31. Jahrgang | 7,50$ www.forschung-und-lehre.de Berufungs- und Bleibeverhandlungen Neue Trends | ab Seite 912 Co-Autorschaft Über Ghosting im wissenschaftlichen Publizieren | ab Seite 914 Technologie-Startups Karrierewege von Gründerinnen und Gründern | ab Seite 904 Forschung &Lehre alles was die wissenschaft bewegt Großer Akademischer Stellenmarkt | ab Seite 940 12|24 | ab Seite 888 HOCH SCHUL BAU
Die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) fördert die Forschung im Bereich der AlzheimerKrankheit und Alzheimerverwandter Demenzen durch gezielte Förderprogramme, die einen wesentlichen Beitrag zum Forschungsfortschritt in diesen Gebieten leisten sollen. Fördermittel der AFI werden an besonders qualifizierte Wissenschaftler*innen vergeben. Ausschreibung von Research Grants, Early Career Grants und Cross Border Grants Wissenschaftler*innen an deutschen Universitäten und öffentlichen Einrichtungen können die finanzielle Förderung eines Forschungsvorhabens beantragen. Ausgeschrieben werden bis zu 200.000 Euro für maximal drei Jahre. Für junge promovierte Alzheimer-Forscher*innen, die ein entsprechendes wissenschaftliches Umfeld nachweisen können, stellt die AFI Mittel bis zu 60.000 Euro für maximal zwei Jahre bereit. Darüber hinaus fördert die AFI grenzübergreifende Projekte mit bis zu 200.000 Euro für zwei Jahre gemeinsam mit ihren internationalen Kooperationspartnern aus den Niederlanden, Frankreich und den USA. Alle Anträge werden vom Wissenschaftlichen Beirat der AFI unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Roland Brandt, Universität Osnabrück, zusammen mit den Beiräten der Kooperationspartner sowie externen Gutachter*innen bewertet. Der Einsendeschluss für Anträge auf Forschungsförderung (Letter of Intent) ist Donnerstag, der 30. Januar 2025. Die Antragstellung erfolgt über ein Onlineformular auf www.alzheimer-research.eu. Weitere Informationen zu allen Fördermöglichkeiten der AFI finden interessierte Wissenschaftler*innen auf www.alzheimer-forschung.de/forschung. Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI), Kreuzstr. 34, 40210 Düsseldorf Telefon: 0211-86 206623, forschung@alzheimer-forschung.de Alzheimer-Krankheit und verwandter Demenzen auf dem Gebiet der Ursachen-, Diagnose- und klinischen Forschung Förderung der Erforschung der Für eine Zukunft ohne Alzheimer – Forschung ist nötig. © 2024 Shutterprince/Shutterstock
12|24 Forschung & Lehre 881 STANDPUNKT KI wird Wahlkämpfe maßgeblich verändern: Wir werden immer mehr Desinformationskampagnen sehen, denn die Gruppen, die heute schon für manipulative Informationen sorgen, können dies dank der neuen Technologie deutlich schneller, günstiger und auf Personengruppen zugeschnitten tun. Neben der Manipulation von Informationen hat die schiere Existenz dieser Technologie aber auch zur Folge, dass echte Bilder jederzeit als Fake bezeichnet werden können, wenn es gerade genehm ist. Es wird dabei vermutlich sogar mehr Zeit und Energie kosten, einen solchen Vorwurf auszuräumen, als ein „echtes Fake“ als ein solches zu identifizieren. Und glauben Sie mir, ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal im Leben von „echten Fakes“ werde sprechen müssen. Zusammenfassend werden Desinformationskampagnen also einerseits aus Fakes und andererseits aus Zeit schindenden Abwehrversuchen echter Bilder oder Videos als angebliche Fakes bestehen. Beides wird unsere Demokratie schwächen, weil es so viel schwieriger wird, Fakten von Fehlinformationen zu unterscheiden. Umso wichtiger wird es daher sein, dass Demokratien einen Weg finden, unabhängigen Journalismus zu fördern, ohne ihn vom Staat abhängig zu machen. Ich schlage dafür als Teil der Lösung eine Abgabe auf deutsche KI-generierte Inhalte vor: zum Beispiel einen Cent pro 10 000 Token, also generierte Teilwörter. Zweitens brauchen Bürgerinnen und Bürger Mittel, glaubwürdige von unglaubwürdigen Inhalten zu unterscheiden. Drittens wird neu zu bewerten sein, ob und wie man soziale Medien für die von ihnen verbreiteten Inhalte von Dritten haftbar machen kann. Viertens halte ich die Bildung einer neuen Social-Media-Plattform mit Klarnamen für eine Lösung. Dabei