Forschung & Lehre 09/2023

682 WISSENSCHAFTSGESCHICHTE Forschung & Lehre 9|23 Max Horkheimer war ohne jede Frage ein Organisationstalent, heute würde man wohl sagen, jemand, der sich auf gutes Wissenschaftsmanagement verstand. Als Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main hat er in den 1930er Jahren einige der innovativsten und, wie sich später erweisen würde, einflussreichsten Denker seiner Zeit in ein interdisziplinäres Forschungsprojekt eingebunden. Dazu zählen Geistesgrößen wie Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Erich Fromm und Herbert Marcuse. Das Ziel, das diesen illustren Kreis von Forschern verband: die bestehende Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren, um herauszufinden, wieso sie nicht so vernünftig eingerichtet ist, wie sie es sein könnte. Horkheimer schaffte zu diesem Zweck einerseits einen institutionellen Rahmen, in welchem die unorthodoxe Weiterentwicklung marxistischer Grundannahmen betrieben werden konnte – eine Insel gesellschaftskritischen Denkens. Andererseits, und dieser Aspekt wird oft unterschätzt, schlug er auch die programmatischen Pfeiler ein, die für die „Kritische Theorie“, wie er sie taufte, fortan stilbildend sein sollten: Erstens jene Interdisziplinarität, die unterschiedliche Wissenschaftszweige in ein produktives Ergänzungsverhältnis zueinander setzt, zweitens die enge Verzahnung von empirischer Sozialforschung, die den gesellschaftlichen Status quo beleuchtet, mit normativer Grundlagenforschung, die Werturteile über ebendiesen ermöglicht, drittens die Orientierung an einem Vernunftbegriff, der den Idealismus von Kant und Hegel mit dem Materialismus von Marx verbindet, sowie viertens und letztens die selbstkritische Reflexion auf die soziale Bedingtheit der eigenen Forschung und auf ihre mögliche Wirkkraft. Diese Prägung aus ihren Gründerjahren kennzeichnet die Frankfurter Schule bis zum heutigen Tag, trotz all ihrer internen Ausdifferenzierung. Horkheimers „KritischeTheorie“ im Wandel Betrieben wurde die Kritische Theorie zunächst vor dem Hintergrund des Siegeszugs des Nationalsozialismus. Horkheimer, der jüdischer Herkunft war, sah sich, wie so viele andere Wissenschaftler, dazu gezwungen, Deutschland zu verlassen und wanderte in die USA aus. Dieser Bruch veränderte nicht nur die institutionelle Ausgangslage und die persönlichen Umstände der Mitarbeiter des Instituts, sondern er führte auch zu einem tiefgreifenden Wandel auf theoretischer Ebene. Ausdruck gefunden hat diese Zäsur in Horkheimers Zusammenarbeit mit Adorno, die sich im Laufe ihres Exils intensivierte und aus der die gemeinsam verfasste „Dialektik der Aufklärung“ hervorging – eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste Arbeit der Kritischen Theorie überhaupt. In diesem Buch bricht sich die Skepsis Bahn, ob eine selbstbestimmte Einrichtung der Gesellschaftsordnung überhaupt möglich ist, ob nicht der Weg zur Emanzipation verstellt ist. Dieser theoretischen Skepsis zum Trotz kehrte Horkheimer einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nach Frankfurt am Main zurück und trieb die Wiedereröffnung des Instituts für Sozialforschung voran. Damit wurde ein neues, nicht minder faszinierendes Kapitel in der Geschichte der Frankfurter Schule aufgeschlagen. Von besonderer Bedeutung sollte dabei ihr ambivalenter Einfluss auf die 68er-Bewegung sein sowie ihre kommunikationstheoretische Umformung durch Jürgen Habermas. Seitdem hat sich die Frankfurter Schule zu einem weltweiten Netz verflochten, mit einzelnen Knotenpunkten wie dem Forschungszentrum Normative Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt, dem Institut für Sozialforschung, heute unter der Leitung Stephan Lessenichs, oder der New School for Social Research in New York. In Deutschland wird sie von Autorinnen und Autoren wie Axel Honneth, Rainer »Das Ziel, das diesen illustren Kreis von Forschern verband: die bestehende Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren.« Immer wider die Unvernunft Vor fünfzig Jahren starb Max Horkheimer, Vordenker der kritischen Sozialforschung | FELIX KÄMPER | Der Sozialphilosoph Max Horkheimer gilt als Begründer der Kritischen Theorie der sogenannten Frankfurter Schule. Er erkannte früh die Kehrseiten moderner Naturbeherrschung. Eine Würdigung. AUTOR Felix Kämper ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich PolitischeTheorie und Philosophie des Instituts für Politikwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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