Forschung & Lehre 11 | 23 11|23 www.forschung-und-lehre.de Forschung &Lehre Innovation Bedarfe in KiTa, Schule und Universität | ab Seite 856 Reale Besoldung Eine aktuelle Länderübersicht | ab Seite 854 Großer Akademischer Stellenmarkt | ab Seite 882 Semesterstart Der HRK-Präsident im Interview | ab Seite 840 Hochschulfinanzierung ab Seite 824
Die Stiftung möchte einen aktiven Beitrag leisten, Frauen in technischen Berufen zu unterstützen und ihre wissenschaftlichen Kompetenzen öffentlich sichtbar zu machen. Der Preis wird im Rahmen der jährlichen Bertha-Benz-Vorlesung verliehen. Voraussetzungen für die Nominierung: Die Promotion zur Dr.-Ing. liegt zum Stichtag der Nominierung nicht länger als ein Jahr zurück und die Dissertation ist mit dem Prädikat „magna cum laude“ oder „summa cum laude“ bewertet. Vorschlagsberechtigt sind Universitäten und selbstständige Forschungsinstitute. Eigene Bewerbungen sind nicht möglich. Nominierungsfrist: 1. März 2024 Eine Nominierung ist nur online möglich. Weitere Informationen zum Bewerbungsverfahren finden Sie unter www.daimler-benz-stiftung.de. Kontakt: Susanne Hallenberger · Daimler und Benz Stiftung Dr.-Carl-Benz-Platz 2 · 68526 Ladenburg hallenberger@daimler-benz-stiftung.de Telefon: 06203 1092-0 Mit dem „Bertha-Benz-Preis“ zeichnet die Daimler und Benz Stiftung jährlich eine Ingenieurin aus, die in Deutschland eine herausragende Promotion zur Dr.-Ing. abgeschlossen hat. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Bertha-Benz-Preis für Ingenieurinnen 2024
11|23 Forschung & Lehre 817 STANDPUNKT Seit 70 Jahren stiftet die Alexander von Humboldt-Stiftung nachhaltige Verbindungen zwischen Spitzenforschenden aus dem Ausland und Deutschland. Diese stärken durch temporäre oder langfristige Forschungsaufenthalte den Wissenschaftsstandort Deutschland. Ein Beispiel dafür ist die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, die 2014 mit einer Humboldt-Professur nach Deutschland kam. Der gute Riecher der Auswahlkommission bewies sich, als Charpentier 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Heute leitet sie eine MaxPlanck-Forschungsstelle in Berlin. Ein Beispiel dafür, wie attraktiv Deutschland für Spitzenforschende aus dem Ausland ist. Die Humboldt-Stiftung hat einen großen Anteil daran, dass in Deutschland internationale Forschungsgruppen entstehen, für die Willkommenskultur nicht nur ein Schlagwort ist. In diesen Teams entsteht jene Perspektivenvielfalt, die Wissenstranslation und neue Erkenntnisse überhaupt möglich macht. Wissenschaft braucht solide Finanzierung und Zeit. Denn manchmal dauert es, bis die zuerst zweckfreie Grundlagenforschung zum entscheidenden Durchbruch führt, wie es bei der jahrzehntelangen Forschung zum mRNA-Impfstoff war. In Deutschland weiß man eigentlich um die Bedeutung der Wissenschaft und fördert die Grundlagenforschung. Was uns als Wissenschaftsstandort stark gemacht hat, ist nun durch drohende Haushaltskürzungen in Gefahr: Mit Sorge stellt die Humboldt-Stiftung fest, dass ihre Geförderten vom Stipendium kaum noch die Lebenshaltungskosten bestreiten können. Es hat in den letzten zehn Jahren ein Fünftel an Kaufkraft verloren. Deshalb muss mehr Geld in den Wissenschaftsaustausch investiert werden. Ansonsten kann zum Beispiel die Humboldt-Stiftung in Zukunft weniger Stipendien vergeben. Das würde mit einem Verlust an Diversität und damit an Perspektivenvielfalt der Forschungsteams in Deutschland einhergehen. Das Phänomen ist allgemein bekannt: Jene Talente, denen man einen Vertrauensvorschuss schenken muss, würden durchs Raster fallen. Forschende, die auf Umwegen in der Wissenschaft Karriere machen oder aus Nationen stammen, die nicht so gut an das Publikationssystem des globalen Nordens angeschlossen sind, hätten kaum Chancen. Das entspricht nicht den Vorstellungen einer globalen Wissenschaftsförderung, die ausgleichend und entwicklungsrelevant wirkt. Deshalb fordern wir seit Jahren, dass die Humboldt-Stiftung und der DAAD in den Pakt für Forschung und Innovation aufgenommen und die Stipendiensätze dynamisiert werden. Es ist eine Investition in die Zukunft. Sonst wird Deutschland künftig nicht nur bei Preisverleihungen leer ausgehen. Es ginge die Grundlage des Fortschritts für alle verloren. Stipendien zu erhöhen, ist kein Luxus! Robert Schlögl ist Professor für Chemie und Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Foto: Humboldt-Stiftung-David Ausserhofer
Forschung & Lehre 11|23 818 INHALT Inhalt Foto: mauritius images / stopimages Foto: mauritius images / Chromorange / Michael Bihlmayer Hochschulfinanzierung Künstliche Intelligenz Eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen rückt in immer weitere Ferne. Befristet vergebene Programmund Projektmittel in der Forschung nehmen zu. Für die Hochschulen bedeutet dies in der Praxis weniger Planungssicherheit und Mangelverwaltung. Der Schwerpunkt dieser Ausgabe widmet sich den Konsequenzen dieser Entwicklungen, möglichen Auswegen und wirft einen exemplarischen Blick auf die Hochschulfinanzierung im Ausland. Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .824 Vor rund einem Jahr kam ChatGPT für die breite Öffentlichkeit auf den Markt. Viele Forschende und Lehrende setzen die KI bereits aktiv ein. Wie ist der aktuelle Stand zur rechtlichen Grundlage? Eine Rechtswissenschaftler ordnet die Lage ein. ChatGPTunddasRecht . . . . . . . . . .846 STANDPUNKT Robert Schlögl 817 Stipendien zu erhöhen ist kein Luxus! NACHRICHTEN 820 WissZeitVG:Verhandlungen zur Reform stocken HOCHSCHULFINANZIERUNG Im Gespräch: Wolfram Ressel 824 Wie ein Hamster im Rad Hochschulen und Hochschulfinanzierung im Krisenmodus Dieter Dohmen 828 Hochschulfinanzierung Gestern, heute und morgen 832 Infografik Heike Solga | Jürgen Heinze | Eva Maria Werner 834 Auch auf Strukturen kommt es an Forschungsfinanzierung in schwierigen Zeiten Umfrage 836 Wie zufrieden sind Sie mit der Hochschulfinanzierung in Deutschland? Einschätzungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Hans Martin Krämer | Johannes Hochreuther 838 Im Osten nichts Neues Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Hochschulfinanzierung in Japan HOCHSCHULEN Im Gespräch: Walter Rosenthal 840 Hochschulen müssen sichtbarer werden Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz über Herausforderungen der Hochschulen HOCHSCHULSYSTEM Georg Schütte 844 Wissenschaftskulturen in Deutschland Bilanz und strukturelle Verbesserungspotenziale
