Forschung & Lehre 11/2023

Forschung & Lehre 11|23 844 HOCHSCHULSYSTEM Wissenschaftskulturen in Deutschland Bilanz und strukturelle Verbesserungspotenziale Den Anstoß für die qualitative Studie „Wissenschaftskulturen in Deutschland“ lieferte der britische Wellcome Trust mit einer großen Umfrage unter dem Titel: „What researchers think about the culture they work in”. Wir wollten wissen: Was kommt wohl dabei heraus, wenn wir dieselbe Frage in Deutschland stellen? Dabei war es uns wichtig, nicht nur eine qualitative Zustandsbeschreibung zu erhalten. Als Resultat erwarteten wir von den beauftragten Institutionen auch konkrete Empfehlungen für das künftige Förderhandeln. Zunächst aber: Was sind überhaupt „Wissenschaftskulturen“? Die bisherige Forschung konzentriert sich vornehmlich auf epistemische Kulturen, das heißt auf die Frage, wie unterschiedliche Forschungsfelder ihre Forschungsgegenstände erschließen. Wissenschaftskulturen werden aber signifikant auch von gesellschaftlichen und organisationalen Rahmenbedingungen geprägt: Strukturen der Forschungsförderung, Karrieremöglichkeiten in und außerhalb der Wissenschaft, gesellschaftliches Ansehen des Feldes, soziale oder auch politische Veränderungen. Aspekte wie diese gaben den Rahmen vor für die qualitative Erhebung, die dann 2021 von der Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Ich fokussiere mich im Folgenden auf einige ausgewählte Empfehlungen der Autorinnen und Autoren, denen wir aus Stiftungssicht besonders hohe Relevanz beimessen – und die wir deshalb bereits aufgegriffen haben beziehungsweise mit denen wir uns nun intensiv auseinandersetzen. Semi-stabileTeams fördern Ungeachtet spezifischer kultureller Unterschiede zwischen verschiedenen Wissenschaftsfeldern wurde deutlich, dass der Mangel an semi-stabilen Forschungsteams, vor allem in Universitäten, der größte Hemmschuh für originelle und effiziente Forschung ist. Insbesondere fehlt es in den akademischen Einrichtungen an Bereitschaft, die Risiken der Drittmittelforschung mitzutragen und Übergangsfinanzierungen zwischen Projekten sicherzustellen. Dies führt (1) zum Ausscheiden talentierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, (2) durch ständige Neurekrutierung zu einem Missverhältnis von erfahrenen zu auszubildenden Forschenden und (3) dazu, dass Gruppenleitende und Professorinnen und Professoren mehr Drittmittelanträge stellen als sinnvoll, um finanzielle Engpässe zu vermeiden. Die Instabilität der Forschungsteams hat zur Folge, dass Leitungspersonen zu selten mit erfahrenen Mitarbeitenden kooperieren, die sie entlasten können. Die Überlastung wiederum mindert die Qualität der Arbeit und die Möglichkeit, intellektuell neue Wege zu beschreiten. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, bietet die VolkswagenStiftung Hochschulen die Möglichkeit, Mitarbeitende auf Dauerstellen während der Projektlaufzeit gegenzufinanzieren – auch mit dem Ziel, die Einrichtungen zu ermutigen, in drittmittelstarken Forschungsfeldern zusätzliche Dauerstellen zu schaffen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit In den Geisteswissenschaften ist es üblich, Doktorandenstellen mit einem Umfang von 65 oder 75 Prozent auszustatten. Man erwartet aber, dass Stelleninhaberinnen und -inhaber trotzdem Vollzeit arbeiten. In den Technikwissenschaften oder der Informatik hingegen sind 100-Prozent-Stellen üblich. Zur Begründung des Missverhältnisses wird auf die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verwiesen. Hier sehen wir uns in der Verantwortung, einen akademischen Arbeitsmarkt zu schaffen, der gerade zum Karrierebeginn gerecht ist. Deshalb erwartet die Stiftung künftig in jedem Antrag ein detailliertes Stellenkonzept. Mit gut begründeten Erläuterungen, warum das Projekt oder Teile davon am besten von Doktoranden, Postdocs oder den Antragstellenden selbst durchgeführt werden sollen. Auch der Stellenumfang muss aus den Erfordernissen des Projekts und nicht aus disziplinären Gepflogenheiten heraus begründet werden. Heterogene Karrierewege fördern Die Studie hat uns nochmal darin bestärkt, neue Impulse für die Qualifikation jüngerer Forschender für wissenschaftsnahe Tätigkeiten auch außerhalb der Universität zu setzen. Mit der Förderinitiative „Forschung in Museen“ und der Ausschreibung „Wissenschaft und berufliche Praxis in der Graduiertenaus- | GEORG SCHÜTTE | Die Volkswagenstiftung hat in Kooperation mit Forschenden eine Studie zu Wissenschaftskulturen in Deutschland beauftragt . Diese zeigt eine Bestandsaufnahme mit Empfehlungen – von der Begutachtungspraxis über die Funktionalität vonTeams bis zu Karrierewegen . Dr. Georg Schütteist Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Zuvor war er neun Jahre Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. AUTOR Foto: Philip Bartz / Volkswagenstiftung

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