürTechnik und Wirtschaft Dresden.

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