819 11|23 Forschung & Lehre INHALT Hochschulen Wissenschaftsinnovation Die Hochschulen sind in das Wintersemester 2023/2024 gestartet. Im Interview spricht der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Walter Rosenthal, über die aus seiner Sicht drängenden Themen sowie seine Positionen dazu und die Ziele für seine Amtszeit. AktuelleFragenderHochschulen . .840 Wie können Forschung und die Entstehung neuer wichtiger Erkenntnisse für Mensch und Gesellschaft in Deutschland befördert werden? Welche Rolle spielen dabei aus pädagogischer Sicht die Schulen und Universitäten? DasBildungswesenimBlick . . . . . .856 Karrierepraxis Kooperation und Teamfähigkeit zählen zu den häufigsten Anforderungen, damit eine wissenschaftliche Karriere gelingen kann. Was bedeuten diese sozialen Fähigkeiten für Gruppen und warum sind sie so wichtig für den Erfolg? TeamworkinderWissenschaft . . . .870 KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Thomas Hoeren 846 ChatGPT und das Recht Eine juristische Einschätzung zur Anwendung von KI-Textgeneratoren an den Hochschulen MEDIZIN Im Gespräch: Christian Frezza 850 Immer wieder fragen, wer wir selbst sind Herausforderungen und Hoffnungender aktuellen Krebsforschung BESOLDUNG Hubert Detmer 854 Reale Besoldung nach wie vor heterogen Wieviel zahlen die Bundesländer in W1, W2 und W3? BILDUNG Volker Ladenthin 856 Wissenschaft ohne Innovation? Orientierungen für KiTa, Schule und Universität im Hinblick auf zukünftige Forschung SPRACHE Henning Lobin | 860 Richtig schreiben – eine Nebensächlichkeit? Die Entwicklung der Orthografie nach der Rechtschreibreform GESCHICHTE Michael Rohrschneider 862 Zum 375 . Jubiläum des Westfälischen Friedens Lernen aus der Geschichte? RUBRIKEN 823 Fundsachen 864 Forschung: Ergündet und entdeckt 866 Zustimmung und Widerspruch 868 Lesen und lesen lassen 870 Karrierepraxis 872 Entscheidungen aus der Rechtsprechung 873 Preise 874 Habilitationen und Berufungen 880 Impressum 881 Rektoren, Kanzler und Leitungspositionen 882 Akademischer Stellenmarkt 894 Exkursion 895 Enigma 896 Fragebogen: Am Ende optimistisch? – Clara Brandi Foto: Mauritius/Icon Images Foto: mauritius images / Stocktrek
Forschung & Lehre 11|23 820 NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre.de WissZeitVG:Verhandlungen zur Reform stocken Antragsfrist für Elsevier-Vertrag läuft;Vertragsverlängerung bei Wiley Die Universitäten sind in das Wintersemester 2023/2024 gestartet. Die Bundesregierung hatte angekündigt, einen Vorschlag zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorzulegen. Seitdem wartet die wissenschaftliche Community auf Ergebnisse. Laut Jens Brandenburg (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), befindet sich der Entwurf derzeit in der Ressortabstimmung, wie er im Newsletter „Research Table“ vom 17. Oktober zitiert wird. Auf Nachfrage von „Forschung & Lehre“ teilte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit, dass derzeit nichts Näheres zum zeitlichen Ablauf der Reform gesagt werden könne – weder mit Blick auf anstehende Diskussionen noch auf zu erwartende Termine für Entscheidungen. Es bleibt also weiterhin unklar, wie es mit der Befristungsdauer von Anstellungsverträgen weitergeht. Getragen wird der Entwurf derzeit nur von der FDP-Fraktion, unter deren Leitung das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) steht. Grüne und SPD haben sich vom Gesetzesentwurf des BMBF distanziert. „Forschung & Lehre“ hat nachgefragt, mit welchen Positionen die Mitglieder des Bildungsausschusses in die Abstimmungen gehen: https:// t1p.de/4sjbb. Seit Oktober können teilnahmeberechtigte Institutionen einen Antrag auf die Beteiligung am kürzlich geschlossenen Vertrag zwischen dem DEAL-Konsortium, einer Vertretung von Wissenschaftseinrichtungen, und dem Wissenschaftsverlag Elsevier stellen. Einige Institutionen hätten unmittelbar nach Eingang der Unterlagen zur Teilnahme ihre Zusage angemeldet, wie die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) auf Nachfrage von „Forschung & Lehre“ mitteilte. Andere Einrichtungen prüften das Vertragsergebnis beziehungsweise seien mit der juristischen und operativen Vorbereitung der Vertragsteilnahme befasst. Vor dem Stichtag am 15. Januar 2024 werde das DEAL-Konsortium laut HRK keine Mitteilung über die Zahl der Zusagen machen oder Institutionen benennen. Im September einigten sich DEAL und Elsevier nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Vertrag. Seit 2018 haben Forschende vieler Institutionen keinen Zugriff auf Elsevier-Publikationen. Derweil wurde auch der Vertrag mit dem Wissenschaftsverlag Wiley rechtzeitig um fünf weitere Jahre verlängert, wie der Verlag bekanntgab. Forschende an deutschen Institutionen haben damit weiterhin die Möglichkeit, im gesamten Wiley-Portfolio Open Access zu publizieren. Mit eingeschlossen ist auch der Lesezugriff auf alle WileyZeitschrifteninhalte. Wissenschaftsrat: Empfehlungen für Medizin und Digitales Der Wissenschaftsrat (WR) hat in seinen Herbstsitzungen unter anderem Empfehlungen zur Akademisierung von Gesundheitsfachberufen sowie zur Digitalisierung der Forschung ausgesprochen. In Gesundheitsfachberufen sieht er gestiegene Anforderungen und empfiehlt eine vermehrte wissenschaftliche Qualifikation. Dies begründet er zum einen mit der demografischen Entwicklung wie auch der fortschreitenden Technisierung und Digitalisierung. Neben der bereits erfolgten Akademisierung des Hebammenberufs sollten laut WR daher künftig bis zu 20 Prozent der weiteren Angehörigen der Gesundheitsfachberufe akademisch ausgebildet werden. Dabei sollte der Fokus weiterhin auf dem Auf- und Ausbau primärqualifizierend-dualer Studiengänge liegen. Um die dringend benötigten hochschulisch qualifizierten Kräfte auszubilden, empfiehlt das Beratungsgremium die Einrichtung und Förderung von Zentren für Forschung, Lehre und Versorgungssteuerung, die vorhandene Expertise zusammenführen und stärken sollen. Außerdem sollten die Gesundheitsfachberufe noch besser institutionell an den Universitäten verankert werden. Die Attraktivität der Studiengänge müsse steigen, beispielsweise durch eine Vergütung der Praxiseinsätze im Pflegestudium, analog zur bereits bestehenden Vergütung in der nichtakademischen Ausbildung. Im Bereich Digitales warnt der WR vor dem steigenden Risiko von Cyberangriffen auf Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Um diesen zu begegnen brauche es sowohl leistungsfähige und professionell aufgestellte Organisations- und Governancestrukturen als auch technische Vorkehrungen, Notfallpläne sowie Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Notwendig ist laut WR in jeder Institution zudem eine oder ein Chief Information Officer, damit Verantwortlichkeiten klar festgelegt sind. Das Budget für Digitales müsse steigen und verstetigt werden – sowohl für technische Ausstattung als auch das Personal. Nachrichten
