261 4|24 Forschung & Lehre VERANTWORTUNG spielsweise, dass ich aus meiner Forschung heraus klären kann, wann die Verwendung des Begriffs der Toleranz angezeigt ist und wann nicht – etwa dort nicht, wo man indifferent ist, und auch nicht dort, wo einem Diversität besonders wichtig ist (was beides aber oft als Toleranz bezeichnet wird). Zur Toleranz gehört es nämlich, dass man die Überzeugungen oder Handlungen, die man toleriert, als problematisch ansieht – aber auch gute Gründe sieht, sie gleichwohl zu tolerieren. Ferner kann man historisch zeigen, welch unterschiedliche Toleranzvorstellungen sich entwickelt haben – von stark hierarchischen („Dulden heißt beleidigen“, sagte Goethe) bis hin zu egalitären, wo Mehrheiten die gleichen Rechte von Minderheiten anerkennen, am kulturellen und beruflichen Leben teilzuhaben und es mitzubestimmen – auch mit Kopftuch.Von dort aus mag der Weg zu konkreter politischer Parteinahme kurz erscheinen, etwa zur Verurteilung von Antisemitismus oder Muslimfeindlichkeit. Aber dann sprechen wir nicht mehr primär mit wissenschaftlicher Autorität, sondern mit der von engagierten Bürgerinnen und Bürgern – als Gleiche unter Gleichen. Das impliziert die Praxis der Verantwortung. Spektrum unter dem Radar Mir geht nicht aus dem Kopf, was ein Mitarbeiter beim Institutstreffen sagte: „Ich bin froh, dass hier meine Auswertungen auch einmal nicht signifikant sein dürfen!“ Als Leitung fühlt man sich zunächst geschmeichelt, aber was hat er damit indirekt über den Zustand der Wissenschaft gesagt? Oder die Kommission, die Forschungsanträge zu begutachten hatte. Ein Antragsteller kündigte mit entwaffnender Offenheit an, dass so lange statistisch getestet würde, bis ein Ergebnis signifikant sei. Wie kommt er darauf, wo doch alle Regelwerke vor multiplen Testungen ohne Prüfplan warnen (solche Praktiken erhöhen das Risiko für den sog. -Fehler, das heißt Zusammenhänge anzunehmen, wo tatsächlich keine sind). Jedenfalls gab es Augenzwinkern in der Runde: „Jaja, so läuft das“. Ab und zu werden Betrugsfälle öffentlich. Die oben genannten Indizien weisen jedoch darauf hin, dass dies nicht die ganze Geschichte ist. Unter dem Radar existiert ein Spektrum von Korrektheit über mangelnde Integrität bis hin zu klarer Fälschung. Will eine Leitung daran etwas ändern, also ihre Verantwortung wahrnehmen, wird sie sich die Finger verbrennen: die Publikationsleistungen (Impact Factor) werden sinken, man rutscht ins hintere Drittel der Vergleichstabelle, vielleicht werden sogar Mittel gekürzt. Diese Intervention unterbleibt also. In die medizinische Forschung fließt nicht nur viel Geld, auf ihr ruhen auch so viele Hoffnungen: Wie können wir dafür sorgen, dass diese nicht enttäuscht werden? Globale Herausforderungen Ich sehe es als meine Aufgabe, über meine Wissenschaft – Forschung, Politikberatung, Lehre und Ausbildung – einen Beitrag zu nachhaltigen Zukünften in einer von Differenzen geprägten Welt zu leisten. Als Wissenschaftlerin am Institute of Development and Sustainability, das nicht nur ein Forschungsinstitut, sondern auch ein Think Tank ist, untersuche ich politikrelevante Forschungsfragen und bringe meine Forschungsergebnisse auf nationaler und internationaler Ebene in die relevanten Politikprozesse ein, sei es in der deutschen Regierung, in Niedrig- und Mitteleinkommensländern oder in internationalen Organisationen wie WTO oder UN. Ich sehe es auch als meine Verantwortung, in der öffentlichen Debatte über Entwicklungsfragen zu informieren. Es geht dabei heute nicht mehr um eine klassische „Nord-Süd“-Agenda, in der reiche Industrieländer armen Ländern dabei helfen, die Armut zu verringern. Es geht vielmehr um globale Kooperation zu globalen Herausforderungen. Denn wir, die „alten“ Industrienationen, stehen immer häufiger vor grenzüberschreitenden Problemen, wie dem Klimawandel, die kein Staat allein lösen kann. Ich Foto: Fotostudio Althaus Foto: mauritius images / fStock Image Norbert Donner-Banzhoff ist Professor i. R. am Zentrum für Methodenwissenschaften und Gesundheitsforschung an der Philipps-Universität Marburg. Clara Brandi ist Abteilungsleiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und Professorin für Entwicklungsökonomik an der Universität Bonn. Foto: Privatr
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