Forschung & Lehre 04/2024

Forschung & Lehre 4|24 276 CHINA Mehr China-Kompetenz notwendig Nutzen und Risiken der wissenschaftlichen Zusammenarbeit Forschung & Lehre: Herr Professor Böing, das Innovationssystem Chinas erscheint für außenstehende Akteure durchaus komplex. Wie beurteilen Sie das? Philipp Böing: Das chinesische Innovationssystem ähnelt den Innovationssystemen der OECD-Länder. Der Unterschied besteht jedoch in der stärkeren Rolle des Staates, sowohl im Forschungs- als auch im Unternehmenssektor. Insbesondere Staatsbetriebe orientieren sich nicht ausschließlich an profitmaximierenden Anreizen, wie es tendenziell in einer Marktwirtschaft der Fall wäre, sondern folgen staatlichen Vorgaben. Die Komplexität des chinesischen Innovationssystems wird durch das Zusammenspiel auf zentralstaatlicher und regionaler Ebene erhöht. Hinzu kommt die dynamische Entwicklung von Chinas geopolitischem Umfeld und die Bemühungen der chinesischen Regierung, zeitnah darauf zu reagieren. Dies führt zu einer Vielzahl von parallelen Innovationsaktivitäten und somit zu einer erhöhten Interdependenz. Selbst chinesische Akteure haben Schwierigkeiten, den Überblick zu behalten. Es ist also nicht überraschend, dass es für Außenstehende schwierig ist, die Komplexität zu durchdringen. Auch werden neu eingeführte Maßnahmen nicht immer zu Ende geführt oder im Nachhinein evaluiert, wie es in der EU typischerweise der Fall wäre. In China versucht man eher, auf der Welle zu bleiben und mit neuen Maßnahmen relevante Impulse zu setzen. Trotzdem orientieren sich solche Maßnahmen auch an einer Langfristplanung. Der aktuelle 14. FünfJahres-Plan stellt Innovation klar in den Vordergrund und fordert verstärkte Anstrengungen in der Grundlagenforschung. Neben den Fünf-Jahres-Plänen gibt es auch 15-Jahres-Pläne, die mittelbis langfristige Entwicklungsziele für die Zukunft definieren. Die Effektivität der Umsetzung von innovationspolitischen Instrumenten bleibt jedoch fraglich: In einer aktuellen Studie haben wir die Wirksamkeit von F&E-Förderung untersucht und festgestellt, dass in dem Untersuchungszeitraum ein Problem aufgetreten ist: Die geförderten Unternehmen haben die F&E-Subventionen teilweise zweckentfremdet. Nahezu 60 Prozent der Fördermittel wurden nicht für F&E ausgegeben, sondern anderweitig verwendet. F&L: Sie meinen Korruption? Philipp Böing: Korruption ist nach wie vor ein Problem in China. Ein Teil der Fördermittel wurde allerdings auch in Investitionen ohne F&E-Bezug umgeleitet. Unsere Studie zeigt, dass die Zweckentfremdung der F&E-Subventionen dazu führte, dass Chinas Innovationspolitik nur halb so wirksam war, wie sie es bei optimaler Implementierung hätte sein können. Es ist jedoch zu beachten, dass wir nur so genau analysieren können, wie es die verfügbaren Daten zulassen. Viele Mikrodaten in China sind für die Forschung nicht zugänglich, weder für chinesische noch für ausländische Forscherinnen und Forscher. Es bleibt unklar, ob innerhalb der zuständigen chinesischen Behörden vergleichbare Evaluationen durchgeführt werden und mit welcher Genauigkeit dies geschieht. F&L: Für Ihre Forschung sind Sie auch auf Daten aus China angewiesen. Wie herausfordernd ist es für Sie, an Daten heranzukommen? Philipp Böing: Eine gute Kenntnis des chinesischen Systems ist notwendig, um zu ermitteln, welche Stelle die Informationen generiert, die zur Beantwortung der betreffenden Fragestellung notwendig sind. In einigen Fällen erhält man die gewünschten Informationen, in vielen Fällen allerdings nicht. Es bedarf umfassender institutioneller Detailkenntnisse. Teilweise erfolgt der Zugang zu den Daten auch über chinesische CoAutorinnen und -Autoren, die die Daten in gemeinsame Forschungsprojekte einbringen. Die volkswirtschaftliche Forschung zu China versucht, die verfügbaren Informationen so weit wie möglich für Forschungszwecke zu nutzen. Die Aufbereitung neuer Daten für quantita- | IM GESPRÄCH | Wissenschaft und Technologie stehen in China ganz oben auf der Agenda . Einblicke in das Innovationssystem Chinas und die Frage nach der China-Kompetenz in Deutschland . Philipp Böingist Professor für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität Frankfurt und dem ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim. Foto: privat

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