821 11|23 Forschung & Lehre NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre .de Angriff auf Israel erschüttert Wissenschaft Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat ein weiterer Krieg im Nahen Osten begonnen. Über tausend Israelis sind gestorben, mehrere Tausende verletzt worden. Die israelischen Hochschulen haben aufgrund der Raketenbeschüsse den Semesterstart um drei Wochen auf den 4. und 5. November 2023 verschoben. 50 von insgesamt 80 Geförderten des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD), haben Israel verlassen. Aktuell sind noch 30 Studierende und Promovierende über den DAAD im Land. Auch das Informationszentrum des DAAD an der Universität Tel Aviv ist weiterhin mit zwei Ortskräften in Betrieb. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „sind geschockt von den brutalen Angriffen“, sagte ein Sprecher vomDAAD. Um die Forschenden aus Deutschland, die in Israel geblieben sind, werde sich sehr gut gekümmert. „Wir hören, dass sie vor Ort von den Universitäten oder in den Programmen sehr gut betreut werden“, teilte der DAAD mit. Anlässlich des Angriffs bekundeten zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland ihre Solidarität mit Israel. „Wir stehen in Solidarität mit den israelischen Universitäten und Hochschulen und all ihren Mitgliedern“, sagte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Walter Rosenthal, im Namen der deutschen Hochschulen. Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, der Universitätszusammenschluss German U15 sowie eine Reihe einzelner Hochschulen sprachen allen Opfern der terroristischen Angriffe ihre aufrichtige Anteilnahme aus. Elisheva Moatti, Verwaltungsdirektorin an der Hebrew University in Jerusalem, im Interview mit „Forschung & Lehre“ zur aktuellen Lage an den israelischen Hochschulen: https://t1p.de/af2l0 Finanznot bei Alexander von Humboldt-Stiftung Die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) stellt ein komplettes Stipendienprogramm ein und reagiert mit kurzfristigen Einschnitten bei Erst- und Alumni-Förderungen, um trotz Haushaltskürzungen die Stipendiensätze für ihre Geförderten erstmals seit elf Jahren um 200 Euro erhöhen zu können. Im Humboldt-Forschungsstipendienprogramm erhalten Postdoktorandinnen und Postdoktoranden rückwirkend zum 1. Oktober 2023 monatlich 2 700 statt 2 500 Euro und erfahrene Forschende 3 200 statt 3 000 Euro. Zur Gegenfinanzierung läuft das Bundeskanzler-Stipendium für Forschende aus dem Ausland zum Jahr 2025 aus. Die Förderung bleibe dennoch unzureichend: Um gestiegene Lebenshaltungskosten ausreichend abdecken zu können, wären weitere rund zehn Millionen Euro notwendig. DHV und DPhV wollen noch enger kooperieren Die Interessenvertretungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Lehrkräften in Deutschland wollen künftig noch enger kooperieren. Das gaben die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands (DPhV), Professorin Susanne Lin-Klitzing, und der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Professor Lambert T. Koch, in einer gemeinsamen Erklärung am 12. Oktober bekannt. Lin-Klitzing und Koch betonten die Interessensüberschneidungen von DPhV und DHV. Dazu gehöre vor allem der Wille, sich auf politischer Ebene gemeinsam für die Qualitätssicherung des Abiturs und der Lehrkräftebildung in Deutschland einzusetzen. „Den Universitäten fehlen auf Dauer die Kapazitäten, um zu Beginn des Studiums in der nachholenden Stoffvermittlung Bildungsaufgaben der Schulen mit zu übernehmen“, sagte der Präsident des DHV laut Erklärung. Der Standard des Abiturs müsse weiter steigen. Dafür sollte die Kultusministerkonferenz laut DPhV das unterschiedliche Anspruchsniveau der gymnasialen Oberstufen an den verschiedenen zum Abitur führenden Schularten neu kritisch in den Blick nehmen. Zu einer Stärkung des Abiturs gehört laut beider Verbände außerdem, dass die Qualität der Lehrkräftebildung auch bei einem Quer- oder Seiteneinstieg gehalten werde. Von der Kultusministerkonferenz forderten beide Verbände, künftig stärker eingebunden zu werden. KOMMENTAR Solidarität!? Gewalt zwischen Staaten wie der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder die menschenverachtenden Terrorangriffe der Hamas auf Israel gefährden den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Sie führen zu unermesslichem Leid und wirken sich auf die Wirtschaft und den sozialen Frieden weltweit aus. Es bedarf keiner Expertise, um zu erkennen, dass Krieg und Terror immer auch Bildungseinrichtungen bedrohen und die Freiheit der Wissenschaft tangieren: weil Wissenschaft gar nicht oder nur noch eingeschränkt möglich ist. Umso wichtiger sind in diesen Zeiten der Zusammenhalt der Academia und die unmissverständlichen Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und Israel, besonders für diejenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unverschuldet Schreckliches erleben müssen und ihrer Arbeit oftmals kaum noch nachgehen können. Dass die Bundesregierung derweil ausgerechnet in der Kulturpolitik den Rotstift bei den institutionellen Budgets und Stipendienprogrammen von Alexander von HumboldtStiftung oder Deutschem Akademischen Austauschdienst ansetzen will, zeugt weder von Solidarität noch von Weitsicht. Bildung und Wissenschaft können Brücken bauen und ein Mittel friedensstiftender Diplomatie sein. Diplomatie bedeutet Sachlichkeit, und das ist die Stärke von Wissenschaft. Wissenschaftlicher Austausch sollte uns mehr wert sein. Yvonne Dorf
