Forschung & Lehre 9/2019

826 S P R A C H E Forschung & Lehre 9|19 Die Sprache der Wissenschaften Ein kurzer historischer Spaziergang in Gegenwart und Zukunft von Forschung und Lehre D ie Sprache ist ein zentrales Interaktionsmittel. Sie struk- turiert das Denken und muss sich verändern, wenn zu den Sprechen- den neue Zuhörerinnen und Zuhörer hinzukommen – oder wenn neue Zu- hörerinnen und Zuhörer erreicht wer- den sollen. Nicht nur Einzelpersonen haben ihre Sprache, sondern auch Wirtschaftsunternehmen, freigemeinnüt- zige Organisationen, öffentliche Ein- richtungen und Religions- gemeinschaften – und nicht zuletzt die Wissen- schaften. Es ist Zeit, sich wieder einmal ins Ge- dächtnis zu rufen, welche Sprachkompetenzen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- lern verlangt werden – und das nicht erst heute, sondern schon seit der Gründung der ersten Universitäten in Europa. Die klassischen Sprachen Die bekannteste – und zumeist als die zentralste Sprache der Wissenschaften angesehene – Sprache ist sicherlich die Fachsprache. Die Fachsprache ist die theoriebezogene Sprache der jeweiligen Fachdisziplin – wie z.B. die Sprache der Philosophie. Mit ihrer Entstehung endete – zunächst in Klöstern und an Bischofssitzen, in Burgen und an Kö- nigshöfen – die Zeit der Vorherrschaft der Religion und des Hochadels über das Denken. Es sollte nun um Wissen statt nur um Glauben gehen – so das Versprechen dieser neuen Sprache. Zu- nächst wurde die Sprache ausgeprägt im Niederschreiben des zu der jeweili- gen Zeit bekannten Wissens (Summa) und im wissensgenerierenden Briefver- kehr zwischen einzelnen Denkern. War am Beginn der Entwicklung dieser Sprache das Ziel zunächst noch eine Stabilisierung des Priestertums und der Adelsherrschaften, stand an ihrem Ende ein immer mehr Autonomie erlangender gesellschaftlicher Handlungsbereich – die Wissenschaften und das ihnen eige- ne Forschen und Denken. Der Weg zu etwas Eigenem hatte begonnen – durch eine eigene Sprache. Diese Sprache, wollte sie einen Fortbestand haben, musste tradiert wer- den. Die Sprache der Lehre entwickelte sich mit der Entstehung der Wissen- schaften in der Neuzeit. Sie diente der Wissensweitergabe in den Klöstern, an den Bischofssitzen und Adelshöfen, vor allem aber an den neugegründeten Uni- versitäten. Der entstandene Abstand zu den anderen Ständen wurde ergänzt um eine neue Nähe: die Annahme und Aufnahme von einzelnen Schülern und Gruppen von Studierenden. Die akade- mische Lehre begann sich zu entwickeln und Autorität zu erlangen; und mit ihr und ihrer Diskursivität auch der Über- gang von der Wissenssicherung und -erweiterung durch Interaktion zwi- schen Gelehrten zur Wissensgenerie- rung in der Auseinandersetzung zwi- schen Lehrenden und ihren Studieren- den. War die Lehrsprache zunächst noch das aus der kirchlichen Überliefe- rung stammende Latein, wurde dieses durch neue säkulare wissenschaftliche Begriffe immer mehr er- weitert und spätestens ab der Reformation ergänzt um Wissenssammlungen und Lehrbücher in den einzelnen europäischen Sprachen. Die eigenstän- dige akademische Wissensweitergabe – also die Sprache der Lehre – sicherte den Weg der Wissenschaften in die Ei- genständigkeit. Die neueren Sprachen Mit dem Übergang zum Welthandel wurde eine Sprache gesucht, mit der sich verschiedene Partner untereinander verständigen konnten. Waren neben dem Latein zunächst Venezianisch, Spanisch und Portugiesisch sowie Fran- zösisch die Weltsprachen, wurde Eng- lisch zunehmend zur weltweiten Ver- ständigungssprache. Weltbeherrschung statt Wissenssammlung, -generierung und -weitergabe rückte in den Fokus – auch in den Wissenschaften. Die Welt- beherrschungsidee führte nicht nur zur Zunahme der Bedeutung von Medizin und Physik (zur Beherrschung der Na- tur), sondern auch der Nautik sowie zu | P E T E R - G E O R G A L B R E C H T | Mit dem Beginn der Schriftlichkeit und demWandel der akademischen Lehre hin zu einer wachsen- den Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden veränderte sich auch die Bedeutung der Sprachen. Welche Rolle nimmt Sprache in den Wissenschaften heute imVergleich zu gestern ein? »Die eigenständige akademische Wissens- weitergabe sicherte den Weg in die Wissen- schaften.« A U T O R Dr. Peter-Georg Al- brecht ist Politik- wissenschaftler an der Hochschule Mag- deburg-Stendal. Er arbeitet zu organisa- tionssoziologischen Fragen öffentlicher Institutionen.

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