Forschung & Lehre 9/2019
840 T E X T, B I L D , T O N Forschung & Lehre 9|19 Wenn der Schuss nur leise „bupp“ macht Im Schallraum der Universität Rostock Es ist ein eigenartiges Gefühl im Schallraum der Uni Rostock: Es ist nichts zu hören, wirklich nichts. In diesem Raum wird erforscht, wie Windräder und Schiffspropeller leiser gemacht werden können. Lärm ist ein zunehmendes Problem. Lärmfreie Orte sind kaum noch zu finden, außer etwa in speziell ab- geschirmten Räumen. Einer diese Räume, ein Schallmessraum, steht in der Universität Rostock beim Lehrstuhl für Strömungsmaschinen. Professor Hendrik Wurm ist der Überzeugung, dass der Raum mit seiner Qualität europaweit einmalig ist. Denn dort seien auch Messungen von Luft- und Wasser- schall möglich. „Deswegen sind wir gut ausgelastet.“ Die Hersteller von Schiffsschrauben und Windrä- dern wollen ihre Produkte austesten. Hintergrund ist die hohe akustische Belastung, unter der Tiere wie Wale oder Delfine im Wasser, aber auch Men- schen an Land immer mehr leiden. Der Raum ist eine der Attraktionen der 45. Jahresta- gung der Deutschen Gesellschaft für Akustik, zu der sich im März rund 1 300 Wissenschaftler in der Hansestadt versammelten. 1,2 Millionen Euro sind in den etwa 70 Kubikmeter großen Raum investiert worden, dessen Wände über und über mit Keilen ausgestattet sind. Diese wiederum sind mit einem schallabsorbierenden Stoff überzogen. „Die Schall- welle läuft in die Zwischenräume hinein und kommt nicht mehr heraus“, sagt Wurm. Es gebe Leute, die es bei geschlossener Tür in die- sem Raum nicht aushalten. Sie litten unter einer Art Seekrankheit. „Wir sind ja gewöhnt, dass Schall von allen Seiten immer zurückkommt. Über das Gleich- gewichtsorgan orientieren wir uns im Raum“, sagt der Experte. Er habe schon einmal zu Demonstrati- onszwecken einen Schuss aus einer Schreckschuss- pistole abgefeuert: „Es gab ein leises ,Bupp‘.“ Die Forschungen zur Lautstärke von Propellern sei- en bislang kein großes Thema gewesen, sagt der Elektrotechniker Sascha Spors, der sich an der Uni Rostock um Signaltheorie und digitale Signalverar- beitung kümmert. „Bis jetzt gibt es nicht allzu viel Messtechnik.“ Doch alles, was mit Strömungen und Turbulenzen zu tun hat, sei ein herausforderndes wissenschaftlichen Thema. „Da ist Chaos drin, die Wirbel lassen sich nicht vorhersagen.“ Dass es möglich ist, nahezu geräuschfrei einen Pro- peller zu bewegen, zeigt die Marine. „Das gibt es in U-Booten“, berichtet Wurm. Eine Übertragung der Technik sei wegen der enormen Kosten für den Massenmarkt im Schiffbau nicht möglich. „Wir müs- sen Lösungen finden, dass die Propeller leiser wer- den, aber trotzdem bezahlbar bleiben.“ Jeder von Pumpen oder Propellern abgestrahlte Schall wird in dem Schallraum gemessen. Das sei die Basis, um eine Aussage darüber zu treffen, was wo geändert werden muss, um einen Propeller leiser zu machen. Die Schallquelle könne zentimeterge- nau geortet werden. Akustik habe natürlich auch mit Kunst und Vergnü- gen zu tun. Denn in der Kammer könnten theore- tisch auch Musikinstrumente ausgetestet werden. Da geht es beispielsweise um den Unterschied zwi- schen einer Stradivari oder den Geigen aus der Mas- senherstellung. „Die Stradivari hat in manchen Fre- quenzen einen sehr warmen Ton“, sagt Wurm. Der Rostocker Musiker Wolfgang Schmiedt hat ex- tra für die Tagung ein 15-minütiges Video produ- ziert. Eineinhalb Jahre sammelte er Geräusche aus der Medizintechnik. Zusammen mit einer Tänzerin und einem Videochoreographen produzierte er das Stück mit den Geräuschelementen, „ein Soundtrack zwischen Angst und Hoffnung.“ Joachim Mangler, dpa
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