Forschung & Lehre 11|23 822 NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre.de GWK-Bericht zu Gleichstellung Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) hat die 27. Datenfortschreibung zum Thema „Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen“ für den Zeitraum 2020/2021 veröffentlicht. Der diesjährige Bericht unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen von allen Beteiligten, heißt es in einer Pressemitteilung der GWK, um Geschlechterparität an Hochschulen zu erreichen und qualifizierte Frauen langfristig in der Wissenschaft zu halten. Obwohl der Anteil von Wissenschaftlerinnen an Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen gestiegen sei, verliefe dieser Fortschritt insbesondere auf Spitzenpositionen nur langsam. Außerdem legt die GWK Zahlen zum Geschlechterverhältnis bei Professuren vor. Obwohl der Anteil von Professorinnen an Hochschulen im Zeitraum von 2011 bis 2021 kontinuierlich von 19,9 Prozent auf 27,2 Prozent angestiegen ist, besteht weiterhin dringender Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Geschlechterparität, so die GWK. Eine genaue Betrachtung nach Besoldungsgruppen zeige, dass mit steigender Vergütung der Frauenanteil sinke. Der Anteil der W1-Professorinnen liegt laut Studie bei 48,0 Prozent, was nahe an der Parität ist, während der Anteil der C3/W2-Professorinnen bei 28,0 Prozent und der der C4/W3-Professorinnen nur noch bei 23,0 Prozent liegt. 298 400 Euro Drittmittel pro Kopf Universitätsprofessorinnen und -professoren haben im Bezugsjahr 2021 im Schnitt 298 400 Euro an Drittmitteln eingeworben. Das sind 3,8 Prozent oder 11 000 Euro mehr als 2020, wie aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. An den Fachhochschulen (ohne Verwaltungsfachhochschulen) waren die durchschnittlichen Drittmitteleinnahmen je Professorin und Professor mit 46 300 Euro deutlich niedriger als an den Universitäten. Die RWTH Aachen hat laut Mitteilung mit 932 100 Euro wie bereits in der Vergangenheit die meisten Drittmittel je Professorin und Professor eingeworben. Dahinter folgen in der Statistik die Technischen Universität München mit 799 800 Euro und die Universität Stuttgart mit 763 600 Euro pro Kopf. Die medizinischen Einrichtungen und Gesundheitswissenschaften der Universitäten waren bei dieser Auswertung ausgenommen. Die Humanmedizin und die Gesundheitswissenschaften kamen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2021 auf 661 200 Euro an Drittmitteln. Das sind gut neun Prozent mehr als 2020. Dahinter folgten die Ingenieurwissenschaften mit 652 500 Euro (plus 3,4 Prozent) und die Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften sowie die Veterinärmedizin mit 386 500 Euro (ein Plus von 0,2 Prozent). Insgesamt die meisten Drittmittel eingenommen hat laut Statistik mit 347 Millionen Euro die Technische Universität München. Dahinter folgen die Technische Hochschule Aachen (RWTH) mit 331 Millionen Euro und die Technische Universität Dresden mit 235 Millionen Euro. Deutschland als Studienort beliebt Deutschland hat Australien überholt und liegt inzwischen auf Platz drei der beliebtesten Studienziele für ausländische Studierende weltweit. Das geht aus dem Bericht „Wissenschaft weltoffen“ vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hervor. Im Wintersemester 2022/23 studierten 367 578 internationale Studierende an deutschen Hochschulen. Das entspricht einem Anstieg um fünf Prozent verglichen zum Vorjahr. Auch bei internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gewinnt Deutschland an Beliebtheit. 70 000 internationale wissenschaftliche Beschäftigte arbeiteten und forschten zum Erhebungszeitpunkt an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, was Deutschland neben dem Vereinigten Königreich nach den USA zu einem der wichtigsten Wissenschaftsstandorte für internationale Forschende macht. Kritik an Kosten für Hochschulgebäude Der Bund der Steuerzahler hat in seinem diesjährigen Schwarzbuch mögliche Fälle von Steuermittelverschwendung angeprangert. Das Schwarzbuch enthält auch zwei Beispiele aus dem Hochschulsektor, nämlich einen Universitätsneubau in Hamburg sowie einen Neubau für Medizinstudierende an der Universität Regensburg. Bei beiden Bauten steigen die Kosten aufgrund längerer Bauzeiten: in Regensburg vermutlich von 184 Millionen Euro auf 220 Millionen Euro, in Hamburg von 425 Millionen Euro auf wie zunächst geplant 177 Millionen Euro. Recyclingfreudigste Hochschule gekürt Die Hochschule Eberswalde ist am 10. Oktober im Bundesumweltministerium als „Recyclingfreudigste Hochschule” ausgezeichnet worden. Auf den Plätzen zwei und drei liegen die Hochschule Esslingen und die Freie Universität Berlin. „Aufsteiger des Jahres” ist die TU Braunschweig. Der Papieratlas dokumentiert seit 2008 jährlich den Papierverbrauch und die Recyclingpapierquoten in deutschen Städten, seit 2016 auch in Hochschulen. Kooperationspartner sind das Bundesumweltministerium, das Umweltbundesamt, der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Landkreistag sowie der Deutsche Hochschulverband. Verfassungsgericht bestärkt Forschungsfreiheit Ein Hochschulprofessor hatte für sein Forschungsprojekt zur „Islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug“ Interviews mit mehreren Strafgefangenen geführt, denen Vertraulichkeit zugesichert worden war. Aufgrund des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bei einem der Interviewten hatte das Oberlandesgericht München die Durchsuchung der Lehrstuhlräumlichkeiten des Professors und die Beschlagnahme der Beweismittel angeordnet. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Beschwerde des Professors zwar wegen mangelnder Fristeinhaltung ab, Gleichzeitig hob es aber in Abgenzung zum Oberlandesgericht München hervor, dass die Forschungsfreiheit auch die Erhebung und Vertraulichkeit von Daten im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte umfasse. Der DHV sieht darin trotz der erfolglosen Beschwerde eine Stärkung der Forschungsfreiheit.
