265 4|24 Forschung & Lehre NOBELPREIS in kürzester Zeit als Signal bearbeitet und prozessiert wird. Elektronen sind Bestandteil von Materialien, aus denen man Brücken oder Hochhäuser bauen kann. Die Attosekundenmesstechnik wurde geschaffen, um die Bewegungen dieser Teilchen direkt beobachten zu können. Daraus können sich sicherlich viele Anwendungen in der Zukunft ergeben. Doch wissen wir aus der Geschichte der Wissenschaft, dass Spekulationen darüber nicht viel nützen. Je mehr eine Gesellschaft allerdings bereit ist, in die Grundlagenforschung zu investieren, umso mehr kann man erhoffen, dass Entdeckungen mit großer Tragweite in unserem Land gemacht werden. F&L: Wie stelle ich mir die gemeinsame Arbeit mit den beiden anderen Preisträgern Prof. Agostine und Prof. Huillier vor? Ferenc Krausz: Die Frage ist einfach zu beantworten, denn wir haben gar nicht zusammengearbeitet. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie großartig Wissenschaft ist: Wir sind gegenseitige Nutznießer, auch wenn wir uns persönlich gar nicht kennen. Meine Forschung hat von der der beiden anderen Preisträger über deren wissenschaftliche Veröffentlichungen profitiert. Aber direkt zusammengearbeitet haben wir nicht. F&L: Kommen wir auf die dunklen Momente im Forscherdasein zu sprechen. Wie sind Sie mit Rückschlägen auf dem Weg zum Nobelpreis umgegangen? Ferenc Krausz: Für mich war immer klar, dass der Weg, den ich eingeschlagen hatte, mein Weg ist und bleibt. Die Frage, ob ich mich grundsätzlich weiter der Forschung widmen will, hat sich mir nie gestellt. Allein der faszinierende Gedanke, dass man etwas entdecken könnte, was noch kein Mensch zuvor gesehen hat, der hat mich nie losgelassen. Es kamen natürlich immer wieder Zweifel auf, ob ein bestimmter Weg zur Erreichung eines bestimmten Ziels der richtige ist. Das ist aber für mich Alltag, denn es kommt bei meinen Forschungen sehr oft vor, dass man immer wieder Entscheidungen überdenken muss. Das sind schwierige Situationen, denn wenn schon sehr viel Arbeit von Doktorandinnen, Doktoranden und anderen Mitarbeitenden investiert wurde, dann fühlt es sich zunächst so an, als wäre die Arbeit umsonst gewesen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, insbesondere die Führungspositionen innehaben, müssen sehr früh lernen, dass ein Weg, der sich als Sackgasse herausgestellt hat, kein Scheitern ist. Oft ist es vielmehr eine neue Chance, denn die Blockade zwingt dazu, einen Schritt zurückzutreten und noch einmal gründlich zu überlegen. Auf diese Art und Weise entstehen dann Ideen, die zu Durchbrüchen führen können. Misserfolge führen dazu, dass man gezwungen ist, tatsächlich ganz tief nachzudenken und grundlegend aus dem Schema, in dem man bisher gedacht und Überlegungen angestellt hat, auszubrechen und sich etwas Neues zu überlegen. F&L: Sie stammen aus Ungarn, haben dort studiert, sind dann nach Wien gewechselt. Seit 2003 leben und forschen Sie in Deutschland. Wie schätzen Sie die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung in Deutschland ein? Ferenc Krausz: Uns Forscherinnen und Forschern geht es hier in Deutschland sehr gut. Natürlich wäre punktuell auf gewissen Gebieten mehr Förderung durchaus wünschenswert. Aber ich glaube, im internationalen Vergleich steht Deutschland mit seinem Wissenschaftssystem hervorragend da und kann darauf wirklich stolz sein. Wir werden darum aus der ganzen Welt beneidet. Die Politiker des Landes würde ich bitten, nicht zu ehrgeizig in dem Bestreben zu sein, dieses System reformieren zu wollen, denn es hat sich über viele Jahre bewährt. F&L: Wie gefährdet ist die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland? Ferenc Krausz: Wir haben hier gute Bedingungen, was die wissenschaftliche Freiheit angeht. In den Ländern, in denen ich bisher geforscht habe, sei es in Österreich, sei es in Deutschland, mittlerweile seit einigen Jahren auch wieder intensiv in Ungarn, habe ich mich allerdings in meiner wissenschaftlichen Freiheit nie eingeschränkt gefühlt. Vielleicht sollte man hier tatsächlich zunächst mal die Begrifflichkeit klären. Was versteht man eigentlich unter wissenschaftlicher Freiheit? Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler grundsätzlich die Möglichkeit haben, Vorschläge zu machen und Anträge einzureichen, dann ist in meinen Augen Freiheit da. Natürlich können wir als Forscher nicht alles umsetzen, was wir uns vorstellen, denn schließlich hängt das von der Finanzierung der Förderorganisationen ab. Wir müssen uns immer wieder messen lassen und im Wettbewerb um Mittel gewissermaßen kämpfen, indem wir überzeugen, dass das, war wir vorhaben, Potenzial bietet. Wenn ein Vorhaben abgelehnt wird, dann ist es eigentlich keine Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit, sondern das sind die nötigen Rahmenbedingungen für hochwertige Forschung. Es kann nur eine gewisse Anzahl von Forschungsprojekten in einem Land zu einem gewissen Zeitpunkt ermöglicht werden. Das hat etwas mit begrenzten Ressourcen zu tun. F&L: Fühlen Sie sich denn an anderer Stelle in Ihrer Forschung eingeschränkt? Ferenc Krausz: Ja, meine Zeit, in der ich forschen möchte und sollte, wird immer mehr eingeschränkt. Wir werden mit Aufgaben überhäuft, die für die Außenwelt gar nicht sichtbar sind. Wenn ich beispielsweise ein Gutachten zu Berufungen erstellen muss, dann kann ich daran locker mehrere Tage arbeiten, und draußen in der Welt bekommt niemand was davon mit. F&L: Sie haben kurz nach Beginn des Ukrainekriegs eine Organisation* gegründet, um in der Ukraine Kinder und Jugendliche in ihrer Ausbildung zu unterstützen. Sollten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mehr Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen? Ferenc Krausz: Ich möchte hierzu niemandem Empfehlungen geben. Ich kann nur berichten, dass es unbeschreiblich erfüllend sein kann, wenn man Notleidenden in einem Krieg, von dem wir uns gar nicht vorstellen konnten, dass es ihn heute noch geben kann, Hilfe, und sei sie auch noch so bescheiden, zukommen lassen kann. Das tun wir mit den Spenden, die wir mit unserer Organisation „Science4people“ sammeln, und erleben, welche Freude wir damit Kindern und Jugendlichen in der Ukraine machen können. Ich ermutige jeden, einen noch so kleinen Beitrag zu leisten. Die Fragen stellte Friederike Invernizzi. *Internationale Initiative https://www.science4people.org/
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