geht es mir nicht darum, Klarnamen auf allen Social-Media-Plattformen zu erzwingen. Das wird oftmals zurückgewiesen mit dem Hinweis darauf, dass marginalisierte Gruppen den anonymen Zugang zu Social-Media-Plattformen benötigen, um ihre Geschichte erzählen zu können. Dabei ist es sehr wohl möglich, das eine zu haben, ohne das andere zu lassen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger würden vermutlich eine Plattform bevorzugen, auf der die Quellen von Hass und Falschinformationen schnell identifiziert werden können – daneben bleibt genug Raum für anonyme und quasi-anonyme Plattformen. Und wie könnte eine solche Plattform finanziert werden? Aus meiner Sicht sollten unser aller Rundfunkbeiträge lieber für solche verlässlichen Infrastrukturen im Digitalen eingesetzt werden, als weitere Krimiserien für den Vorabend zu produzieren. Denn um reinen „Rundfunk“, also Radio und Fernsehen, geht es doch schon lange nicht mehr. Von Fakten, Fakes und vorgetäuschten Fakes Katharina Zweigist Professorin für Informatik an der RPTU Kaiserslautern und leitet dort das Algorithm Accountability Lab. Foto: Feelix Schmitt
Forschung & Lehre 12|24 882 INHALT Inhalt Foto: mauritius images / Alamy Foto: mauritius images / Gary Waters Hochschulbau Gründungen Die Hochschulen beklagen seit vielen Jahren die Unterfinanzierung im Hochschulbau und den daraus resultierenden enormen Sanierungsstau. Sie stehen vor der Herausforderung, sowohl Nachhaltigkeitsziele einzuhalten als auch einer veränderten Lehr- und Lernkultur gerecht zu werden. Doch die schwierige Frage der Finanzierung durch die Länder und eine Verflechtung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verhindern häufig zügige Lösungen. Welche Möglichkeiten stehen im Raum, die Hochschulbauten zeitnah zu sanieren und zu modernisieren? Wie sind die Erfahrungen mit der Bauautonomie? Schwerpunkt...................888 Für die Frage, wie Gründungen besser gefördert und dabei geschlechterspezifische Unterschiede berücksichtigt werden können, ist erhellend, welche Karrierewege Startup-Gründerinnen und -Gründer durchlaufen haben. Anhaltspunkte liefert eine aktuelle Studie zu Startups in BadenWürttemberg. Technologie-Startups . . . . . . . . . . . . 904 STANDPUNKT Katharina Zweig 881 Von Fakten, Fakes und vorgetäuschten Fakes NACHRICHTEN 884 Wissenschaft diskutiert Effekte einer zweiten Amtszeit von DonaldTrump HOCHSCHULBAU Grit Würmseer 888 Idealerweise ein Begegnungsraum Stand und Perspektiven des Hochschulbaus in Deutschland Im Gespräch: Ulf Richter 892 Langfristig planen und finanzieren Zur prekären baulichen Infrastruktur der Universitäten Im Gespräch: Edgar Dingeldein 896 Volle Veranwortung Erfahrungen mit der Bauautonomie an der Technischen Universität Darmstadt Aus der Redaktion 900 Nachhaltig und flexibel Beispiele modernen Hochschulbaus Im Gespräch: Jan Gerken 902 Altes mit Neuem verbinden Zum Umbau des Fritz-Foerster-Baus der Technischen Universität Dresden GRÜNDUNGEN Alexander Brem | Sophia Hess | Darcy Maguire 904 Technologie-Startups Karrierewege von Gründerinnen und Gründern DATENMANAGEMENT Gabriele Gramelsberger 908 Epistemische Überforderung? Mit Research Software Engineering Forschungssoftware professionalisieren
12|24 Forschung & Lehre 883 INHALT Foto: mauritius images / Stockbroker RF Foto: mauritius images / Alamy Publizieren Berufung Ein Autorenteam hat vor der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse einiges zu beachten, damit es nicht gegen die gute wissenschaftliche Praxis verstößt. Was zum Beispiel tun, wenn sich im Zuge einer Veröffentlichung eine CoAutorin oder ein Co-Autor nicht mehr meldet beziehungsweise nicht mehr auffinden lässt? Co-Autorschaft..................914 Karrierepraxis Der Einsatz von Humor in der Lehre an Universitäten kann dazu beitragen, eine entspannte Lernatmosphäre zu schaffen, die das Engagement und die Aufmerksamkeit der Studierenden fördert. Dabei wird nicht nur der Zugang zu wissenschaftlichen Themen erleichtert, sondern auch das effektive Lernen der Studierenden besser gestaltet. HumorinderLehre..............928 Seit 15 Jahren befragt der Deutsche Hochschulverband (DHV) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Erfahrungen sie bei ihren Berufungs- und Bleibeverhandlungen machen. Dabei geht es um Fragen wie die nach der Atmosphäre oder der Ausstattung einer Professur. Aktuelle Trends. Berufungsrealitäten in Deutschland. . . 