823 11|23 Forschung & Lehre FUNDSACHE Kompetenzen Muss sie sein? Ist die Aussage nicht ein bisschen zu bildungsbürgerlich? Sind denn gute Serien – Succession etwa – nicht die zeitgemäße Form der Belletristik? Wo bleibt der Film als eigenständige Kunstform? Und wo meine Leidenschaft: die Oper? Sie können aber beruhigt sein: Ich lese auch gern Bücher.“ Professor Michael Grünberger, designierter Präsident der Bucerius Law School in Hamburg, auf die Frage, welche Lektüre sein muss; zitiert nach: Zeit Wissen3 vom 28. September 2023. Zonen „Hello NASA folks, space fans, asteroid aficionados. This is Brian May of Queen as you know probably, but also immensely proud to be a team member of OSIRISREx.“ Dr. Brian May, Lead-Gitarrist von Queen, auch Astrophysiker, war an der jüngsten NASA-Mission beteiligt, bei der die Raumsonde OSIRIS-REx zum ersten Mal Proben eines Asteroiden erfolgreich auf den Erdboden zurückbrachte; zitiert nach: The Pioneer Briefing vom 28. September 2023. Handlungsparadoxien „Die alte Fußballerregel Geld schießt Tore lässt sich durchaus auf die Ökonomik übertragen. Die Gehaltsunterschiede zwischen Deutschland und den USA sind massiv, da können deutsche Unis mit ihren öffentlichen Besoldungsordnungen nicht mithalten. Ein normaler Ökonomikprofessor in den USA verdient in der Regel mehr als jeder deutsche Hochschulrektor. Hinzu kommt, dass wirtschaftswissenschaftliche Departments in Deutschland meist viel kleiner sind als in den USA, die haben im Schnitt nur fünf oder sechs Professuren. Positivbeispiele sind die Universitäten Bonn, Frankfurt, Mannheim und München, die sind allesamt international wettbewerbsfähig. Professor Rüdiger Bachmann, Ökonomie an der University of Notre Dame USA; zitiert nach: Die Wirtschaftswoche vom 8. Oktober 2023. Olympiade Man kann objektiv gar nicht sagen, wer der oder die Richtige für den Nobelpreis ist. In der Presse heißt es oft, der Preis sei so etwas wie die Olympiade für die Wissenschaft – ein schlechter Vergleich. Bei Athleten kann man genau messen, wer am höchsten springt oder am schnellsten läuft. Aber so ist das in den Wissenschaften eben nicht. (...) Ich befasse mich jetzt seit zehn Jahren mit dem Nobelpreis, aber ich habe immer noch keine Antwort darauf, warum er so wichtig ist. Professor Nils Hansson, Medizinhistoriker, Universität Düsseldorf; zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 2./3. Oktober 2023. Zonen „Nein, das habe ich nicht vor [die Auflösung von Fakultäten]. Ich glaube, die Uni Heidelberg steht erfolgreich und gut da. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas ändern möchte, dann werde ich das sehr behutsam und vorsichtig tun. Eine Revolution brauchen wir nicht. Wir haben einige Instrumente entwickelt, auch mithilfe der Exzellenzinitiative und Exzellenzstrategie, die eine permanente Erneuerung ermöglichen. Das interdisziplinäre Arbeiten ist gestärkt worden. Darauf will ich aufsetzen. In einigen Bereichen wird man die existierenden Strukturen effizienter machen können, aber nicht mit Gewalt. Nach wie vor brauchen wir starke Fakultäten.“ Professorin Frauke Melchior, neue Rektorin der Heidelberger Universität, auf die Frage, ob sie Department-Strukturen für die gesamte Universität, also die Auflösung von Fakultäten plant; zitiert nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Oktober 2023. Realität „People ask me: What is physical reality? It’s physical reality! There’s nothing that it is. What do you want me to say, that it’s made of macaroni or something?” Physiker Sean Carroll wundert sich über die Fragen, die Philosophen auf einem Kongress stellen, auf dem über Bewusstsein im physikalischen Universum diskutiert wird; zitiert nach: Nature Briefing, 28. September 2023. Fundsachen Spiel „Seit langer Zeit hat sich bei mir die Überzeugung in wachsendem Masse befestigt, dass menschliche Kultur im Spiel – als Spiel – aufkommt und sich entfaltet. Es handelt sich für mich nicht darum, welchen Platz das Spielen mitten unter den übrigen Kulturerscheinungen einnimmt, sondern inwieweit die Kultur selbst Spielcharakter hat.“ Johan Huizinga, niederländischer Kulturhistoriker (1872 – 1945) Urteilen „Da Nachprüfen und Nachdenken so umständlich und schwierig sind, so urteilt man lieber unbeschwert und realisiert nicht, dass man bloß projiziert und somit sich selber zum Opfer eines närrischen Illusionstricks macht. Carl Gustav Jung, Schweizer Psychiater und Begründer der Analytischen Psychologie (1875– 1961)
Forschung & Lehre 11|23 824 HOCHSCHULFINANZIERUNG Wie ein Hamster im Rad Hochschulen und Hochschulfinanzierung im Krisenmodus Forsschung & Lehre: Was treibt Sie als langjähriger Rektor der Universität Stuttgart aktuell beim Thema Hochschulfinanzierung um? Wolfram Ressel: Wir kämpfen mit den extrem gestiegenen Energiekosten infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und müssen Haushaltsdefizite abfedern. Insgesamt haben wir dieses Jahr einen Mehrbedarf von rund 16 Millionen Euro errechnet. Darin eingerechnet ist der Hochschulfinanzierungsausgleich: In Baden-Württemberg werden die neun Landesuniversitäten relativ zueinander verglichen mit den Parametern, die der Bund auch bei der Verteilung seiner Mittel vergibt. Da wir seit drei Jahren einen hohen Studierendeneinbruch in den MINT-Fächern haben, sind wir, aber auch das KIT in Karlsruhe und die Universität Ulm, geballt getroffen. Allein die Universität Stuttgart hat 75 Prozent MINT-Fächer. Vielleicht haben wir auch nicht so aufgepasst bei den Verhandlungen zur Hochschulfinanzierungsvereinbarung mit dem Land. Wenn Sie an den Volluniversitäten kleine Zuwächse haben und an zwei bis drei Universitäten relativ große Einbrüche, dann entwickeln sich die finanziellen Verluste wie eine Exponentialfunktion. Sie verdoppeln sich annähernd jedes Jahr. Die Gesamtstudierendenzahlen entwickeln sich bei uns negativ und bei den großen Universitäten wie in Heidelberg, Freiburg und Tübingen leicht steigend, aber relativ verlieren wir damit viele Studierende. In manchen Ingenieurfächern haben wir weniger als die Hälfte an Studienanfängern im Vergleich zu früheren Jahren. Dadurch fehlen der Universität Stuttgart acht Millionen Euro im kommenden Jahr. Uns wurde zwar ein Dämpfungsfaktor von 50 Prozent bewilligt – auch die Politik sieht, dass sie da Fehler gemacht hat – aber das bedeutet trotzdem, dass wir im Jahr 2024 fast vier Millionen Euro an Zuwendung verlieren. Wir befinden uns in einem Transformationsprozess. Dieser trifft fast alle technischen Universitäten. Das gilt übrigens hochschulartenübergreifend. F&L: Die Universität Stuttgart hat einen relativ hohen Anteil an ausländischen Studierenden. Wie ist die Entwicklung hier? Wolfram Ressel: Bei den chinesischen Studierenden zum Beispiel sind es durch das Embargo 30 bis 40 Prozent weniger. Wir haben laut Bundesstatistik etwa 14 Prozent weniger Abiturienten momentan als vor drei Jahren. Das ist ein erheblicher Wert. Wenn man den Prognosen glauben darf, wird das nicht besser werden. Ein Babyboom, der den Universitäten in den nächsten Jahren zu mehr Abiturienten verhilft, ist nicht zu erwarten, das wird noch etliche Jahre dauern. Wir müssen also mehr ausländische Studierende für die Fächer gewinnen, die die Lücke füllen, und damit auch dem Fachkräftemangel entgegensteuern. Wir können Studierende aus Nicht-EU-Ländern jedoch nicht zulassen, weil sie entweder schon bei den Botschaften keine Visagenehmigung oder bei den kommunalen Ausländerbehörden keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Allein in Stuttgart sollen 9 000 Anträge im Ausländeramt liegen, die nicht bearbeitet werden – im Wesentlichen aus Personalmangel. In anderen Ländern läuft das digitalisiert ab, aber wir ersticken in Bürokratie. F&L: Wie schwierig ist es inzwischen, sehr gute Studienabgänger für die Wissenschaft zu gewinnen? Wolfram Ressel: Die Lohnschere wird immer größer zwischen dem, was die Firmen zahlen, und dem, was mit dem TV-L (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder) an Hochschulen möglich ist. Viele freie Stellen in der Wissenschaft können wir nicht besetzen, weil die jungen Leute die Industrie bevorzugen. Ich prognostiziere, dass das noch schwieriger werden wird. Momentan ist es noch nicht so schlimm, auch noch nicht für die Wirtschaft, aber die deutlich abnehmenden Studienanfän- | IM GESPRÄCH | Für die Hochschulen in Deutschland wird es zunehmend schwieriger, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die anstehenden Aufgaben zu bewältigen . Der Rektor der Universität Stuttgart im Gespräch . Professor Dr.-Ing. Wolfram Ressel ist Rektor der Universität Stuttgart.
