Forschung & Lehre 09/2023

denen wir uns konzentriert mit einem Thema beschäftigen. Die meiste Zeit sollen sich die Fellows aber bewusst sehr frei einteilen. Ein fixer und wichtiger Termin am Kolleg ist der wöchentliche Jour Fixe. Zu dem kommen alle Fellows zusammen. Jedes Mal stellt je eine Person ihre Forschung vor und darüber wird diskutiert. Es ist spannend zu sehen, welche Dynamiken im Austausch der Fellows aus verschiedenen Fachrichtungen entstehen. F&L: Was sind das für Dynamiken? Giovanni Galizia: Ich erinnere mich zum Beispiel an eine schöne Situation, in der ein Fellow aus der Philosophie einen Vortrag vorgelesen hat. Der Vortrag war gut, aber vorgelesen. Ein Fellow aus der Chemie sagte im Anschluss, lesen könne er selber, da brauche er nicht zuzuhören. Darauf folgte Stille. Wir waren alle baff. Ein Jahr später musste dieser Fellow seinen Vortrag halten. Da holte er ein Manuskript raus und sagte, er wolle mal probieren, wie das sei, einen Vortrag vorzulesen. Was macht die Kultur und den Kommunikationshabitus einer anderen Disziplin aus? Das lernt man nicht im regulären Hochschulalltag, sondern nur in einem befreundeten Kreis, in dem man sich vertraut. Darüber entstehen Erweiterungen des intellektuellen Horizonts, die wir sonst an der Universität in dieser Vertrautheit und Intensität nicht bieten können. F&L: Wie lange bleiben die Fellows im Schnitt am Zukunftsinstitut? Giovanni Galizia: Wir bieten aktuell eine zweijährige und eine fünfjährige Förderung. Das kürzere Format sind Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kurz nach der Promotion, um zwei Jahre lang frei zu forschen. Wenn sie die Zeit nutzen, um einen Drittmittelantrag zu stellen, verlängern wir die Förderung um ein drittes Jahr. Das längere Format richtet sich an Postdocs, die eine Forschungsgruppe aufbauen und in ihrer akademischen Community sichtbar werden wollen. Die Fellowships passen wir an sich wandelnde Bedürfnisse an. Gerade diskutieren wir intensiv darüber, wie wir unsere Förderung noch besser an das Tenure-Track-Programm anpassen können. F&L: Halten die Verbindungen zwischen den Fellows über die Zeit am Kolleg hinaus? Giovanni Galizia: Viele Fellows treffen sich weiter, allerdings in kleineren Gruppen. Die akademische Welt ist global und Alumni über sehr viele Länder gestreut. Sie landen in allen möglichen Ländern. Ich habe aber den Eindruck, dass das Bewusstsein für die Vielseitigkeit der Wissenschaft und die damit verbundene Weitsicht bleiben. Das macht sich auch noch Jahre später bemerkbar, zum Beispiel bei Senatsentscheidungen. Wenn ich mich in eine andere Perspektive hineinversetzen kann und Kolleginnen und Kollegen besser verstehe, finden wir eher zusammen und treffen letztlich die besseren Entscheidungen. F&L: Wie wählen Sie Ihre Fellows aus und wie viele kommen von Ihrer eigenen Hochschule? Giovanni Galizia: Etwa zwei Drittel der Fellows sind extern, ein Drittel kommt aus Konstanz. Die Tendenz zu mehr externen Fellows kommt daher, dass wir neue Projekte suchen und von denen gibt es in der Welt mehr als nur bei uns. Wir haben keine Quoten, die eine gewisse Zahl an Fellows aus Konstanz vorschreibt oder ein bestimmtes Verhältnis an Fächern, Geschlecht oder Nationalität. Es kann immer mal sein, dass zum Beispiel ein Fachbereich überwiegt. Das liegt daran, dass Fellows andere Fellows anziehen. Wir achten darauf, dass es sich über die Jahre ausgleicht. Der Auswahlkommission hilft zu wissen, dass wir zwangsläufig viele sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten ablehnen müssen, die wir eigentlich gerne aufnehmen würden. Das gibt uns Flexibilität bei der Berücksichtigung von Diversitätskriterien in der Auswahl. Wo wir dabei noch besser werden müssen, ist die kulturelle Diversität. F&L: Da sieht auch der Wissenschaftsrat in einer Analyse der IAS von 2021 noch Luft nach oben – was tun Sie konkret? Giovanni Galizia: Wir haben ein spezielles Förderprogramm für Forschende aus dem globalen Süden aufgesetzt. Sie kommen drei Monate ans Kolleg und arbeiten im Anschluss noch neun weitere Monate aus ihrem Heimatland mit anderen Fellows zusammen. Das machen wir, weil wir keinen sogenannten “Brain Drain” in diesen Ländern provozieren wollen. Vergleichbare Angebote müssen wir ausbauen. Die akademische Welt umfasst noch längst nicht alle Staaten. F&L: Wie können Sie am Zukunftskolleg und wir gesellschaftlich noch schneller vorankommen? Giovanni Galizia: Wichtig ist, sich von der oft noch vorherrschenden Vorstellung zu lösen, dass es einer Form von Entwicklungshilfe bedarf, wenn Menschen aus einem vergleichsweise reichen Land mit Menschen aus einem vergleichsweise armen Land zusammenarbeiten. Auf der ganzen Welt leben intelligente Menschen. Nach diesem Verständnis sollten wir individuell und als Gesellschaft noch stärker leben und gleichberechtigt miteinander umgehen. Als Direktor des Zukunftskollegs muss ich dieses Bewusstsein haben und die notwendigen Strukturen schaffen, damit andere dem folgen können. Wenn mir dieses Bewusstsein fehlt, scheitert es schon an fairen Auswahlverfahren. Ich muss auch vertraute Kontakte in verschiedene Länder haben, um zum Beispiel ein Gutachten richtig lesen zu können. In einem Land ist ein Wort ein Zerriss der Forschung, in einem anderen Land ist es das Weglassen einer Aussage. Diese Vernetztheit und Offenheit ist essenziell, um gute Wissenschaft zu leben. Die Fragen stellte Katrin Schmermund. 680 FORSCHUNGSINSTITUTE Forschung & Lehre 9|23 »Es ist spannend zu sehen, welche Dynamiken im Austausch der Fellows aus verschiedenen Fachrichtungen entstehen.« »Auf der ganzen Welt leben intelligente Menschen. Nach diesem Verständnis sollten wir individuell und als Gesellschaft noch stärker leben.«

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=