Forschung & Lehre 11|23 842 HOCHSCHULEN zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses darauf hingewiesen, dass dies ein komplexer Prozess ist. F&L: Ein Thema, das ebenfalls alle betrifft, ist die Entscheidung über die Art der Zusammenarbeit mit Studierenden und Forschenden aus China. Die Rufe nach einem konsequenteren Vorgehen gegen Spionage und den Missbrauch von wissenschaftlichen Ergebnissen durch die chinesische Regierung werden lauter. Welcher Weg ist aus Ihrer Sicht der richtige? Walter Rosenthal: Die Einflussnahme aus China und der Eingriff in Forschungsergebnisse ist nicht neu, hat aber in den letzten Jahren zugenommen. Gleichzeitig ist und bleibt China ein wichtiger Partner in der Wissenschaft. Wie auch bei Kooperationen mit anderen Ländern müssen wir informiert, selbstbewusst und differenziert vorgehen. Das gelingt über eine gute China-Kompetenz an den Hochschulen. Dafür müssen wir beispielsweise weitere Sinologinnen und Sinologen gewinnen, gleichzeitig aber auch verlässliche Prozesse des Risikomanagements und Zentren für Ethik in der Forschung an allen Hochschulstandorten etablieren. Zusätzlich sollten wir alle Sensibilisierungs- und Beratungsangebote außerhalb der Hochschule nutzen und eng zusammenarbeiten, auch mit Sicherheitsbehörden, um Erfahrungen auszutauschen. Die Entscheidung für oder gegen eine Kooperation muss bei den Hochschulen bleiben. Pauschale Regeln oder Verbote sind der falsche Weg. F&L: Sie sprechen von einem selbstbewussten Auftreten der Hochschulen. Was sollte die Wissenschaft in Deutschland akzeptieren und was nicht? Walter Rosenthal: Forschung muss frei sein. Es darf keine staatliche Bevormundung und Lenkung geben. Das ist unverhandelbar und müssen wir klar gegenüber chinesischen Partnerinnen und Partnern kommunizieren. Schwieriger ist zu erkennen, ob Forschungsergebnisse auch militärisch eingesetzt werden könnten. Hier müssen die Hochschulen genau abwägen und von Fall zu Fall entscheiden. Manchmal liegt ein „Dual Use“ auf der Hand, manchmal ist er nicht sofort ersichtlich. Das betrifft zum Beispiel die Klimaforschung, in der wir angesichts der Dimension des Problems eng mit China zusammenarbeiten müssen. Erkenntnisse beispielsweise zum Monitoring von Wetterdaten können aber auch für militärische Manöver verwendet werden F&L: Persönlich haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen, die wissenschaftspolitische Bedeutung der Hochschulen zu stärken. Was ist Ihr Ziel? Walter Rosenthal: Hochschulen, das hat der Wissenschaftsrat 2013 treffend formuliert, sind die Organisationszentren des Wissenschaftssystems, das heißt die einzigen Organisationen, die aus sich selbst heraus existieren können, weil sie Forschung und Lehre vereinen. Hochschulen geben mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr für Forschung aus und erbringen hier Spitzenleistungen. Ihre Ergebnisse sollten sie selbstbewusst vertreten und sich auch in aktuell diskutierte Themen einbringen. Zugleich betreuen sie fast 2,9 Millionen Studierende und organisieren damit den Regelausbildungsweg in Deutschland, von dem unsere weitere gesellschaftliche Entwicklung ganz wesentlich abhängt. Diese zentrale Stellung der Hochschulen muss in Zukunft noch sichtbarer werden, auch wenn wir jetzt bereits in der Politik viel Unterstützung erfahren. F&L: Wie bewerten Sie – auch mit Blick auf dieses Ziel – die Finanzlage an den Hochschulen? Walter Rosenthal: Die Hochschulen mussten in den vergangenen Jahren (und müssen aktuell) zahlreiche Herausforderungen meistern und auf neue Entwicklungen eingehen. Der Anspruch an Lehre und Studium ist seit der Bologna-Reform deutlich gestiegen, weil Lehre und Prüfungen ihr fachliches Niveau von vorher halten und gleichzeitig kompetenzorientiert, berufsbezogen und individualisiert sein sollen. Auch die Digitalisierung und eine diversere Studierendenschaft erfordern bessere Betreuungsverhältnisse und mehr Personal. Die Energie- und Baukosten sind massiv gestiegen, und die Personalkosten steigen ebenfalls stark an. Wenn die damit verbundenen Kostensteigerungen nicht ausgeglichen werden, müssen die Hochschulen einen Konsolidierungskurs einschlagen; eine Verringerung des Personalbestandes kann dann nicht ausgeschlossen werden. Konkrete Zahlen kennen wir für den Investitionsbedarf im Hochschulbau. 2022 schätzte der Wissenschaftsrat den Investitionsbedarf für nachhaltige Sanierungen und Neubauten auf 60 Milliarden, die Kanzlerinnen und Kanzler gehen von 74 Milliarden aus. Preissteigerungen verbunden mit der Inflation werden diese Summe rasch weiter steigen lassen, wenn wir nicht gemeinsam handeln – Hochschulen, Länder und Bund. F&L: Was unternimmt die HRK? Walter Rosenthal: Wir werden die Finanzierung an den Hochschulen zu einem zentralen Thema machen. Das Budget für Hochschulen im Bund darf nicht gekürzt werden. Die Hochschulen kommen aus einer jahrzehntelangen Überlastsituation. Fachkräfte – auch mit akademischer und speziell natur- und ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung – fehlen, so dass wir hier noch attraktiver werden müssen. Dafür müssen wir auch die Betreuungssituation an den Hochschulen deutlich verbessern. Zudem sollten Hochschulen sich stärker für internationale Studierende und Menschen mit einer beruflichen Ausbildung öffnen. Hochschulen brauchen weiterhin eine höhere Grundfinanzierung. Drittmittel können bei der Finanzierung nur ein Add-on sein. Wir sind hierzulande mit der DFG als Selbstverwaltungsorganisation sehr gut aufgestellt, aber der Overhead der geförderten Projekte beträgt nur 22 Prozent; ähnlich verhält es sich bei den anderen Förderorganisationen. Um die Projektkosten zu decken, müsste er doppelt so hoch sein. So zahlen die Hochschulen bei jedem Drittmittelprojekt drauf. Der Zukunftsvertrag für Studium und Lehre und die Exzellenzstrategie sind gute Entwicklungen, um Finanzierungslücken zu schließen. Davon brauchen wir mehr. F&L: Die unterschiedlichen Hochschularten in Deutschland vertreten teils unterschiedliche Interessen. Können sie so überhaupt geschlossen für sich eintreten? »Hochschulen brauchen eine höhere Grundfinanzierung. Drittmittel können bei der Finanzierung nur ein Add-on sein.«
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