Forschung & Lehre 11|23 824 HOCHSCHULFINANZIERUNG Wie ein Hamster im Rad Hochschulen und Hochschulfinanzierung im Krisenmodus Forsschung & Lehre: Was treibt Sie als langjähriger Rektor der Universität Stuttgart aktuell beim Thema Hochschulfinanzierung um? Wolfram Ressel: Wir kämpfen mit den extrem gestiegenen Energiekosten infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und müssen Haushaltsdefizite abfedern. Insgesamt haben wir dieses Jahr einen Mehrbedarf von rund 16 Millionen Euro errechnet. Darin eingerechnet ist der Hochschulfinanzierungsausgleich: In Baden-Württemberg werden die neun Landesuniversitäten relativ zueinander verglichen mit den Parametern, die der Bund auch bei der Verteilung seiner Mittel vergibt. Da wir seit drei Jahren einen hohen Studierendeneinbruch in den MINT-Fächern haben, sind wir, aber auch das KIT in Karlsruhe und die Universität Ulm, geballt getroffen. Allein die Universität Stuttgart hat 75 Prozent MINT-Fächer. Vielleicht haben wir auch nicht so aufgepasst bei den Verhandlungen zur Hochschulfinanzierungsvereinbarung mit dem Land. Wenn Sie an den Volluniversitäten kleine Zuwächse haben und an zwei bis drei Universitäten relativ große Einbrüche, dann entwickeln sich die finanziellen Verluste wie eine Exponentialfunktion. Sie verdoppeln sich annähernd jedes Jahr. Die Gesamtstudierendenzahlen entwickeln sich bei uns negativ und bei den großen Universitäten wie in Heidelberg, Freiburg und Tübingen leicht steigend, aber relativ verlieren wir damit viele Studierende. In manchen Ingenieurfächern haben wir weniger als die Hälfte an Studienanfängern im Vergleich zu früheren Jahren. Dadurch fehlen der Universität Stuttgart acht Millionen Euro im kommenden Jahr. Uns wurde zwar ein Dämpfungsfaktor von 50 Prozent bewilligt – auch die Politik sieht, dass sie da Fehler gemacht hat – aber das bedeutet trotzdem, dass wir im Jahr 2024 fast vier Millionen Euro an Zuwendung verlieren. Wir befinden uns in einem Transformationsprozess. Dieser trifft fast alle technischen Universitäten. Das gilt übrigens hochschulartenübergreifend. F&L: Die Universität Stuttgart hat einen relativ hohen Anteil an ausländischen Studierenden. Wie ist die Entwicklung hier? Wolfram Ressel: Bei den chinesischen Studierenden zum Beispiel sind es durch das Embargo 30 bis 40 Prozent weniger. Wir haben laut Bundesstatistik etwa 14 Prozent weniger Abiturienten momentan als vor drei Jahren. Das ist ein erheblicher Wert. Wenn man den Prognosen glauben darf, wird das nicht besser werden. Ein Babyboom, der den Universitäten in den nächsten Jahren zu mehr Abiturienten verhilft, ist nicht zu erwarten, das wird noch etliche Jahre dauern. Wir müssen also mehr ausländische Studierende für die Fächer gewinnen, die die Lücke füllen, und damit auch dem Fachkräftemangel entgegensteuern. Wir können Studierende aus Nicht-EU-Ländern jedoch nicht zulassen, weil sie entweder schon bei den Botschaften keine Visagenehmigung oder bei den kommunalen Ausländerbehörden keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Allein in Stuttgart sollen 9 000 Anträge im Ausländeramt liegen, die nicht bearbeitet werden – im Wesentlichen aus Personalmangel. In anderen Ländern läuft das digitalisiert ab, aber wir ersticken in Bürokratie. F&L: Wie schwierig ist es inzwischen, sehr gute Studienabgänger für die Wissenschaft zu gewinnen? Wolfram Ressel: Die Lohnschere wird immer größer zwischen dem, was die Firmen zahlen, und dem, was mit dem TV-L (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder) an Hochschulen möglich ist. Viele freie Stellen in der Wissenschaft können wir nicht besetzen, weil die jungen Leute die Industrie bevorzugen. Ich prognostiziere, dass das noch schwieriger werden wird. Momentan ist es noch nicht so schlimm, auch noch nicht für die Wirtschaft, aber die deutlich abnehmenden Studienanfän- | IM GESPRÄCH | Für die Hochschulen in Deutschland wird es zunehmend schwieriger, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die anstehenden Aufgaben zu bewältigen . Der Rektor der Universität Stuttgart im Gespräch . Professor Dr.-Ing. Wolfram Ressel ist Rektor der Universität Stuttgart.
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