Forschung & Lehre 11/2023

Forschung & Lehre 11|23 852 MEDI Z IN dann Sorgen machen. Zwar schaffenwir immer mehr Möglichkeiten, um frühzeitig bösartige Tumore zu erkennen, gleichzeitig kommt es aber zu unnötiger Aufregung durch Fehlalarme. F&L: Mit den Möglichkeiten in der Medizin hat sich der Mensch immer mehr davon verabschieden können, Krankheiten als gegeben hinnehmen zu müssen. Spielen die Menschen mittlerweile Gott? Christian Frezza: In gewisser Weise hat der Glauben an die Wissenschaft den Glauben an Gott ersetzt. Das ist allerdings eine sehr extreme Sicht auf die Dinge. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mögen der Ansicht sein, dass sie die volle Kontrolle über ihr Forschungsgebiet haben. Das führt zu Szientismus. Das habe ich beispielsweise während der Coronapandemie beobachtet. Im menschlichen Miteinander beim Umgang mit Krankheiten geht es um mehr als nur um wissenschaftliche Fragen. Wenn es um Gesundheit geht, ist es komplizierter als man denkt. F&L: Welche Rolle spielt dies bei Ihren Forschungen? Christian Frezza: Wir beschäftigen uns in unserem Labor mit Alterungsprozessen, speziell mit Stoffwechselprozessen bei altersbedingten Erkrankungen. Wir beschäftigen uns mit den Ursachen und Folgen des Alterns und wollen diese stoppen. In einer säkularisierten Welt haben wir uns von der Vorstellung verabschiedet, dass Gott unsere Lebenszeit festlegt. Doch unsere Lebenszeit hängt von sehr vielen weiteren Variablen ab, die wir nicht beeinflussen können. Es besteht also die Gefahr, dass die Medizin zu sehr das Leben von Menschen bestimmt. F&L: In regelmäßigen Abständen wird, vor allem in den Medien, verkündet, dass Krebs aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse endlich heilbar sei. Wie denken Sie darüber? Christian Frezza: (Überlegt länger) Es stimmt, dass man in den letzten Jahren bei der Behandlung von Krebs große Fortschritte verzeichnen konnte. Aber, man darf nicht vergessen: Krebs ist eine sehr komplexe Erkrankung. Jede einzelne bösartige Tumorerkrankung hat ihre eigenen, sehr speziellen Ursachen und ihre höchst individuelle Entwicklung und braucht eine auf sie zugeschnittene Behandlung. Ich bin der Meinung, dass es viel wichtiger ist zu fokussieren, wie man Krebs verhindern kann. F&L: …und wo sollte man da mehr hinschauen? Christian Frezza: Der Mensch ist ein komisches Wesen. Wir wissen sehr viel über die von uns beeinflussbaren Risikofaktoren, durch die Krebs begünstigt wird, und die wir durch eine Änderung unseres Lebensstils so gut es geht minimieren könnten. Ein Beispiel ist hier das Rauchen. Wir wissen es, aber es gelingt uns nicht, dem Zigarettenkonsum besser Herr zu werden. Auch Alkohol ist ein entscheidender Risikofaktor, den wir nicht in den Griff bekommen. Dafür müssten die betroffenen Menschen bereit sein, ihren Lebensstil zu ändern, was nur schwer funktioniert. F&L: Wie können wir als Menschen lernen, schweren Erkrankungen in unserem Leben besser zu begegnen? Christian Frezza: Als Menschen müssen wir uns immer wieder fragen, wer wir selbst sind, eine Art Introspektion betreiben, um sich selbst kennenzulernen und gesund zu bleiben. Denn die seelische Gesundheit beeinflusst natürlich sehr entscheidend unsere körperliche Verfassung. Wir wissen noch sehr wenig über den Einfluss von Stress oder andere psychische Verfassungen wie Depressionen auf Krebserkrankungen. Dies setzt eine andere Art von medizinischer Diagnostik voraus. Eine holistische Sicht auf die Entstehung von Krankheiten betrifft viele Parameter der Lebensführung jedes einzelnen Menschen und würde viel dazu beitragen, Krankheiten besser vorbeugen zu können und letztlich auch zu heilen. Die Fragen stellte Friederike Invernizzi. »Als Menschen müssen wir uns immer wieder fragen, wer wir selbst sind, eine Art Introspektion betreiben.« Foto: mi/xxx xxx xxx An den Arbeitsplätzen im Labor des CECAD: Vorne im Bild eine Polymerase-Kettenreaktions (PCR)-maschine, die zur Amplifikation von DNS genutzt wird und mit der die Anwesenheit und Menge von spezifischen Genen von vielfältigen biologischen Proben gemessen werden kann. Foto: Invernizzi

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