Forschung & Lehre 11/2023

825 11|23 Forschung & Lehre HOCHSCHULFINANZIERUNG gerzahlen werden wir in zwei oder drei Jahren spüren. Der Arbeitsmarkt ist dann einfach leer, sowohl für die Universitäten als auch für die Wirtschaft. Die Probleme sind sehr komplex und das eine greift ins andere. Wir befinden uns aktuell in einem Krisenmodus: Wir haben es nicht nur mit einer Krise zu tun, sondern mit mehreren, und die überlagen sich. Wenn man die Ursachen erforscht und anschließend angeht, ergeben sich Folgen, die an anderer Stelle wieder Sorgen bereiten. F&L: Sind Sie optimistisch, dass sich mit den Sonderprogrammen, den Pakten, die Finanzierungssituation für die Universitäten entspannt? Wolfram Ressel: Nein. Trotz dieser Pakte, die geschlossen worden sind, oder der Länderfinanzierung, die in manchen Ländern dazu gekommen ist – es gibt ja einige Länder, die haben die Mittel gekürzt –, sind wir nach wie vor nicht ausfinanziert. Die Pakte können das nicht ausgleichen. Hinzu kommen externe Einflüsse wie zum Beispiel der Ukraine-Krieg oder unser Exportembargo bei Ländern wie China, Russland, Nordkorea, Indien, Iran. Das sind Restriktionen, die wir natürlich spüren. Die Pakte helfen kurzfristig, aber sie sind keine langfristige Lösung. Diese Erfahrung habe ich über viele Jahre gemacht. F&L: Welche Folgen hat das für die Lehre? Wolfram Ressel: Bei der Lehre müssen wir als Universitäten in uns gehen. In den 20 Jahren Bologna-Prozess hat sich einiges eingeschlichen, was wir reparieren müssen. Ein Beispiel: In den grundständigen Studiengängen liegt die Regelstudienzeit bei über acht Semestern im Durchschnitt, auch in Stuttgart. Wir haben hier einen Parameter, der vom Bund vorgegeben und der im Land dann umgesetzt wird, von sechs plus maximal zwei (sechs Semester Regelstudienzeit und zwei Semester Puffer). Alle, die mehr als acht Semester studieren, werden dann bestraft. Nun müssen wir uns selbstkritisch fragen: Sind diese Studiengänge in acht Semestern überhaupt studierbar? Da wurden sicherlich auch – ich will das jetzt nicht als Fehler bezeichnen – Überführungsmängel gemacht. Wir haben versucht, das acht bis neun Semester umfassende Diplom oder die Magisterstudiengänge möglichst eins zu eins in den Bachelorstudiengängen abzubilden. Das ist nicht studierbar in der kürzeren Zeit, da müssen wir nachbessern. An der Universität Stuttgart tun wir das auch, besonders gravierend ist es in den Technik-Fächern. Gleichzeitig gibt es viele neue Themen wie Nachhaltigkeit oder Entrepreneurship, die wir in die Studienpläne einbauen sollen, aber keiner will etwas abgeben. Das hat natürlich auch mit dem – relativ hohen – Lehrdeputat in Deutschland zu tun, das erfüllt werden muss. Da müssen wir ansetzen, das wird gerade diskutiert. Die Lehrpläne müssen überarbeitet, das heißt schlanker werden. In den Masterstudiengängen benötigen wir mehr Verbindlichkeit. Die Studierenden konnten sich ihren Studienplan bislang sehr frei zusammenstellen – an diesen Stellen müssen wir nacharbeiten. Es geht also nicht nur um die Finanzierung, auch die Universitäten sind gefragt. F&L: Was verstehen Sie unter einer verlässlichen Grundfinanzierung einer Universität? Wolfram Ressel: Die gesetzlichen Aufgaben sind Forschung, Lehre und Transfer. Unser Bewertungssystem kommt noch aus dem letzten Jahrhundert, es passt nicht mehr zu dem, was wir eigentlich benötigen. Dazu bräuchten wir entsprechende Rahmenbedingungen. Das Kapazitätsrecht ist vollkommen veraltet und müsste dringend überarbeitet werden. Das geschieht jedoch nicht, weil alle Sorge haben, dass es dann natürlich teurer wird. Wir sind in der Forschung zu 80, vielleicht sogar zu 90 Prozent unterfinanziert, und in der Lehre deutlich über 50 Prozent. Es leidet immer die Forschung, weil es heißt, das müssen wir uns über Drittmittel holen. Die staatliche Grundfinanzierung geht fast vollständig in die Lehre, aber auch da haben wir – Stichwort Digitalisierung – durchaus Nachholbedarf. Die Digitalisierung der Infrastruktur eines Hörsaals zum Beispiel kostet schnell 50 000 bis 100 000 Euro. F&L: Blicken wir auf die Forschung. Der Wissenschaftsrat kommt in einem Papier zu dem Schluss, dass das aktuelle System der Forschungsfinanzierung an seine Grenzen gelangt sei. Umfangreiche Mittel aus den Grundhaushalten der Hochschulen müssten dafür eingesetzt werden, die Durchführung unzureichend geförderter Drittmittelprojekte zu ermöglichen. Dies gehe zu Lasten der Aufgaben der Grundfinanzierung. Wie beurteilen Sie das? Wolfram Ressel: Die Drittmittel fressen uns irgendwann einmal auf. Wenn eine Universität hohe Drittmittel einwirbt, muss sie immer mehr einwerben, damit sie denDifferenzbetrag zur Vollkostenfinanzierung auffängt -- 22 Prozent Overhead der DFG sind viel zu wenig. Wir müssen wie ein Hamster im Rad immer schneller laufen, um den finanziellen Mehrbedarf für den Universitätsbetrieb abzudecken, welchen wir aktuell verbrauchen. Eine Reserve für das in der Regel mehrere Jahre laufende einzelne Projekt können wir so nicht bilden. Eine ganz schwierige Situation, das hat der Wissenschaftsrat sehr gut erkannt. Davon betroffen sind insbesondere die drittmittelstarken Universitäten und vor allen Dingen die, die hohe Investitionen in Forschungsinfrastruktur wie Natur- und Ingenieurwissenschaften oder Medizin tätigen. F&L: Diese Probleme haben die außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht, sie stehen finanziell wesentlich besser da. Wolfram Ressel: Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen erhalten pro Jahr drei Prozent mehr Mittel, diesen Aufwuchs haben die Universitäten nicht. Die Diskrepanz wird immer größer, je länger sie einen Aufwuchs pro Jahr bekommen und wir nicht. Wir prangern das immer wieder an, es wird aber politisch nicht behoben. Da schlägt der Föderalismus wieder zu. Dazu eine Geschichte: Auf dem Gelände der Universität Stuttgart befinden sich einige Fraunhofer-Institute. Ein Direktor eines außeruniversitären Instituts und in Personalunion gleichzeitig Professor an der Universität erhält vom zuständigen Wirtschaftsministerium Projektmittel in Höhe von 20 Millionen zugesagt. Am gleichen Nachmittag kommt er zu mir und erwartet, dass die Universität Stuttgart auch 20 Millionen als „matching fund“ drauflegt. So läuft das. Wo soll ich die 20 Millionen hernehmen? Ich übertreibe jetzt bewusst: Während die außeruniversitären Forschungseinrichtungen goldene Was- »Die Drittmittel fressen uns irgendwann einmal auf.«

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