Forschung & Lehre 04/2024

266 Forschung & Lehre 4|24 WISSENSCHAFTLICHE KARRIERE Der Wert einer Publikation Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zwischen Ökonomie und Qualitätssicherung Neben dem Zwang zur Einwerbung von Drittmitteln und zur Internationalisierung besteht die Gefahr, dass die ökonomisierte Universität die persönliche Lebenszeit ihrer Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler entwertet. Befristete Arbeitsverträge in Teilzeit, terminlich höchst ambitionierte Forschungsdesigns und freiwillige Lehrverpflichtungsübernahmen von abhängig Beschäftigten werden schleichend zur Normalität. Ein weiterer Faktor erhöht den Druck: Entscheidend für individuelle Karrierefortschritte in der Wissenschaft ist unter anderem der Publikations-Output. In jüngerer Zeit hat insbesondere für kumulativ angelegte Qualifizierungsvorhaben das Modell des Open Access stark an Bedeutung gewonnen. Diese Veröffentlichungsform ist für die Medienanbieter ökonomisch lukrativ und wird zudem verbreitet als transparente wissenschaftliche Praxis angesehen. Allerdings wurden zuletzt zunehmend Fragen danach laut, ob Verlage, die sich durch Open Access profilieren, angesichts der enormen Publikationszahlen in regelmäßig erscheinenden Zeitschriften und Sonderheften überhaupt noch grundlegende wissenschaftliche Prinzipien garantieren können. Kritiker sehen – im Hinblick auf den Druck auf die Gutachter, die extrem eng getakteten Begutachtungsprozesse, die grundsätzliche Möglichkeit, Gutachten zurückzuhalten und die Steuerung des gesamten Prozesses durch fachlich unzureichend qualifizierte Editoren – ein Indiz dafür, dass ökonomische Motive (in Einzelfällen?) bereits die Oberhand über die wissenschaftliche Qualität der Publikationen gewonnen haben. Wenn sich eine Autorin oder ein Autor nicht darauf verlassen kann, dass die Ergebnisse und Texte in angemessener Zeit gründlich und fachkundig begutachtet werden, sind Peer-Review-Verfahren und hohe Publikationsgebühren von zum Teil vielen Tausend Euro obsolet. Schnelle Review-Verfahren und hohe Impact Factors In forschungsbezogenen und universitären Bewerbungsverfahren spielen ungeachtet der offenkundig pekuniär bedingten Problematiken unverändert die bloße Anzahl von Publikationen und deren Impact Factor eine entscheidende Rolle. Anfang 2023 verlor eine der größten Zeitschriften der Welt („International Journal of Environmental Research and Public Health“) ihren Eintrag im Web of Science und damit formal ihren Impact Factor. Offiziell wurde dies damit begründet, dass Artikel außerhalb der originären Themenbereiche der Zeitschrift veröffentlicht worden seien. Vermutlich die Folge zu schnell durchgeführter Review-Verfahren oder nicht ausreichend qualifizierter Editoren. Die betreffende Zeitschrift kämpft seitdem mit einem massiven Imageverlust. Ein solcher Vorgang kann für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sehr konkrete und im Einzelfall sogar katastrophale Folgen haben. Wenn sie zum Beispiel bei einer solchen Zeitschrift eines ihrer für die Promotion notwendigen Paper veröffentlicht hatten, stünde das entsprechende Paper dann formal mit solchen Veröffentlichungen auf einer Stufe, die aus ganz anderen – und möglicherweise gravierenderen – Gründen in einer nicht im Web of Science gelisteten Zeitschrift veröffentlicht wurden. Und das, obwohl das entsprechende Paper mit größter Sorgfalt und allen Gütekriterien genügend angefertigt wurde. Die Entscheidung für speziell diese Zeitschrift fiel möglicherweise wegen des verlockend schnellen Review-Verfahrens und des vergleichsweise hohen Impact Factors. Musste die Promovendin beziehungsweise der Promovend vor dem Hintergrund eines ablaufenden Arbeitsvertrags entscheiden, ob ein schnelles Review-Verfahren zu riskant sein könnte und solide Arbeit besser ist? Oder hätte sie bzw. er gar den Zusammenbruch der ganzen Zeitschrift antizipieren müssen? Ist es diese Gewissensentscheidung zwischen (zugespitzt formuliert) guten Karrierechancen einerseits und guter wissenschaftlicher Praxis andererseits, die wir dem Nachwuchs neben allen weiteren Belastungen zumuten möchten? DORA: Alternative oder leeres Versprechen? Vor dem Hintergrund einer drohenden Entwertung solcher wissenschaftlichen | JAN ELLINGER | STEPHAN ELLINGER | Der Publikations-Output ist nach wie vor ein Karrierebeschleuniger, insbesondere für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Voraussetzung dafür sind qualitätsvolle Begutachtungsprozesse . Eine Kritik . Dr. Jan Ellinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sportund Gesundheitsdidaktik an derTechnischen Universität München. Professor Stephan Ellinger ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. AUTOR Foto: privat Foto: privat

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