Forschung & Lehre 9/2019

9|19 Forschung & Lehre F O R S C H U N G 829 Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre.de Vera Müller VerzerrteWahrnehmung W enn Menschen ihre soziale und gesell- schaftliche Umgebung ein- schätzen, liegt dieser Ein- schätzung selten eine reprä- sentative Wahrnehmung zu- grunde. Vielmehr üben die persönlichen Netzwerke den Haupteinfluss auf die jeweili- ge Einschätzung aus, und sie verstellen den Blick auf die tatsächliche Verteilung von gesellschaftlichen Ansichten und gesellschaftlichem Ver- halten. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler vom GESIS – Leibniz-Insti- tut für Sozialwissenschaften. Je nachdem, wie groß die Mehrheiten und Minderhei- ten in einer Gruppe verteilt sind und wie stark der Ein- zelne mit anderen ähnlichen oder unähnlichen Netzwer- ken verbunden ist, umso stärker sind die unterschied- lichen Wahrnehmungsverzer- rungen, heißt es in einer Mit- teilung des Instituts. Diese träten am stärksten auf, wenn Mehrheits- oder Minderheits- gruppen unverhältnismäßig groß sind. Auch Mitglieder, die eng mit nur einer Gruppe verbunden sind und wenig Kontakt zu den anderen Gruppen haben, neigen dem- nach verstärkt zu falschen Einschätzungen. Dabei über- schätze der Einzelne seine eigene Gruppe und unter- schätze die andere. Z.B. Rau- chende, deren soziale Umge- bung hauptsächlich aus Rau- chenden bestehe, bewerteten den Anteil an Rauchenden in der Bevölkerung höher als er tatsächlich sei. Eine andere Wahrnehmungsverzerrung entsteht den Forschern zu- folge, wenn die beiden Grup- pen innerhalb des Netzwerks gleichmäßiger verteilt sind. Hier bestehe die Tendenz, dass die Mehrheitsgruppe das Vorhandensein einer Min- derheitsgruppe höher als in der Realität einschätzt. Setze sich z.B. ein persönliches Netzwerk aus 40 Prozent Rauchenden und 60 Prozent Nichtrauchenden zusammen, überschätzten die Nichtrau- chenden den Anteil der Rau- chenden in der Bevölkerung, weil sie ihre Einschätzung aufgrund der Verteilung in ihrem Netzwerk treffen. Eun Lee et al., DOI: 10.1038/ s41562-019-0677-4 Pflanzaktion V ier Milliarden Bäume sollen nach Regie- rungsplänen bis Oktober in Äthiopien gepflanzt werden. Das Land hat große Umwelt- probleme wie Bodenerosion, Abholzung, Wüstenbildung, Überschwemmungen sowie Wasser- und Luftverschmut- zung. Mit der seit Mai laufen- den Pflanzinitiative will die Regierung „Klimaschocks“ begegnen. Die Bevölkerung von derzeit rund 105 Millio- nen Menschen wächst rasend schnell. Trotz sehr hohem Wirtschaftswachstum gehört Äthiopien nach Angaben der UN noch immer zu den we- niger entwickelten Ländern der Welt. Somit sei es anfälli- ger für Klimaveränderungen. dpa Schaum für dieWunde D amit Wunden schneller heilen und starke Vernarbungen verhindert werden können, haben Wissenschaftler der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) einen Schaumstoff entwickelt, der in Hautwunden platziert wird und den natürlichen Heilungsprozess optimieren soll. Wie das Institut berichtet, greifen die Forscher mithilfe eines bereits für die medizinische Anwendung zugelassenen biologischen Polymergerüsts gleich an mehreren Stellen un- terstützend in den Vorgang ein. Demnach wird in einem Hochdruckreaktor das Polymer mittels superkritischem Koh- lendioxid (CO 2 ) aufgeschäumt, wobei die Porengröße mit Hilfe von Druck und Temperatur fein gesteuert werden kann. Einmal in eine Verletzung platziert, soll das Polymergerüst mit seiner Arbeit beginnen: Einwandernden Zellen bietet es mit seiner offenporigen Architektur ein geeignetes Gerüst, um sich anzusiedeln. Da der Schaumstoff bioabbaubar sei, gestal- teten die Zellen die angebotene Polymerstruktur nach ihren Bedürfnissen um und bildeten ein neues, funktionstüchtiges Gewebe aus. Damit es dabei jedoch nicht zu unerwünschter Narbenbildung komme, sei das Polymergerüst mit der bioak- tiven Substanz Curcumin ausgerüstet, die die Narbenbildung hemmen soll. Curcumin ist wegen seiner entzündungshem- menden Eigenschaften bekannt. Mithilfe des Curcumins ließ sich den Forschern zufolge die Produktion von Biomarkern, die typischerweise in Narben vorkommen, deutlich verringern. Markus Rottmar et. al. Der Schaumstoff kann in eine Hautwunde platziert werden und den natürlichen Heilungsprozess optimieren (rechts). Im Gerüst des Polymer- schaums finden Zellen Halt, um neues Hautgewebe aufzubauen (links). Fotos: Empa

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