der Strom „on demand“ gewonnen werden kann. Beispiel: Atmosphäre Ziel Nr. 9 der Vereinten Nationen fordert den Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur, die Förderung einer breitenwirksamen und nachhaltigen Industrialisierung sowie die Unterstützung von Innovationen. Hier sei an die berüchtigten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) erinnert, die vor langer Zeit entwickelt wurden, um giftige und schnell entflammbare Kältemittel zu ersetzen. In den 80er Jahren stellte sich heraus, dass diese FCKW wesentlich zum Abbau der Ozonschicht beitragen. Im Montrealer Protokoll von 1987 wurde international vereinbart, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor schädlichen Auswirkungen zu schützen. Dies kam einem Verbot der FCKW gleich. Die Substitution der FCKW war nicht einfach, denn die Vorteile dieser Substanzen, nämlich inert und nicht entflammbar zu sein, sollten nicht verloren gehen. Der Ersatz gelang, inzwischen hat sich die Ozonschicht erholt. Auch hier ging die Grundlagenforschung voran. Für die Aufklärung des Ozonabbaus in der Atmosphäre erhielten Paul Crutzen, Mario Molina und Sherwood Roland 1995 den Nobelpreis für Chemie. Allerdings muss kräftig weiter geforscht werden, denn die neuen Kältemittel tragen zur Klimaerwärmung bei. Um diese Transformation zu bewältigen, müssen wir interdisziplinär unsere Kompetenzen bündeln. Die Bedeutung der Grundlagenforschung Kleine Schritte werden unterschätzt. Offensichtlich sind sie unverzichtbar für die Bewältigung großer Herausforderungen. Wirklicher Fortschritt wird aber nur erzielt, wenn sie nachhaltig sind, von der Gesellschaft akzeptiert werden und die Situation von Menschen und Umwelt wirklich verbessern. Dies bedarf nicht nur struktureller Änderungen, sondern auch der Abkehr von einem reinen Wachstumsdenken. Anstatt uns immer wieder aufs Neue vermessen zu lassen, sollten wir selbstbewusst Wissenschaft und Forschung betreiben und es mit Popper halten: Die Wissenschaft habe der Suche nach der Wahrheit zu dienen, aber auch zur Lösung von Problemen und der Verminderung von Übel und Leid beizutragen. Und gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Probleme haben wir genug auf der Welt. Stichworte wie Klimakrise, Ernährungssicherheit oder Artensterben geben ein beredtes Zeugnis davon. Viele der Ziele für eine nachhaltige, soziale, ökonomische, und ökologische Entwicklung unserer Welt können nur mit exzellenter und eben oftmals „inkrementeller“ Wissenschaft und Forschung erreicht werden, unterstützt durch Diversität, Wissenstransfer, Internationalität und Interdisziplinarität. Erkenntnis fliegt uns nicht einfach zu. Bertolt Brecht hat die Mühsal des Forschens im „Leben des Galilei“ erfasst: „Ja, wir werden alles, alles noch einmal in Frage stellen. Und wir werden nicht mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtsgehen, sondern im Schneckentempo. Und was wir heute finden, werden wir morgen von der Tafel streichen und erst wieder anschreiben, wenn wir es noch einmal gefunden haben. Und was wir zu finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit besonderem Misstrauen ansehen.“ Dann rechnet er ab. „Sollte uns dann jede andere Annahme als diese unter den Händen zerronnen sein, dann keine Gnade mehr mit denen, die nicht geforscht haben und doch reden.“ Für seinen „Galilei“ ging Brecht in das Kopenhagener Institut von Niels Bohr, um sich ein eigenes Bild von der Welt der Forschung zu machen. Eine wirklich kluge Idee, die man Journalistinnen und Journalisten, die über Forschung schreiben, sowie Politikerinnen und Politikern, die über Forschung entscheiden, nur ans Herz legen kann. Es stimmt, Wissenschaft und Forschung brauchen oft lange, bis sie Früchte tragen. Aber exzellente Grundlagenforschung in allen Disziplinen ist der Schlüssel für die Krisenfestigkeit und Zukunftskompetenz. 670 FORSCHUNG Forschung & Lehre 9|23 »Anstatt uns immer wieder aufs Neue vermessen zu lassen, sollten wir selbstbewusst Forschung betreiben.« KLEINE FÄCHERKUNDE Was erforschen Sie? Die Mykologie befasst sich mit Pilzen. Diese spielen eine wichtige Rolle in unseren Ökosystemen. Durch ihre Abbauleistung organischer Substanz tragen Pilze beispielsweise maßgeblich zum globalen Nährstoff- und Kohlenstoffkreislauf bei. Unser Wissen über die Vielfalt der Pilze ist allerdings recht rudimentär. Wir erforschen, was die Pilzdiversität auf unterschiedlichen räumlichen Skalen steuert, um Vorhersagen über die Entwicklung der Pilzdiversität und die damit im Zusammenhang stehenden Ökosystemprozesse in Zeiten des Anthropozäns machen zu können. Was fasziniert Sie daran? Pilze sind unglaublich vielfältig in Arten, Farben, Formen und anderen Merkmalen. Weiterhin sind sie essenziell für das Funktionieren unserer Ökosysteme. Allerdings wissen wir bei Pilzen sehr viel weniger über diese Zusammenhänge als bei den Organismenreichen der Pflanzen und Tiere. Hier einen Beitrag zum besseren ökologischen Verständnis dieser wichtigen Organismen leisten zu können, ist eine sehr schöne Aufgabe. Für wen ist das wichtig? Unsere Ökosysteme sind durch intensive Nutzung und Klimawandel sehr gefährdet. Wir arbeiten intensiv an Konzepten, um pilzliche Diversität und die damit im Zusammenhang stehenden Prozesse zu erhalten, gleichzeitig aber auch Ökosysteme nachhaltig nutzen zu können. Zu diesem Zweck arbeiten wir intensiv mit Stakeholdern im Bereich Waldund Forstwirtschaft sowie Großschutzgebieten (z.B. Nationalparks) zusammen. Claus Bässler ist Professor für Ökologie der Pilze an der Universität Bayreuth. Foto: Claus Bässler
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