825 11|23 Forschung & Lehre HOCHSCHULFINANZIERUNG gerzahlen werden wir in zwei oder drei Jahren spüren. Der Arbeitsmarkt ist dann einfach leer, sowohl für die Universitäten als auch für die Wirtschaft. Die Probleme sind sehr komplex und das eine greift ins andere. Wir befinden uns aktuell in einem Krisenmodus: Wir haben es nicht nur mit einer Krise zu tun, sondern mit mehreren, und die überlagen sich. Wenn man die Ursachen erforscht und anschließend angeht, ergeben sich Folgen, die an anderer Stelle wieder Sorgen bereiten. F&L: Sind Sie optimistisch, dass sich mit den Sonderprogrammen, den Pakten, die Finanzierungssituation für die Universitäten entspannt? Wolfram Ressel: Nein. Trotz dieser Pakte, die geschlossen worden sind, oder der Länderfinanzierung, die in manchen Ländern dazu gekommen ist – es gibt ja einige Länder, die haben die Mittel gekürzt –, sind wir nach wie vor nicht ausfinanziert. Die Pakte können das nicht ausgleichen. Hinzu kommen externe Einflüsse wie zum Beispiel der Ukraine-Krieg oder unser Exportembargo bei Ländern wie China, Russland, Nordkorea, Indien, Iran. Das sind Restriktionen, die wir natürlich spüren. Die Pakte helfen kurzfristig, aber sie sind keine langfristige Lösung. Diese Erfahrung habe ich über viele Jahre gemacht. F&L: Welche Folgen hat das für die Lehre? Wolfram Ressel: Bei der Lehre müssen wir als Universitäten in uns gehen. In den 20 Jahren Bologna-Prozess hat sich einiges eingeschlichen, was wir reparieren müssen. Ein Beispiel: In den grundständigen Studiengängen liegt die Regelstudienzeit bei über acht Semestern im Durchschnitt, auch in Stuttgart. Wir haben hier einen Parameter, der vom Bund vorgegeben und der im Land dann umgesetzt wird, von sechs plus maximal zwei (sechs Semester Regelstudienzeit und zwei Semester Puffer). Alle, die mehr als acht Semester studieren, werden dann bestraft. Nun müssen wir uns selbstkritisch fragen: Sind diese Studiengänge in acht Semestern überhaupt studierbar? Da wurden sicherlich auch – ich will das jetzt nicht als Fehler bezeichnen – Überführungsmängel gemacht. Wir haben versucht, das acht bis neun Semester umfassende Diplom oder die Magisterstudiengänge möglichst eins zu eins in den Bachelorstudiengängen abzubilden. Das ist nicht studierbar in der kürzeren Zeit, da müssen wir nachbessern. An der Universität Stuttgart tun wir das auch, besonders gravierend ist es in den Technik-Fächern. Gleichzeitig gibt es viele neue Themen wie Nachhaltigkeit oder Entrepreneurship, die wir in die Studienpläne einbauen sollen, aber keiner will etwas abgeben. Das hat natürlich auch mit dem – relativ hohen – Lehrdeputat in Deutschland zu tun, das erfüllt werden muss. Da müssen wir ansetzen, das wird gerade diskutiert. Die Lehrpläne müssen überarbeitet, das heißt schlanker werden. In den Masterstudiengängen benötigen wir mehr Verbindlichkeit. Die Studierenden konnten sich ihren Studienplan bislang sehr frei zusammenstellen – an diesen Stellen müssen wir nacharbeiten. Es geht also nicht nur um die Finanzierung, auch die Universitäten sind gefragt. F&L: Was verstehen Sie unter einer verlässlichen Grundfinanzierung einer Universität? Wolfram Ressel: Die gesetzlichen Aufgaben sind Forschung, Lehre und Transfer. Unser Bewertungssystem kommt noch aus dem letzten Jahrhundert, es passt nicht mehr zu dem, was wir eigentlich benötigen. Dazu bräuchten wir entsprechende Rahmenbedingungen. Das Kapazitätsrecht ist vollkommen veraltet und müsste dringend überarbeitet werden. Das geschieht jedoch nicht, weil alle Sorge haben, dass es dann natürlich teurer wird. Wir sind in der Forschung zu 80, vielleicht sogar zu 90 Prozent unterfinanziert, und in der Lehre deutlich über 50 Prozent. Es leidet immer die Forschung, weil es heißt, das müssen wir uns über Drittmittel holen. Die staatliche Grundfinanzierung geht fast vollständig in die Lehre, aber auch da haben wir – Stichwort Digitalisierung – durchaus Nachholbedarf. Die Digitalisierung der Infrastruktur eines Hörsaals zum Beispiel kostet schnell 50 000 bis 100 000 Euro. F&L: Blicken wir auf die Forschung. Der Wissenschaftsrat kommt in einem Papier zu dem Schluss, dass das aktuelle System der Forschungsfinanzierung an seine Grenzen gelangt sei. Umfangreiche Mittel aus den Grundhaushalten der Hochschulen müssten dafür eingesetzt werden, die Durchführung unzureichend geförderter Drittmittelprojekte zu ermöglichen. Dies gehe zu Lasten der Aufgaben der Grundfinanzierung. Wie beurteilen Sie das? Wolfram Ressel: Die Drittmittel fressen uns irgendwann einmal auf. Wenn eine Universität hohe Drittmittel einwirbt, muss sie immer mehr einwerben, damit sie denDifferenzbetrag zur Vollkostenfinanzierung auffängt -- 22 Prozent Overhead der DFG sind viel zu wenig. Wir müssen wie ein Hamster im Rad immer schneller laufen, um den finanziellen Mehrbedarf für den Universitätsbetrieb abzudecken, welchen wir aktuell verbrauchen. Eine Reserve für das in der Regel mehrere Jahre laufende einzelne Projekt können wir so nicht bilden. Eine ganz schwierige Situation, das hat der Wissenschaftsrat sehr gut erkannt. Davon betroffen sind insbesondere die drittmittelstarken Universitäten und vor allen Dingen die, die hohe Investitionen in Forschungsinfrastruktur wie Natur- und Ingenieurwissenschaften oder Medizin tätigen. F&L: Diese Probleme haben die außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht, sie stehen finanziell wesentlich besser da. Wolfram Ressel: Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen erhalten pro Jahr drei Prozent mehr Mittel, diesen Aufwuchs haben die Universitäten nicht. Die Diskrepanz wird immer größer, je länger sie einen Aufwuchs pro Jahr bekommen und wir nicht. Wir prangern das immer wieder an, es wird aber politisch nicht behoben. Da schlägt der Föderalismus wieder zu. Dazu eine Geschichte: Auf dem Gelände der Universität Stuttgart befinden sich einige Fraunhofer-Institute. Ein Direktor eines außeruniversitären Instituts und in Personalunion gleichzeitig Professor an der Universität erhält vom zuständigen Wirtschaftsministerium Projektmittel in Höhe von 20 Millionen zugesagt. Am gleichen Nachmittag kommt er zu mir und erwartet, dass die Universität Stuttgart auch 20 Millionen als „matching fund“ drauflegt. So läuft das. Wo soll ich die 20 Millionen hernehmen? Ich übertreibe jetzt bewusst: Während die außeruniversitären Forschungseinrichtungen goldene Was- »Die Drittmittel fressen uns irgendwann einmal auf.«
