Forschung & Lehre 12|23 920 NAHOSTKONFLIKT Einen Rahmen für Verhandlungen schaffen Der Nahostkonflikt und die Dringlichkeit einer Friedensregelung Während zunächst berechtigterweise der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf der Entwicklung der kriegerischen Auseinandersetzung und ihren unmittelbaren Folgen liegt, muss gerade im Angesicht dieser Eskalation die Frage gestellt werden, welche Perspektiven es für eine langfristige Konfliktregelung gibt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass es auch zukünftig zu gewaltsamen Konfrontationen kommen wird. Regelungsvorschläge für den Nahostkonflikt sind beinahe so alt wie der Konflikt selbst. Nachdem Großbritannien nach dem ersten Weltkrieg die Verantwortung für das vormalig osmanische Mandatsgebiet Palästina vom Völkerbund übertragen bekommen hatte, sorgten Spannungen und gewalttätige Zusammenstöße zwischen arabischer und jüdischer Bevölkerung dafür, dass die Peel-Kommission 1937 die Teilung in einen jüdischen und einen arabischen Staat empfahl. Die Vereinten Nationen (VN) griffen diese Idee im Teilungsplan von 1947 auf. Dabei waren 56 Prozent des Gebiets für einen jüdischen und 43 Prozent für einen arabischen Staat vorgesehen, während Jerusalem unter internationale Verwaltung gestellt werden sollte. Die jüdische Seite stimmte dem Plan zu, weil sie darin eine Unterstützung ihrer nationalen Ambitionen sah. Die arabischen VN-Mitglieder lehnten den Plan ab, unter anderem da sie ihn aufgrund einer arabischen Bevölkerungsmehrheit von 70 Prozent als unausgewogen betrachteten. Entwicklung seit 1948 In den folgenden Jahrzehnten war der Nahostkonflikt vor allem durch Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn dominiert, mit erheblichen Folgen für die Palästinenser. Infolge des ersten arabisch-israelischen Krieges 1948 bis 1949, bei dem Israel seine Unabhängigkeit gegen die angreifenden arabischen Nachbarstaaten verteidigen konnte, wurden rund 700000 Palästinenser zu Flüchtlingen. Der Sechstagekrieg von 1967 ging mit dem Beginn von Besatzung und Besiedlung des Gazastreifens, Westjordanlandes und Ostjerusalems einher. Die Frage der Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts gewann erst ab den 1980er Jahren an Bedeutung. Zum einen distanzierte sich die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) sukzessive von Terroranschlägen und bewaffnetem Kampf als Mittel zur Erreichung eines unabhängigen palästinensischen Staates. Vielmehr setzte die PLO auf internationale Anerkennung – insbesondere innerhalb der VN – und erkannte Israel 1988 im Zuge der Ausrufung eines unabhängigen Staats zumindest implizit an. Zum anderen reifte auf israelischer Seite angesichts der gewaltsamen Eskalation der ersten Intifada ab 1987 die Erkenntnis, dass nur substanzielle Zugeständnisse gegenüber den Palästinensern, die Situation in den besetzten Gebieten befrieden könnten. Im Zuge der Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 erkannten sich Israel und die PLO gegenseitig an. Der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wurde in begrenztem Rahmen die Selbstverwaltung über die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten übertragen. Zentrale Streitfragen – Territorialfragen, der Status Jerusalems, die Frage der palästinensischen Flüchtlinge und der jüdischen Siedlungen – wurden jedoch ausgespart. Sie sollten im Rahmen einer Übergangsperiode geregelt werden. Das Scheitern dieses Versuchs am Ende der Amtszeit von US-Präsident Clinton in Camp David im Sommer 2000 sorgte für große Enttäuschung in Israel und Palästina. Beide Seiten machten sich gegenseitig dafür verantwortlich. In dieser angespannten Situation genügte die gezielte Provokation des israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon, den Tempelberg/Haram al-Scharif in Jerusalem zu besuchen, um die zweite Intifada (2000-2005) auszulösen. Folgen der Intifada seit 2005 Im Angesicht der Gewalt der zweiten Intifada setzte sich in Israel die Idee einer Abkopplung von der palästinensischen Bevölkerung durch. Im Westjordanland ließ die israelische Regierung eine Trennmauer bauen, die vor allem deshalb umstritten ist, weil sie zu 85 Prozent nicht auf der Grünen Linie – die den de-facto-Grenzverlauf vor dem Krieg von 1967 markiert – verläuft und daher vom Internationalen Gerichtshof als völkerrechtswidrig eingestuft wurde. Parallel dazu setzte der israelische Premierminister Scharon 2005 den Abzug israelischer | JAN BUSSE | Der brutale terroristische Anschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der darauffolgende israelische Angriff auf den Gazastreifen haben den Nahen Osten erschüttert und den Nahostkonflikt wieder in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit gebracht. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die internationale Politik? Dr. Jan Busseist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität der Bundeswehr München. AUTOR Foto: UniBw M/ Siebold
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