664 GLOBAL HEALTH Forschung & Lehre 9|23 Mit digitalisierter Medizin zumZiel? Der Einsatz von künstlicher Intelligenz im globalen Gesundheitswesen Forschung & Lehre: Unter den 17 „Sustainable Development Goals“ (SDG) der UN-Agenda 2030 ist insbesondere das dritte Ziel „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“ auf die globale Gesundheit ausgerichtet. Welche Rolle spielen die digitalisierte Medizin und die künstliche Intelligenz (KI), um dieses Ziel zu erreichen? Walter Karlen: Dieses Ziel wurde sehr breit formuliert und bezieht sich auf sehr viele Bereiche im Gesundheitswesen. Es geht zum Beispiel um verbesserte Strukturen, Präventionsprogramme oder die Ausbildung von Fachkräften, die alle unsere Gesundheit und Lebenserwartung bestimmen oder beeinflussen. Schaut man sich die Unterziele von SDG 3 etwas genauer an, stechen einige Ziele hervor, die direkt oder indirekt stark auf die Digitalisierung setzen. Besonders erwähnt sei der „Zugang zu hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten“, was auch Medikamente und Medizingeräte beinhaltet, oder die „Frühwarnung (…) nationaler und globaler Gesundheitsrisiken“, welche digitale Tools benötigt, um besseren Service anbieten zu können. F&L: Gibt es bestimmte Problemlagen in Bezug auf Global Health, die ohne KI gar nicht mehr gelöst werden können? Walter Karlen: Für mich gibt es zwei Hauptgründe, KI für Global Health zu entwickeln und anzuwenden. Erstens ist der Einsatz von automatisierten Algorithmen unentbehrlich für die Analyse von multidimensionalen, großen Datensätzen. Um die oben erwähnten Frühwarnsysteme betreiben zu können, braucht es Zugang zu Daten aus verschiedenen Quellen. Diese müssen aufbereitet, zusammengeführt und analysiert werden. Modelle müssen erstellt und kontinuierlich aktualisiert werden. Methoden des maschinellen Lernens sind prädestiniert, diese Aufgaben zu lösen. Zweitens haben wir durch digitale Systeme die einzigartige Möglichkeit, medizinisches Expertenwissen sehr breit und schnell an die Patienten zu bringen. Das ist überall dort relevant, wo die Ärztedichte sehr gering oder der Zugang zur Versorgung erschwert ist. F&L: Vor welchen zentralen Herausforderungen in der medizinischen Versorgung stehen insbesondere die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern? Walter Karlen: Das Hauptproblem sind sicherlich die fehlenden Fachkräfte. Während die Dichte des Gesundheitspersonals in Deutschland bei 180 pro 10 000 Einwohner liegt, ist sie bei 22 in Vietnam oder gerade mal bei sieben in Uganda. Diese Zahlen sind noch dramatischer für akademisches Personal, also Ärztinnen und Ärzte oder Medizintechnik-Ingenieure und -Ingenieurinnen. Weil im globalen Süden das Bevölkerungswachstum und der Brain Drain hoch sind, ist ziemlich klar, dass alleine mit der Steigerung der Ausbildungsrate die Personalknappheit in absehbarer Zeit nicht in den Griff zu bekommen ist. Neben dem Personal fehlt es aber auch an einfachen Technologien, die bei uns routinemäßig eingesetzt werden und wichtig für die Patientensicherheit sind, aber aufgrund nicht ausreichender Finanzen, unterschiedlicher Prioritäten, mangelnder Anpassung an den lokalen Kontext oder fehlender Ausbildung nicht zum Einsatz kommen können. Es fehlen z.B. Pulsoximeter, die die Sauerstoff- | IM GESPRÄCH | Um die Gesundheitsfürsorge weltweit zu verbessern, wird zunehmend auf Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Medizin gesetzt. Ein Gespräch über Chancen und Risiken. Walter Karlenist Professor an der Universität Ulm und dort Direktor des Instituts für Biomedizinische Technik. »Es fehlt auch an einfachen Technologien, die bei uns routinemäßig eingesetzt werden und wichtig für die Patientensicherheit sind.«
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