Forschung & Lehre 11|23 826 HOCHSCHULFINANZIERUNG serhähne installieren können, haben wir Hochschulen kein Warmwasser mehr, sondern nur noch Kaltwasser, um Energie zu sparen. So schaut’s aus. F&L: Die baulich-technische Infrastruktur der Universitäten in Deutschland ist teils in einem sehr schlechten Zustand. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Probleme und was könnte man tun? Wolfram Ressel: Das Thema Bau ist für mich die größte Ernüchterung als Rektor einer Universität. Ich bin da offen und ehrlich: Das staatliche Bauen an Universitäten ist weitgehend tot – und zwar schon seit vielen Jahren. Ich kann das auch nachweisen anhand von Zahlen. Der Sanierungsstau an unserer Universität – vom Rechnungshof vor Jahren gerechnet, nicht von uns – liegt bei über 1,6 Milliarden Euro, inzwischen bei über weit über 2 Milliarden Euro. Weil das Geld nicht da ist, wird es kein einziges staatliches Programm geben in Deutschland, um diesen Sanierungsstau auch nur annähernd zu beheben. Man muss also überlegen, wie man Abhilfe schafft. Und da wird es mit den Ländern schwierig, sie wollen nichts an den Organisationsstrukturen verändern. Sie sorgen sich, dass sie ihre Hochschulbauabteilungen abbauen müssen und es dann andere für noch mehr Geld machen. Es gäbe Modelle mit der privaten Wirtschaft zusammen, die Abhilfe schaffen könnten. Hier handelt es sich aber um eine langfristige Zusammenarbeit. Es gibt Kammern, die Pensionsleistungen, oder Lebensversicherer, die auch langfristig anlegen müssen. Sie würden gern mit einer Universität ein Bauprogramm starten, weil sie wissen, Universitäten sind sicher und existieren über lange Zeiträume. Diese Einrichtungen und Firmen benötigen niedrige Renditen. Sie würden vollumfänglich in das Baugeschäft mit den Universitäten einsteigen. Ich habe das schon alles ausdiskutiert, wir haben Material dazu erstellt, das wir den Ministerien geschickt haben – keine Reaktion. Das einzige, was Sie hören: Da ist noch einer beteiligt, dann wird es ja noch teurer. Was eben nicht der Fall ist, wenn man es sinnvoll mit einem Facility-Management während der Betriebsphase betreut. Wir könnten das Thema angehen, wenn man es wollte. Natürlich handelt es sich hier um radikale Änderungen. In dem Moment, wo staatliches Bauen in ein privatwirtschaftlich gelenktes System überführt wird, werden wir deutliche Verbesserungen bekommen. Hochtechnologisierte Bereiche wie zum Beispiel Quantenlabore betrifft das sicher nicht, dazu brauchen wir weiterhin das staatliche Planen und Bauen. Die private Finanzierungsbeteiligung hat also auch ihre Grenzen. Aber der normale Hochschulbau würde darüber leichter finanziert werden können. F&L: Besteht da nicht die Gefahr der Abhängigkeit? Wolfram Ressel: Das könnte man meines Erachtens vertraglich weitgehend ausschließen. Es geht hier nicht um Themen, die irgendwie gesteuert werden könnten, sondern um eine Objektanlage. Ich wüsste derzeit keinen anderen Weg aus dieser Misere, die immer schlimmer wird. Wir müssen Gebäude schließen, weil die Technik aus dem letzten Jahrhundert stammt, kein Handwerker da mehr reingeht und niemand mehr Ersatzteile beschaffen kann. Wir bekommen die Themen nicht mehr in den Griff, wenn nur noch staatlich gebaut wird. Es geht auch um das Außenbild, das wir abgeben, unabhängig von den Gebäuden selbst. Das tut weh. Bei jedem Sonderforschungsbereich, den wir hier an der Universität Stuttgart verteidigen, gehen wir in ein Gebäude, das sich in einem einigermaßen guten Zustand befindet. Und dann bepflanzen wir es außen, damit der Gutachter, wenn er kommt, wenigstens einen einigermaßen ansprechenden Eindruck bekommt. Das hat nichts mit der Begutachtung unmittelbar zu tun, aber es bleibt indirekt im Unterbewusstsein hängen. F&L: Neben Geld braucht es offensichtlich auch mehr Flexibilität und Veränderungsbereitschaft. Wolfram Ressel: Wir brauchen eine höhere Grundfinanzierung und ein ganz neues Baumanagement mit einer neuen Organisation des öffentlichen Bauens. Für uns ist das Finanzministerium zuständig, nicht das Wissenschaftsministerium. Neben schwierigen prozessualen Konsequenzen bleibt Geld das Thema. Annähernd eine Milliarde Euro hat Baden-Württemberg in die Sanierung seiner Staatsbauten in 2022 investiert. Präsentiert wird das in einem umfänglichen Geschäftsbericht, in dem die neun Landesuniversitäten kaum auftauchen. Ausgerechnet da, wo junge Menschen für unsere Zukunft und Gesellschaft ausgebildet und gebildet werden, das wird vernachlässigt. Wir müssen neue, wirklich neue Ideen mit frischem Kapital in das System einbringen und Überzeugungsarbeit leisten, dass sich das rechnet und einen positiven Einfluss hat. Andernfalls bekommen wir den Sanierungsstau und den Neubaubedarf auch unter energetischen Gesichtspunkten nicht mehr in den Griff. Die Strukturen sind zu festgefahren. Momentan können wir in den Universitäten mit einigen Einschränkungen noch gut arbeiten, es funktioniert noch. Aber wir haben immer engere Haushalte und durch plötzlich auftretende Krisen geraten wir dann deutlich ins Minus und müssen stark sparen. Irgendwann kommt der Punkt, wo wir nicht mehr die von uns erwartete Leistung bringen können. Er ist noch nicht da, aber er ist nicht mehr allzu weitweg. Es braucht auch Vertrauen. In einer immer höher werdenden Dichte erreichen uns neue Erlasse aus den Ministerien, was wir nicht machen dürfen – natürlich aus Problemfällen heraus. Daraus ergeben sich rechtliche Vorgaben, mit denen wir in der Praxis nicht arbeiten können. Die Autonomie der Universitäten wird zwar hochgehalten, aber faktisch gibt es die nicht mehr. Wir sind durch die Bürokratie so eingeschränkt, dass wir kaum noch Handlungsspielraum haben. Beispielsweise die Beihilfeverordnung der EU oder die DAW, die Dienstanweisung Hochschulbau vom Land Baden-Württemberg, sind Bürokratieschleudern, die uns nur behindern und deswegen auch keine Lösungsmöglichkeiten aufbauen lassen, wie wir das Ganze vielleicht intelligenter angehen könnten. Wir können das momentan nur wegdrücken, indem wir in der Forschung große Erfolge feiern. Fördermittel, die die Universität in der Nachhaltigkeit der wettbewerblichen Projekte dann aber sehr teuer kommen. Ein Exzellenzcluster ist etwas ganz Tolles, aber es handelt sich dabei um eine langfristig angelegte Strukturmaßnahme. Nach sieben Jahren Förderung, und wenn es gut läuft, eine weitere Förderperiode, sind zusätzlich zehn Professuren im System. Die müssen ausgestattet und untergebracht werden. Je erfolgreicher eine Universität, desto schneller müssen wir laufen, damit wir das Defizit aufhalten. Die Fragen stellte Vera Müller.
