Forschung & Lehre 12/2023

12|23 Forschung & Lehre 913 FORSCHUNGSFELDER IM WANDEL len fließen, denn Forschung mit eigenen Mitteln findet so gut wie gar nicht mehr statt. Die Eigenmittel werden stattdessen benötigt, um Drittmittelprojekte kozufinanzieren. Die Drittmittelförderung ist fast nie auskömmlich, insbesondere weil Overheads – wenn sie überhaupt gezahlt werden – die Kosten nicht decken. Mit einer erhöhten Grundausstattung könnten alle Universitäten eine interne Förderung für Ungewöhnliches und Neues aufbauen, was bisher Zusatzmittel erfordert. F&L: …und wo sehen Sie die Rolle der großen Player in der Forschungsförderung? Gero Bornefeld: Geldgebern und Förderinitiativen wie der DFG und der EU stünde es gut an, neue Verfahren zu erproben. Sie sollten eine grundlegendere Überarbeitung ihrer Vergabekriterien in Betracht ziehen, um den erforderlichen Zeitaufwand der Antragsteller und der Gutachtenden zu reduzieren. Erfolgsversprechende Optionen sind zweistufige Bewerbungsverfahren, der Übergang von faktischen hin zu tatsächlichen Finanzierungslotterien oder eine allgemeine Verlagerung von der wettbewerbsorientierten Verteilung hin zu einer erhöhten Grundfinanzierung der Universitäten. Die DFG hat allerdings ein sehr gutes und lange erprobtes Verfahren der Forschungsförderung, durch das Verzerrungen bei der Entscheidung über Förderanträge aufgelöst werden können, zum Beispiel durch die Einholung weiterer Gutachten und natürlich durch das Fachkollegium, das die Entscheidungen vorbereitet. Insgesamt ist es ein sehr aufwändiger Prozess, aber für mich der beste, den es im traditionellen Peer-Review-Verfahrengibt. F&L: Wie gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der nach wie vor schwierigen Lage um und welche Folgen hat dies für die Innnovationskraft der Forschung in Deutschland? Gero Bornefeld: Die Forschenden haben sich auf das System eingestellt und leben mehr schlecht als recht damit. Die hohe Überzeichnung von Programmen, die die Umsetzung von außergewöhnlichen Forschungsideen ermöglichen, zeigen aber sehr deutlich, wo Handlungsbedarf besteht. Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass so viele gute Ideen wie möglich eine Chance bekommen sollten, verfolgt zu werden. Nichts ist besser, als wenn Forscherinnen und Forscher ihrer intrinsischen Motivation freien Lauf lassen können. Es wird automatisch Gewinnbringendes für die Gesellschaft entstehen, auch wenn das gerade zu Beginn oft nicht absehbar ist. Wenn sich eine ungewöhnliche Idee als tragfähig erwiesen hat, gibt es an den Universitäten viele Möglichkeiten, diese im Rahmen der klassischen Forschungsförderung (z. B. Kooperationsprojekte mit Unternehmen, Ausgründungen), aufzugreifen und sie in die Praxis umzusetzen. F&L: Welche Rolle wird die Künstliche Intelligenz bei der Forschungsförderung in Zukunft spielen? Gero Bornefeld: Es ergibt keinen Sinn, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu bitten, Dokumente zu verfassen, die mit KI leicht erstellt werden können. Daher hat KI das Potenzial, die Forschungsförderung radikal zu verändern, aber vielleicht anders, als man zunächst vermuten würde. Im bisherigen Antragsund Begutachtungssystem erleichtert KI Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern das Antragsschreiben, so dass diese mehr Zeit für die Forschung gewinnen können – oder aber die gewonnene Zeit nutzen, um noch mehr Anträge zu stellen und damit das klassische Begutachtungssystem mehr und mehr zu überlasten. Dieses Szenario zeigt, dass die Nutzung von KI im Antragsprozess das Gesamtsystem vermutlich nicht effizienter machen wird. Auch deshalb mein Plädoyer für die Erprobung von Losverfahren. F&L: Lassen Sie uns am Schluss noch genauer über das Losverfahren sprechen. Kann das ein zukunftsweisender Weg sein? Was spricht dafür und was dagegen? Gero Bornefeld: Grundsätzlich sollte der Weg vom „Lotteriegefühl“ in bestimmten Förderverfahren mit sehr niedrigen Bewilligungsquoten hin zu echten Losverfahren gegangen werden. In einer radikalen Variante, die auch im anfangs angesprochenen Nature-Artikel vorgeschlagen wird, wird bereits über die Möglichkeit der Teilnahme an einem Förderverfahren per Los entschieden. Alle, die formell die Ausschreibungskriterien erfüllen, dürfen teilnehmen. Nur in dieser Verlosung erfolgreiche Forscherinnen und Forscher können Anträge stellen, die dann auch bewilligt werden. Dies hätte zwei Vorteile: Es gäbe weniger Verzerrungen bei den Entscheidungen und weniger Ressourcenbindung beim Entscheidungsprozess. Der alternative Weg, dass alle Interessierten zunächst – wie üblich – ihren Antrag schreiben und dass anschließend das Los entscheidet, ist sicher der aufwändigere. Ich bin noch unsicher, was besser ist. Optimal wäre, wenn verschiedene Varianten getestet würden. Aber grundsätzlich kann ich dem Prozess des Antragschreibens viel abgewinnen, denn eine dezidierte Projektplanung ist im Sinne der guten wissenschaftlichen Praxis wünschenswert. Niedergeschriebene gute Ideen verschwinden ja auch nicht, sondern erhalten oft an anderer Stelle eine Chance. Ein wesentlicher Vorteil bei den beschriebenen Losverfahren ist: Eigenverantwortung wird gestärkt. Warum nicht auf das intrinsische Erkenntnisinteresse vertrauen? Zudem muss ja nicht das komplette System der Forschungsförderung umgebaut werden. Programme wie die Exzellenzstrategie oder die Förderprogramme der Ministerien werden sicher auf absehbare Zeit erhalten bleiben. Die Fragen stellte Friederike Invernizzi. Foto: Imauritius images / Pitopia

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=