912 BERUFUNG Hubert Detmer 912 Berufungsrealitäten in Deutschland Welche neuen Trends gibt es? PUBLIZIEREN Katharina Beier | Hjördis Czesnick 914 Co-Autorschaft Über Ghosting im wissenschaftlichen Publizieren KLEIST- BRIEFE Im Gespräch: Hermann F. Weiss 916 „Detektive müssen Glück haben“ Wer sucht, der findet Sensationelles in Archiven BUCHTIPPS 918 Lesezeit Buchempfehlungen für die Weihnachtszeit KARRIEREPRAXIS Harald Groß 928 Ernst zu nehmende Sache Zum Humor in der Lehre RUBRIKEN 887 Fundsachen 915 Kleine Fächerkunde 924 Ergründet und entdeckt 926 Zustimmung und Widerspruch 927 Lesen und lesen lassen 930 Entscheidungen aus der Rechtsprechung 932 Preise 934 Habilitationen und Berufungen 935 Steuerrecht aktuell 936 Drei Fragen an: Lutz Nuhn 938 Impressum 939 Leitungspositionen 940 Akademischer Stellenmarkt 958 Exkursion 959 Enigma 960 Am Ende optimistisch? – Sandra Steffens
Forschung & Lehre 12|24 884 NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre.de Wissenschaft diskutiert Effekte einer zweiten Amtszeit von DonaldTrump Donald Trump hat am 5. November die US-Wahlen gewonnen. Aktuell setzen sich Forschende weltweit damit auseinander, was sie ab 2025 mit seiner zweiten Amtszeit erwarten könnte. In seiner ersten Amtszeit (2017 bis 2021) hatte Trump unter anderem Einreisebeschränkungen verschärft und die Finanzierung der Grundlagenforschung gekürzt. Er war aus verschiedenen Klimaprogrammen ausgestiegen und hatte Forschungsteams zu unliebsamen Forschungsthemen die Förderung erschwert. Eine von der US-amerikanischen „National Library of Medicine“ veröffentlichte Studie hat etwa festgestellt, dass seine Regierung regelmäßig wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu den Themen „Gesundheit“ und „Klima“ unterdrückt oder heruntergespielt hat. Trump hat dieses Mal mit einer republikanischen Mehrheit im Senat und im Kongress Rückenwind. Aus einem offenen Brief von über 80 Nobelpreis-Ausgezeichneten geht hervor, dass aus ihrer Sicht Trump wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt maßgeblich untergraben und Maßnahmen gegen den Klimawandel behindern wird. Die US-Wissenschaft stellt sich darauf ein, dass das Forschungsbudget stark gekürzt wird. Ausnahmen könnten die Bereiche Künstliche Intelligenz, Quanten-Technologie und andere strategische Felder sein. Es wird angenommen, dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China hier eine entscheidende Rolle spielen wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befürchten enorme Rückschritte in der Klimaforschung sowie bei internationalen Kooperationen. Ein wenig Entlastung im Bereich Dokumentation staatlich geförderter Projekte könnte durch Trumps angestrebten Bürokratieabbau kommen. In Europa erwarten viele Forschende, dass es nötig wird, enger zusammenzurücken und gleichzeitig die amerikanischen Forschungseinrichtungen weiter als Partner zu sehen. Stimmen aus Deutschland betonen, wie wichtig es nun sei, sich für das Vertrauen in die Wissenschaft einzusetzen. Bundestag beschließt Resolution gegen Antisemitismus Der Bundestag hat die Resolution „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ verabschiedet. Der interfraktionelle Antrag soll ein Signal gegen Antisemitismus setzen. Begriffliche Grundlage ist die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die auch antisemitische Angriffe auf Israel umfasst. Die FDP-Politikerin Anikó Glogowski-Merten forderte eine konsequente Umsetzung der IHRA-Definition an Schulen und Hochschulen. Laut Antrag müsse die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes uneingeschränkt auch für jüdische und israelsolidarische Personen gelten. Hochschulen werden aufgefordert, rechtliche Möglichkeiten wie Hausrecht oder Exmatrikulation zu nutzen, um antisemitische Vorfälle zu unterbinden. Gleichzeitig soll das Thema Antisemitismus in Lehrplänen verankert, Lehrkräfte sollen geschult und Beauftragte