Forschung & Lehre 04/2024

Forschung & Lehre 4|24 252 VERANTWORTUNG Schwierige Folgen- und Risikoabschätzung Selbstverwaltung der Wissenschaften im Spannungsfeld von Forschungsfreiheit und Forschungsverantwortung In Zeiten wachsender globaler geopolitischer Spannungen, komplexerer Forschungsinnovationen, etwa bei Informationstechnologien, und der bestehenden Notwendigkeit von internationalen Forschungskooperationen mit teils schwierigen Partnerländern stehen Forschende vor großen Herausforderungen. Ebenso wird das öffentliche Vertrauen in die Selbstverwaltung der Wissenschaften im Spannungsfeld von Forschungsfreiheit und Forschungsverantwortung auf die Probe gestellt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina appellieren an Forschende, sich nicht mit der Einhaltung gesetzlicher Regelungen, die die Forschungsfreiheit zum Schutz anderer Güter begrenzen, zu begnügen. Sie haben aufgrund ihres Wissens, ihrer Erfahrung und ihrer Freiheit eine besondere ethische Verantwortung. Handlungsbedarf sehen die beiden Organisationen insbesondere bei besorgniserregender sicherheitsrelevanter Forschung. Diese umfasst wissenschaftliche Arbeiten, die Wissen, Produkte oder Technologien hervorbringen könnten, die unmittelbar von Dritten missbraucht werden können, um Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben erheblich zu schädigen. Forschungseinrichtungen schaffen die Rahmenbedingungen für ethisch verantwortbare Forschung. Große Bedeutung haben dabei die Instrumente der Selbstregulierung der Wissenschaften, denn sie basieren auf besonderer Sachnähe und können flexibel reagieren. Mit dem 2015 eingesetzten „Gemeinsamen Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung“ (www.sicher heitsrelevante-forschung.org) fördern DFG und Leopoldina die Umsetzung ihrer gemeinsamen „Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung“ mit dem Ziel, die entsprechende Selbstverwaltung der Wissenschaften zu stärken. Dual-Use Die Forschungsfreiheit ermöglicht es Forschenden, wissenschaftliche Fragestellungen eigenverantwortlich zu bearbeiten und sich frei untereinander auszutauschen. Sie ist damit wesentliche Grundlage für den Fortschritt, dient der Wissensvermehrung, fördert Gesundheit, Wohlstand und Sicherheit der Menschen sowie den Schutz der Umwelt. Forschungsergebnisse und -methoden können bekanntlich auch zu schädigenden, zum Beispiel militärischen, politischen oder kriminellen Zwecken missbraucht werden. Prinzipiell treten sicherheitsrelevante Forschungsrisiken, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, in nahezu allen Disziplinen, in der erkenntnisgeleiteten Grundlagenforschung ebenso wie in der anwendungsorientierten Forschung auf: In der Verteidigungstechnik könnten die Materialforschung und die Nanotechnologie zur Entwicklung von Angriffswaffen führen; Forschung zu autonom agierenden Industrie- und Haushaltsrobotern könnte zur Konstruktion intelligenter Kriegsmaschinen befähigen. Forschungsergebnisse zu pathogenen Mikroorganismen und Toxinen sind möglicherweise auch für neueBiowaffen und für terroristische Anschläge nutzbar; molekulare Pflanzengenetik zu Züchtungszwecken könnte gezielte Angriffe auf Saatgut ermöglichen. Forschungen in der Informationstechnologie, beispielsweise zu Bewegungsanalysen und zur Biometrie, könnten zur umfassenden Überwachung und Repression von Personen genutzt werden. Um die Cybersicherheit zu verbessern, | BRITTA SIEGMUND | JOHANNES FRITSCH | Wann wird wissenschaftliches Arbeiten zu „besorgniserregender sicherheitsrelevanter“ Forschung? Wie kann verhindert werden, dass wissenschaftliche Ergebnisse missbraucht werden und Schaden anrichten? DFG und Leopoldina geben Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung . ProfessorinBritta SiegmundistDirektorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie an der Charité, Vizepräsidentin der DFG und Vorsitzende des Gemeinsamen Ausschusses zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung. Dr. Johannes Fritschist Leiter der Geschäftsstelle des Gemeinsamen Ausschusses zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung, Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. AUTOREN »Forschungseinrichtungen schaffen die Rahmenbedingungen für ethisch verantwortbare Forschung.« Foto: Leopoldina Foto: Charité

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