4|24 Forschung & Lehre 253 VERANTWORTUNG entwickeln Forschende häufig intendiert kompromittierende Hard- und Software und brechen Verschlüsselungsverfahren. Wissenschaftliche Arbeiten in der Psychologie, Medizin und Neurobiologie könnten die Manipulation von Personen bis hin zu aggressiven Vernehmungstechniken und Folter unterstützen. Assistenzsysteme für körperlich eingeschränkte Personen könnten missbräuchlich Informationen direkt am Gehirn abgreifen. Soziologische Verhaltensforschung zu den Grundlagen der Radikalisierung terroristischer Attentäter könnte eine fundierte Grundlage für neue Rekrutierungsstrategien schaffen. Die Liste lässt sich nahezu beliebig erweitern. Dieser Dual-Use erschwert die klare Unterscheidung von nützlicher und schädlicher Forschung, Verteidigungs- und Angriffsforschung, Forschung für friedliche und kriminelle Anwendungen. Die Beurteilung ist nicht zuletzt aufgrund der oft noch unbekannten zukünftigen Handlungsketten sowie der schwierigen Folgen- und Risikoabschätzungen diffizil. Aber auch die Unterlassung von Forschung oder derenVeröffentlichung kann problematisch werden, etwa wenn die Entwicklung von Therapien, Impfstoffen und weiteren Schutzmaßnahmen dadurch blockiert wird oder wichtige Innovationen ausbleiben, die dem Gemeinwohl dienen, beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, dem Schutz der Umwelt und des Klimas. Risikoerkennung und -bewertung Die DFG und Leopoldina setzen sich dafür ein, dass Forschende eine unmittelbare und mittelbare Schädigung von schutzwürdigen Gütern so weit wie möglich vermeiden oder vermindern. Neben der Machbarkeit der Forschung sollen auch deren Folgen und ihre Beherrschbarkeit berücksichtigt werden. Forschende müssen im Einzelfall eine persönliche Entscheidung treffen, inwieweit zum Beispiel Menschenwürde, Umwelt, Eigentum oder ein friedliches Zusammenleben zu schützen sind, auch wenn die entsprechenden Sachverhalte gesetzlich nicht unmittelbar geregelt sind. Damit sind den Wissenschaften auch ethische Grenzen gesetzt. Die Kenntnis möglicher Risiken ist die Voraussetzung für verantwortliche Forschung. Die Vermeidung oder zumindest die Kontrolle von Forschungsrisiken bedarf daher zunächst der Bewusstmachung einschlägiger Gefahren. Dabei sind stets auch die oben genannten Risiken der Unterlassung von Forschung zu berücksichtigen. Für Forschende ist zudem die Fragestellung relevant, inwieweit ihre Ergebnisse und Methoden von anderen Personen zu schädlichen Zwecken missbraucht werden können. Risikoanalyse und Folgenabschätzung verlangen daher eine Offenheit des Denkens. Für Forschende kann es insbesondere erforderlich sein, sich über den Kontext des Forschungsvorhabens oder die Auftraggebenden und Kooperationspartnerinnen und -partner frühzeitig zu informieren. Da all das mit großen Herausforderungen verbunden ist, sind Forschungseinrichtungen aufgefordert, dies durch die Bereitstellung von rechtlichen Compliancestellen, Schulung und Ausbildung sowie beratenden Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEFs) zu unterstützen. »Die Vermeidung oder zumindest die Kontrolle von Forschungsrisiken bedarf zunächst der Bewusstmachung einschlägiger Gefahren.« Foto: mauritius images / Alamy
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