666 GLOBAL HEALTH Forschung & Lehre 9|23 Den Blick nach außen und innen schärfen Global Health im Medizinstudium Forschung & Lehre: Warum braucht es Global Health im Medizinstudium? Matthias Havemann: Ärztinnen und Ärzte wenden nicht nur medizinisches Wissen an, sie stehen immer in der Interaktion mit Patientinnen und Patienten – auch an den entscheidenden Schnittstellen unserer Gesellschaft. Wenn wir Gesundheit und Krankheit verstehen wollen, dann braucht es ein Verständnis für den gesellschaftlichen Kontext. Da unsere Gesellschaft zunehmend von globalen Aspekten beeinflusst wird, gehört dazu auch ein Grundverständnis für den Einfluss von Globalisierung auf Gesundheit. Insbesondere die sozio-ökonomischen Aspekte als ein Teil der Determinanten von Gesundheit – im Zusammenhang mit der Globalisierung dann vor allem die supraterritorialen Determinanten von Gesundheit – spielen hier eine Rolle. Davon brauchen wir im Medizinstudium immer mehr. F&L: Was ist mit sozio-ökonomischen Aspekten genau gemeint? Matthias Havemann: Die Verbindungen zwischen Menschen über typische territoriale Grenzen hinaus haben deutlich zugenommen. Meine Gesundheit in Marburg hat erheblich mehr mit der Gesundheit z.B. von Menschen in Aserbaidschan zu tun, als mir vielleicht bewusst ist. Diese Einflüsse haben über die letzten 100 Jahre deutlich zugenommen, verstärkt gilt das für die letzten 20 bis 30 Jahre. Über diese Zusammenhänge nachzudenken ist der Kernaspekt von globaler Gesundheit. Konkret für Medizinstudierende geht es dabei um Themen wie die Versorgung von Migrantinnen und Migranten, Intellectual Property Rights für neue Therapeutika, Lieferengpässe durch Produktionsverlagerungen und Einschränkungen in globalen Logistikketten, erhöhter Reiseverkehr oder Zunahme von klimabedingten Infektionserkrankungen, aber auch die Migration von Gesundheitsfachkräften, sei es der Brain Drain von Deutschland z.B. nach Skandinavien oder von Fachkräften anderer Länder nach Deutschland. Über diese zentralen Aspekte sollten Medizinstudierende und zukünftige Ärztinnen und Ärzte Bescheid wissen. F&L: Wie lassen sich diese Themen sinnvoll in das Medizinstudium integrieren? Matthias Havemann: Es braucht kein eigenes Fach, sinnvoll wäre aber, als Fakultät darauf zu achten, dass sich dieses Thema quasi wie ein Querschnittsthema durch das Curriculum zieht. Bestimmte Aspekte sollte jeder Medizinstudierende in Deutschland lernen, weil sie essenziell für die spätere ärztliche Tätigkeit sind. Dazu gehören für mich supraterritoriale Determinanten wie Chancengerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung (Health Equity), aber auch Interkulturalität. Manche werden in Form von Wahlfächern, Schwerpunktcurricula oder Summer Schools umgesetzt. Eine weitere Gruppe von Studierenden hat vielleicht ein gewisses Interesse an dem Thema und möchte gerne im Ausland arbeiten. Hier geht es darum, deren Horizont zu erweitern und weitere Perspektiven hineinzunehmen. Schließlich strebt ein kleiner Teil der Studierenden gezielt eine Karriere in Forschung und Praxis im internationalen Setting an. Deren Bedürfnisse kann und muss das Medizinstudium wahrscheinlich gar nicht abdecken, auch wenn die Möglichkeiten, sich entsprechend weiterzuentwickeln, für diese Gruppe bislang im deutschen Kontext extrem begrenzt sind. F&L: Inhaltlich klingt das sehr komplex und weit gespannt. Besteht nicht die Gefahr, das Medizinstudium zu überfrachten? Matthias Havemann: Die Gefahr besteht. Konkrete Herausforderungen im | IM GESPRÄCH | Warum sollten im Medizinstudium Kenntnisse über globale Einflussfaktoren auf die Gesundheit vermittelt und damit auch andere Gesellschaftsbereiche stärker integriert werden? Fragen an einen Mediziner. Dr. med. Matthias Havemannist Arzt am UKGM Marburg und wissenschaftlicher Mitarbeiter der AG Ethik in der Medizin an der Universität Marburg. Er forscht und lehrt im Bereich der globalen Gesundheit.
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