Forschung & Lehre 04/2024

280 Forschung & Lehre 4|24 LÄNDERBERICHT Zwischen Reformen, Austerität und Zuversicht Hochschulen und Wissenschaft in Mexiko Als Andrés Manuel López Obrador 2018 mit absoluter Mehrheit gewählt wurde, war die Euphorie groß: Knapp zwei Drittel der mexikanischen Akademikerinnen und Akademiker waren seinen Wahlversprechen gefolgt und hatten ihm ihre Stimme gegeben. Zu seinen Versprechen zählten die Errichtung von 100 Universitäten, um 300 000 jungen Menschen die Aufnahme eines Studiums zu ermöglichen. Zudem wollte er sich für einen freien Zugang zu Hochschulbildung für alle einsetzen, eine Umstrukturierung und finanzielle Neuaufstellung des Wissenschaftssystems zur Bekämpfung der Korruption angehen, sowie eine Wissenschaft fördern, die sich stärker auf die Interessen Mexikos fokussiert. Zunächst ging es schnell: Bereits 2019 waren die sogenannten 100 „Universidades para el Bienestar“ in Betrieb, Ende 2023 sprach man sogar von 200 solcher Universitäten. Zugleich sind in den neuen Hochschulen bislang nur rund 60 000 Studierende eingeschrieben. Im Jahr 2021 trat zudem ein neues Hochschulrahmengesetz in Kraft, das den mexikanischen Staat dazu verpflichtet, das Recht auf Hochschulbildung für alle zu garantieren. Allerdings ist bislang nicht klar, woher die Gelder für eine Umsetzung des Gesetzes kommen sollen. Starke Budgetkürzungen und tiefgreifende Reformen Auch bei der Forschungsförderung setzte die Regierung auf Veränderungen: Für die finanzielle Förderung von Wissenschaft und Forschung war in Mexiko der Nationale Rat für Wissenschaft und Technologie (CONACYT, „Consejo Nacional de Ciencia y Tecnología“), zuständig. Seit 2019 konzentriert sich die Förderung auf Schwerpunktthemen wie Umweltschutz, Wasserversorgung, Gesundheit, städtische Entwicklung und Stärkung der Demokratie, sogenannte „Programas Nacionales Estratégicos“, die als roter Faden für die Finanzierung von Forschungsprojekten dienen. Die Förderpolitik orientiert sich seither stark am innenpolitisch nationalen Diskurs der Regierung, mithilfe der Wissenschaft sollen künftig die Probleme der Gesellschaft gelöst werden. Im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen und der Korruptionsbekämpfung strich die Regierung im Jahr 2020 dann auch die sogenannten „Fideicomisos“, öffentliche Treuhandfonds in Millionenhöhe, von denen neben CONACYT insbesondere die mexikanische Forschungszentren profitiert hatten. Die Fonds-Mittel konnten in der Wissenschaft recht frei verwendet werden und trugen zur wissenschaftlichen Vielfalt in Mexiko bei. Zugleich legten viele Forschungseinrichtungen nicht transparent dar, für welche Zwecke die Gelder letztlich verausgabt wurden. Während die Regierung das Ende der Treuhandfonds daher mit Transparenz und Korruptionsbekämpfung rechtfertigte, sorgte sich die mexikanische Wissenschaft um Forschungsgelder in Millionenhöhe. Neben der reinen Forschungsfinanzierung waren laut mexikanischer Medien auch Projekte mit internationalen Partnern sowie Stipendien, insbesondere für Auslandsaufenthalte mexikanischer Studierender und Promovierender betroffen. Im Mai 2023 erfolgte ein weiterer Umbau des Wissenschaftssystems: Im Eilverfahren wurde das sogenannte „Allgemeine Gesetz über Geisteswissenschaften, Wissenschaft, Technologie und Innovation“ verabschiedet und trat kurz danach in Kraft. Das Gesetz führte zur Umwandlung des CONACYT in einen „Nationalen Rat für Geisteswissenschaften, Wissenschaft, Technologie und Innovation (CONAHCYT)“ und sieht eine Zentralisierung der Forschungsförderung, eine Benachteiligung privater Hochschulen und eine stärkere Beteiligung der Regierung an der Entscheidungsfindung für die Förderung von Wissenschaft und Forschung vor. Seitens der Wissenschaftscommunity fürchtet man um die Wissenschaftsfreiheit durch zentralgeleitete Vorgaben. Zugleich wird die Rechtmäßigkeit des neuen Wissenschaftsgesetzes von verschiedenen Seiten in Frage gestellt. Es wird erwartet, dass der Oberste Gerichtshof Mexikos das Gesetz letztendlich für verfassungswidrig erklärt. Präsident López Obrador hat also wie angekündigt den Zugang zu den Universitäten ausgeweitet, zugleich werden ihm ideologische Angriffe auf die Institutionen sowie eine übereifrige Korruptionsbekämpfung, quantitative statt qualitative Förderung und eine zentralistische Sicht in der Forschungspolitik vorgeworfen. Zudem sieht sich die | KATHARINA FLECKENSTEIN | Am 2 . Juni 2024 wird in Mexiko gewählt . Wie hat die sechsjährige Amtszeit des bisherigen Amtsinhabers Andrés Manuel López Obrador das Land und damit auch die mexikanischen Hochschulen und die Wissenschaft geprägt? Welche Hoffnungen bzw. Erwartungen verbinden sich mit der anstehenden Wahl? Dr. Katharina Fleckensteinleitet die Außenstelle des DAAD in Mexiko. AUTORIN Foto:DAAD

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