Forschung & Lehre 04/2024

Forschung & Lehre 4|24 290 KARRIEREPRAXIS Nicht erst seit der Fachkräftemangel die Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich erschwert hat, wünschen sich Institutionen und Unternehmen Beschäftigte, die sich mit den Werten der Organisation identifizieren und eine emotionale Bindung aufbauen. Identifikation und Bindung sollen nicht nur die Fluktuation geringhalten, sondern auch für Motivation und besondere Leistungen sorgen. Im Arbeitsalltag stellt man aber fest, dass eine substanzielle Anzahl von Beschäftigten ganz im Gegenteil eine zynischdestruktive Einstellung gegenüber ihrem Arbeitgeber an den Tag legt. Es ist ein Phänomen, das fast jeder kennt, auch wenn der dazugehörige Begriff „organisationaler Zynismus“ kaum verbreitet ist. Er beschreibt eine negative Einstellung von Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber, die aus drei Komponenten besteht. Während für Deutschland keine repräsentativen Erhebungen bisher vorliegen, zeigt eine entsprechende Befragung in der Schweiz, dass im Durchschnitt etwa 40 Prozent aller Beschäftigten zumindest teilweise eine solche Einstellung besitzen. Organisationaler Zynismus Die erste Komponente ist der Glaube an eine mangelnde Integrität des eigenen Arbeitgebers und umfasst Erfahrungen einer fehlenden Übereinstimmung von Worten und Taten (beispielsweise die Betonung der Bedeutung der Gesundheit der Beschäftigten bei gleichzeitiger Vernachlässigung einer betrieblichen Gesundheitsförderung) oder Ankündigungen und Umsetzungen (beispielsweise eine angekündigte Kommunikationsoffensive, die dann nur aus einer Informationsseite im Intranet besteht). Typisch für eine zynische Einstellung ist, dass solche Diskrepanzen, die in einem durch Komplexität und Veränderungen gekennzeichneten Arbeitsleben immer wieder auftauchen werden, nicht als zufällig angesehen werden. Die Betroffenen sehen hier eine bewusste Irreführung durch den Arbeitgeber, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die „wahren Absichten“ zu täuschen. Damit gekoppelt ist die zweite Komponente, die negative Emotionen der Beschäftigten gegenüber der Organisation umschreibt. Diese können von Frustration und Enttäuschung über Wut und Verärgerung bis hin zu Scham und Verbitterung reichen. Zynische Mitarbeitende distanzieren sich also emotional nicht von ihrer Institution oder ihrem Unternehmen, sondern assoziieren es mit unterschiedlichen Formen von negativen Gefühlen. Die dritte Komponente von organisationalem Zynismus bezieht sich auf abschätziges Verhalten gegenüber der Organisation. Diese Komponente beinhaltet eine Vielzahl von destruktiven verbalen und nonverbalen Handlungen, die zynische Mitarbeitende zeigen. Ein wichtiges Element dabei ist der zynische Humor. Mit sarkastischem Witz wird vom „alltäglichen Irrsinn“ am Arbeitsplatz berichtet. Ungerechtigkeitserleben und Organisationsklima Als wichtigste Ursache für die Entwicklung von Zynismus am Arbeitsplatz wird im Alltag oft die „schwierige“ Persönlichkeit von einzelnen Beschäftigten vermutet. Die bisherige Forschung kann diese Vermutung nicht bestätigen, auch wenn einzelne persönliche Faktoren wie ein mangelndes Selbstwertgefühl oder eine geringere Stressresistenz entsprechende Zusammenhänge aufweisen. Zynische Einstellungen scheinen aber vor allem das Ergebnis von unerfreulichen Erfahrungen mit der Institution und dem Organisationsklima vor Ort zu sein. Verschiedene Studien zeigen einen engen Zusammenhang zwischen organisationalem Zynismus und erlebten Ungerechtigkeiten auf. Wenn Versprechen (insbesondere Gehaltserhöhung oder Beförderung) nicht eingehalten, Beschäftigte in sie betreffende Entscheidungen nicht einbezogen oder eine mangelnde Wertschätzung und Gratifikation für den eigenen Arbeitseinsatz erlebt werden, so entwickeln Mitarbeitende zynische Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen gegenüber ihrem Unternehmen. Wichtig ist dabei, dass es hier um das subjektive eigene Erleben geht, die Institution und ihr Management werden dieselben Situationen möglicherweise ganz anders einschätzen. Für die Betroffenen aber sind solche Erlebnisse prägend für das negative Bild von ihrem Arbeitgeber. Neben dem Ungerechtigkeitserleben scheint das Verhalten von Kolleginnen und Kollegen und insbesondere Vorgesetzten einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung zynischer Einstellungen zu haben. In der erwähnten repräsentativen Befragung in der Schweiz zeigte sich, dass zynisch-abschätziges Verhalten deutlich häufiger von Beschäftigten berichtet wird (circa 39 Prozent gaben an, dies gelegentlich zu Warum so negativ? Zynische Einstellungen von Beschäftigten | JAN SCHILLING | In derArbeitswelt lässt sich beobachten, dass eine zunehmende Zahl von Beschäftigten keine emotionale Bindung mehr zu ihrem Arbeitgeber zeigt . Diese fehlende Bindung geht meist mit einer negativ-destruktiven Haltung gegenüber der eigenen Institution einher. Welche Ursachen und Wirkungen sind zu beachten? Jan Schillingist Professor für Personal- und Organisationspsychologie mit Schwerpunkt Leadership und Organisationsentwicklung an der Hochschule Bielefeld. AUTOR Foto: privat

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