Forschung & Lehre 04/2024

4|24 Forschung & Lehre 245 NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre .de Wissenschaftsbarometer 2023 Ein Großteil der befristet beschäftigten Postdocs erwägt ernsthaft einen Ausstieg aus der Wissenschaft, bedingt durch eine hohe Arbeitsbelastung und unzureichende berufliche Perspektiven. Konkret sind es 71 Prozent, wie aus dem Barometer der Wissenschaft 2023 hervorgeht, das einen detaillierten Einblick in die Arbeits- und Forschungsbedingungen an deutschen Universitäten und Hochschulen bietet. 11 371 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nahmen an der vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung durchgeführten Wissenschaftsbefragung im Jahr 2023 teil. Die Mehrheit der Promovierenden bevorzugt demnach eine Karriere in der Wissenschaft, jedoch streben nur noch 16 Prozent der Promovierenden eine Professur an. Trotz einiger Verbesserungen in den letzten Jahren bleibe die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses jedoch weiterhin herausfordernd. Neben der unzureichenden Betreuung und den eingeschränkten Karriereperspektiven würden vor allem die nicht wettbewerbsfähigen Einkommensmöglichkeiten als Problemfelder identifiziert. Die Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung im Mittelbau nähmen zu. Das Barometer der Wissenschaft offenbart eine Vielzahl an Erkenntnissen, die auf substanzielle Unterschiede innerhalb verschiedener Fächergruppen und akademischer Statusgruppen hinweist. So wiesen Professorinnen und Professoren die höchste berufliche Zufriedenheit auf, während Juniorprofessorinnen und -professoren im Vergleich dazu deutlich häufiger unzufrieden sind. Generell sei die berufliche Zufriedenheit an deutschen Hochschulen recht hoch, wobei Professorinnen und Professoren in den meisten Bereichen laut Studie deutlich zufriedener sind als ihre nicht-professoralen Kolleginnen und Kollegen. In Professuren und Juniorprofessuren Beschäftigte arbeiteten zwar im Durchschnitt mehr Stunden, hätten aber faktisch weniger Forschungszeit zum Publizieren. Trotzdem seien sie publikationsstärker und stärker in die Drittmittelakquise und Gremienarbeit eingebunden als Postdocs und Prädocs. Aus der Studie geht auch hervor, dass trotz innerer und äußerer Herausforderungen die Befragten die Autonomie und Forschungsfreiheit an deutschen Hochschulen weiterhin positiv bewerten. Allerdings werde die Wertschätzung durch die Gesellschaft und die Leistungsgerechtigkeit im Wissenschaftssystem negativ beurteilt. Einigung zum WissZeitVG undTarif-Initiative in Hessen Die Bundesregierung hat eine Einigung über neue Regeln für befristete Arbeitsverträge an Hochschulen bekannt gegeben. Nach der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) dürfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Postdoc-Phase nach ihrer Promotion künftig nur noch vier statt sechs Jahre befristet beschäftigt werden. Weitere zwei Jahre sind nur mit einer verbindlichen Anschlusszusage erlaubt. Die Novelle muss jedoch erst noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen. Die Hochschulrektorenkonferenz hatte vorab in Frage gestellt, dass die geplante Gesetzesnovelle wie vom Ministerium beabsichtigt zu einem Zuwachs an unbefristeten Stellen führen könnte: „Mehr unbefristete Stellen erfordern in erster Linie mehr dauerhafte Mittel für die Grundfinanzierung der Hochschulen“. Das Bundesland Hessen kündigte kürzlich entsprechende Zusagen an. In den Verhandlungen über die Anschlussregelungen an den im Januar 2024 ausgelaufenen Tarifvertrag hat sich das Land laut eigenen Angaben dazu verpflichtet, die Zahl an unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen von wissenschaftlich Beschäftigten auf mindestens 1 850 Stellen (Vollzeitäquivalente) auszubauen. Das Ziel bezeichnete Wissenschaftsminister Timon Gremmels in einer Pressemitteilung des Landes als einen „guten Kompromiss“, um die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen zu verbessern. Auch stärke der Beschluss die Autonomie der Hochschulen. Die finanziellen Zusagen für den Ausbau der Stellen müssen laut Mitteilung noch in den Verhandlungen zur nächsten Laufzeit des Hessischen Hochschulpakts festgehalten werden. Der aktuelle Pakt läuft bis 2025. In den Verhandlungen sei auch zu definieren, wer von einer Entfristung profitieren könne und zu welchem Zeitpunkt in der wissenschaftlichen Laufbahn über eine Entfristung entschieden werde. Details dazu sollen an den Hochschulen festgelegt werden. KOMMENTAR Zukunftssicherung Immer mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland erwägen einen Ausstieg aus der Wissenschaft. Kettenbefristungen, eine hohe Arbeitsbelastung und fehlende Karriereperspektiven lassen in Zeiten des Fachkräftemangels den Arbeitsplatz Hochschule zunehmend unattraktiv erscheinen, eine Entwicklung, der dringend etwas entgegengesetzt werden muss – aus Wertschätzung gegenüber individueller Leistung sowie im Interesse einer hohen Qualität von Forschung und Lehre. Prädocs und Postdocs sind die Zukunft des Wissenschaftssystems. Sie formen die Wissenschaft von morgen mit. Nicht alle wollen und nicht alle werden langfristig in der Wissenschaft arbeiten können. Erforderlich sind institutionalisierte, frühzeitige und klare Gespräche über Perspektiven an der Hochschule sowie der entschlossene Ausbau planbarer Karrierewege für diejenigen, die gewonnen werden sollen. Wissenschaftliche Neugier und die Leidenschaft, Erkenntnissen an andere zu vermitteln, verdienen Honorierung. Insbesondere die Bundesländer müssen hinreichend finanzielle Mittel bereitstellen, damit verlässliche Karrierepfade auch entstehen können. Es ist eine Investition, die sich auszahlt – nicht nur für die Wissenschaft, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Katrin Schmermund

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