Forschung & Lehre 04/2024

286 LESERFORUM Forschung & Lehre 4|24 Zustimmung und Widerspruch Heft 2/24: Alle Angaben wie immer ohne Gewähr 31. Jahrgang | 7,50$ www.forschung-und-lehre.de Forschung &Lehre alles was die wissenschaft bewegt 2|24 Organisation Effizientes Arbeitsmanagement | ab Seite 124 Bildungswesen Konsequenzen aus der PISA-Studie | ab Seite 108 Ukraine-Krieg Unterstützung aus der deutschen Wissenschaft | ab Seite 104 Großer Akademischer Stellenmarkt | ab Seite 136 HOCHSCHULBILDUNG IM 21. JAHRHUNDERT | ab Seite 88 Verloste Forschungsförderung Ralf Ludwig tritt für die Beibehaltung traditioneller Begutachtungsverfahren bei der Forschungsförderung ein und wendet sich insbesondere gegen den Einsatz (teil)aleatorischer Alternativen. Er schildert aus Sicht der DFGden enormen Aufwand, der der fairen, objektiven Bestenauslese dienen soll. Allerdings scheint aus Sicht der Antragsteller dabei die Glücksfee ohnehin bereits eine nicht unerhebliche, aber verborgene Macht auszuüben. Das Drehen an der Lotterietrommel geht beispielsweise aus dem Umstand hervor, dass Antragsteller, welche selbst langjährig als DFG-Gutachter fungierten und daher „vorhersehbare“ Kriterien eigentlich kennen sollten, nicht zwangsläufig erfolgreicher sind. Etliche Kolleginnen und Kollegen haben die Konsequenz gezogen, ihre Beantragungsaktivitäten – nicht minder aussichtsreich – inflationär nach Quantität zu gestalten. Für faktisch faire Verfahren müsste das Universum potenziell heranziehbarer Beurteilungskriterien detailliert festgelegt und bekannt sein. Eine radikale Transparenz hätte jedoch vermutlich zur Folge, dass die meisten Anträge kriterienkonform gestellt würden. Umfassende Fairness untergräbt demnach die inhaltsgetriebene Auswahl. Bei hochkomplexen Beurteilungsgegenständen, wie sie Forschungsvorhaben naturgemäß darstellen, scheint also ein gewisses Ausmaß an Intransparenz und Willkür geradezu die Voraussetzung zu sein, überhaupt nach inhaltlichen Kriterien selegieren zu können. Hingegen hätte das offene Praktizieren teil-aleatorischer Verfahren, bei denen nach einer ersten qualitativen Auswahl eine randomisierte Selektionsphase erfolgt, folgende Vorzüge: ∙ Verkürzung und Beschleunigung des gesamten Expertenzeit bindenden Procedere. ∙ Suspendierung des absonderlichen Bewertungskriteriums „Ressourcenverbrauch“ (Drittmitteleinwerbung) etwa bei Berufungsverfahren und Rückkehr zu „reading schools“, also zur Bewertung eingereichter Publikationen durch Kommissionen selbst. ∙ Aus dem Verzicht auf dieses Kriterium ergäbe sich wahrscheinlich eine beträchtliche Gesundschrumpfung der Antragsvolumina, was wiederum die Zeitinvestition in Sackgassen für alle Akteure verringern würde. Mein Vorschlag: ein teil-randomisiertes System in einer mehrjährigen Testphase betreiben und danach die Qualität der geförderten durchgeführten (sic!) Projekte mit denen früherer Jahrgänge vergleichen: Könnte ein verblindetes Rating tatsächlich systematisch zwischen zufallsund nicht-zufallsausgewählten Studien unterscheiden? Ich wage, mich auf Wetten einzulassen. Professor i.R. Peter H. Ludwig, TU KaiserslauternLandau Lotterien bei der Vergabe von Fördermitteln Wir freuen uns darüber, dass unser Vorschlag für eine Ergänzung der Forschungsmittelvergabeverfahren um eine initiale Lotterie eine lebhafte Debatte ausgelöst hat (Prof. Ralf Ludwig in F&L 2/24; Dr.-Ing. Gero Bornefeld in F&L 12/23). Professor Ludwig sieht offenbar eine Unverantwortlichkeit darin, bestehende Mittelvergabeverfahren durch Lotterieverfahren zu ergänzen und wirft eine Reihe von Bedenken und Fragen auf, die sich auf einen kürzlich von uns veröffentlichten Kommentar in Nature Human Behaviour zu diesem Thema beziehen. Es hat uns daher sehr verwundert, dass Professor Ludwig diesen Beitrag nicht referenziert, sondern nur eine pointierte Zusammenfassung zitiert, die in der ZEIT erschienen ist. Einige der von ihm geäußerten Fragen und Bedenken werden im Originalartikel bereits adressiert. Andere sind Fragen, die bei der Ausgestaltung jedes neuen Verfahrens zu beantworten sind, auch in der Vergangenheit von der DFG für deren Verfahren – sie sind somit nicht spezifisch für eine Lotterie. Entscheidend ist daher zunächst, ob man Impulse für „eine gut funktionierende Forschungsförderung, um die uns die Welt beneidet“ für nötig hält oder nicht. Wir sehen uns in der Verantwortung, solche Impulse zu setzen. Wie in unserem Kommentar dargestellt, sind klassische Auswahlverfahren extrem kostenintensiv und können, gesamtgesellschaftlich betrachtet, sogar zu einem negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis führen (das heißt die Arbeitsstunden, die für die Ausarbeitung und Begutachtung der Anträge aufgewandt werden, verursachen im Endeffekt mehr Kosten als in dem Verfahren Mittel verteilt werden). Darüber hinaus fallen sie oft hinter das Versprechen zurück, zuverlässig die besten Anträge auszuwählen, und sind nicht gerecht gegenüber allen (potenziellen) Antragstellenden. Wir stimmen mit Professor Ludwig überein, dass Forscherinnen und Forscher „sich immer berufen fühlen (müssen), Ideen zu haben“. Allerdings sind die Gründe dafür, ob jemand einen Antrag stellt oder nicht, bei weitem nicht allein in der Risikoaversion einer Person zu suchen. Viele Studien zeigen, dass strukturell-systemische Gründe einen starken Einfluss darauf haben, ob jemand sich entscheidet, einen Antrag zu stellen oder nicht. Damit Mittelvergabeverfahren gerechter werden, sollte daher auch diese Perspektive zum Tragen kommen. Unsere Simulationen zeigen, dass vorgeschaltete Lotterien ein geeignetes Mittel zur Intervention sein könnten. Wir sehen daher eine initiale Lotterie als eine – aber nicht einzige – Möglichkeit, positive Impulse zu setzen. In unserem vorgeschlagenen Verfahren sollen die durch eine günstige Lotterie eingesparten Mittel in ein zuverlässigeres, gerechteres und transparenteres Peer-Review-Verfahren investiert werden, als es bisher in anderen Verfahren existiert. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wünschen wir uns für den Diskurs um Verbesserungspotenziale der Mittelvergabeverfahren aber vor allem eines: Gelegenheiten zu einer kritischen und evidenzbasierten Auseinandersetzung mit der Thematik. Professor Dr. Sören Krach und Finn Lübber (M.Sc. MA), Universität zu Lübeck

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