827 11|23 Forschung & Lehre HOCHSCHULFINANZIERUNG www.romanherzoginstitut.de IMPULSE Spezial 2023 Soziale Marktwirtschaft Soziale Marktwirtschaft als Gegenstand der Forschung. Beiträge von Forschungspreisträger:innen. IMPULSE Spezial 2023 Aktuelle Publikationen www.romanherzoginstitut.de/publikationen.html Ausschreibung Forschungspreis 2024 Offen für alle Fachbereiche https://www.romanherzoginstitut.de/forschungspreis.html Weitere Informationen: Zum Download
Forschung & Lehre 11|23 828 HOCHSCHULFINANZIERUNG Hochschulfinanzierung Gestern, heute und morgen In den beiden letzten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts führten ökonomisch motivierte Diskussionen zu einer kritischen Bewertung der Hochschulsysteme in vielen Ländern, sie wurden als eher wenig dynamisch und innovativ angesehen. Fehlende Leistungsanreize aufgrund einer recht starren, unflexiblen Vergütungsstruktur mit wenigen Leistungsanreizen, verbunden mit recht großen Freiheitsgraden, wurden als Hauptursache angesehen, warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu wenig publizierten, Forschungsergebnisse wenig innovativ waren, etc. In der Folge wurden neue Steuerungs- und Leistungsmechanismen sowie neue Vergütungsstrukturen entwickelt und umgesetzt, die intrinsische Motivation durch eine stärker extrinsisch ausgerichtete ersetzt und die Hochschulfinanzierung durch stärker wettbewerbsorientierte Vergabeverfahren in Richtung Drittmittel und Leistungsorientierung getrimmt. Als Ökonom habe ich viele dieser Diskussionen wohlwollend begleitet oder auch mit vorangetrieben; mittlerweile habe ich erhebliche Zweifel, ob beziehungsweise inwieweit wir hier nicht von (partiell) falschen – oder zumindest verkürzten – Prämissen ausgegangen sind und es in der Sache übertrieben haben. Gleichzeitig bin ich der Auffassung, dass der veränderte Mindset dem Hochschulsystem gut getan hat und es heute ohne diese Veränderungen schlechter dastünde. Es stellt sich daher die Frage, ob und welche Weichen wir wie stellen müssen, damit das Hochschulsystem die Herausforderungen der Zukunft gut bewältigen kann. Einnahmen der Hochschulen In der Hochschulfinanzierung haben die skizzierten Entwicklungen dazu geführt, dass der Aufwuchs der Hochschuleinnahmen seit 2006 vor allem über verstärkte Dritt- bzw. temporäre Mittel erreicht wurde, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. Die Hochschuleinnahmen in Deutschland sind – bezogen auf Lehre und Forschung und ohne die Krankenbehandlung – zwischen 1995 und 2020 von 17,9 Mrd. Euro auf 42,3 Mrd. Euro (+136 Prozent) gestiegen (siehe Abbildung). Deutlich wird dabei der vergleichsweise moderate Anstieg zwischen 1995 und 2005 auf 21,7 Mrd. Euro (+21 Prozent) und der seither deutlich stärkere Anstieg um 95 Prozent gegenüber dem Referenzwert des Jahres 2005. Bei der Verschiebung von der Grundfinanzierung zu temporären Mitteln zeigt sich, dass sich der Anteil der Grundfinanzierung des Sitzlandes für Lehre bzw. Forschung und Entwicklung von 77 Prozent (1995) über 73 Prozent (2005) auf 52 Prozent (2015) verringert hat. Das bedeutet, der Anteil temporärer Mittel hat sich binnen zehn Jahren fast verdoppelt, er beträgt nun fast die Hälfte der gesamten Hochschuleinnahmen. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich dies seither grundlegend verändert hat, eher ist unter Umständen anzunehmen, dass der Anteil temporärer Drittmittel weiter angestiegen ist – aber dies ist nur eine Vermutung beziehungsweise These. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein – allerdings meist geringer – Teil der Landesmittel nicht als allgemeine oder „leistungsunabhängige“ Zuweisungen geleistet wird, sondern als Teil der leistungsorientierten Mittelverteilung oder als Projekt- oder Programmförderung. Daher dürfte sich die Grundfinanzierung im Jahr 2015 auf höchstens 50 Prozent belaufen haben. Die restlichen knapp 50 Prozent kommen aus anderen Quellen und sind als mehr oder minder temporäre Mittel anzusehen, wobei die Abgrenzung nicht immer eindeutig ist. Auswirkungen auf das wissenschaftliche Personal Für die einzelnen Hochschulen bedeutet dies, dass ein immer geringerer Anteil des Haushalts längerfristig einigermaßen planbar und ein deutlich größer gewordener Anteil nur temporär gesichert ist. Daraus folgt zwangsläufig, dass ein zunehmend größer gewordener Anteil des wissenschaftlichen Personals nur noch befristet, für die Laufzeit der jeweiligen Drittmittelprojekte, eingestellt werden kann. Dies entspricht auch der Ende der 1990er Jahre deklarierten Maxime, dass der daraus resultierende Wettbewerb um Stellen zu Leistungs- bzw. Qualitätssteigerungen beim wissenschaftlichen Personal, insbesondere beim Mittelbau, führen werde und nur die besten Köpfe langfristig im System bleiben würden. Zum anderen bedeutet dies, dass für | DIETER DOHMEN | Die Hochschulen und damit auch die Hochschulfinanzierung haben sich in den letzten 30 bis 35 Jahren erheblich verändert . Dies gilt insbesondere für die Zeit seit 2005 . Eine Zwischenbilanz aus ökonomischer Perspektive . Dr. Dieter Dohmen ist Inhaber und Direktor des FIBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin sowie Geschäftsführender Gesellschafter der RILLL Research Institute on Lifelong Learning gGmbH. AUTOR
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