für Antisemitismus an Hochschulen eingesetzt werden. Projekte und Organisationen mit antisemitischen Zielen sollten keine öffentliche Förderung mehr erhalten. Die Resolution entstand als Reaktion auf den HamasAngriff auf Israel im Oktober 2023. Sie ist nicht rechtsverbindlich. Frühere Entwürfe waren dafür kritisiert worden, Freiheitsrechte wie Wissenschafts- und Kunstfreiheit zu gefährden. Ein Gutachten hatte Antisemitismus-Klauseln im Förderrecht als verfassungswidrig bezeichnet. Der Antrag wurde überarbeitet, jedoch ohne umfassende Konsultationen mit Wissenschaft und Kultur, was auf Kritik stieß. Einoffener Brief gegen die Resolution wurde von über 4 400 Personen, darunter zahlreiche Forschende, unterzeichnet. Erstunterzeichnerin Barbara Stollberg-Rilinger, Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin, kritisierte die IHRADefinition als unbestimmt und missbrauchsanfällig. Ein weiterer Antrag mit dem Titel „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ soll ebenfalls zeitnah im Bundestag zur Abstimmung kommen. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begrüßte, dass sich der Deutsche Bundestag für den Schutz jüdischen Lebens einsetzt. Die Diskussion über die Definition von Antisemitismus sei jedoch Aufgabe wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Eine staatliche Intervention in den wissenschaftlichen Diskurs an Hochschulen dürfe jedoch nicht erfolgen. Staatliche Fördermittel müssten allein nach wissenschaftsgeleiteten Prinzipien und Verfahren verteilt werden. Auch der Deutsche Hochschulverband (DHV) forderte erneut ein entschlossenes Vorgehen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit an Hochschulen. Es sei „beschämend und nicht hinnehmbar“, dass jüdische Studierende und Lehrende seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel an Hochschulen im deutschsprachigen Raum stark verunsichert seien, betonte der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Lambert T. Koch, in einer Pressemitteilung anlässlich des 9. Novembers, der unter anderem Gedenktag für die massenhaften Gewalttaten an jüdischen Menschen im Nationalsozialismus ist. Nachrichten
12|24 Forschung & Lehre 885 NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre.de Ampel-Aus: Reformen in Wissenschaft fraglich Nach dem Bruch der Ampel-Koalition am 6. November ist es fraglich, welche Reformen in der Wissenschaft noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können. Über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in einer Anhörung am 13. November gesprochen. Ausschussvorsitzender Kai Gehring kündigte zu Beginn noch an, dass die Sitzung und die Kompromissbereitschaft der Parteien im Bundestag bestimmen, ob eine Novelle beschlossen werden könne. Am Ende der Sitzung war klar, dass dies sehr unwahrscheinlich ist. Keiner der geladenen Sachverständigen war von den Einzelheiten des Regierungsentwurfs zur Änderung des wissenschaftlichen Befristungsrechts überzeugt. Die Vertreter der Wissenschaftsorganisationen waren sich einig: Die im Entwurf enthaltene Mindestvertragslaufzeit sei zu begrüßen. Vor der Aufhebung der Tarifsperre warnten sie. Es bestehe die Gefahr einer Zersplitterung des Wissenschaftssystems, die mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sei und dem Ziel widerspreche, die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland zu verbessern. So argumentierten Professor Walter Rosenthal von der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Wolfgang Wick vom Wissenschaftsrat, Professor Patrick Cramer von der Max-PlanckGesellschaft und Dr. Jan Wöpking von German U15, dem Zusammenschluss der 15 forschungsstarken Universitäten in Deutschland, sowie Arbeitsrechtsprofessor Olaf Deinert von der Georg-August-Universität Göttingen. Wick kündigte ein Positionspapier des Wissenschaftsrats an, das eine systematische Betrachtung der Wissenschaftskarrieren enthalten werde. Auf dieses solle laut Cramer gewartet werden. In der nächsten Legislaturperiode kann neu über das WissZeitVG verhandelt werden. Auch der Gesetzentwurf für das Forschungsdatengesetz, der eigentlich kurz vor der Veröffentlichung gestanden haben soll, muss wohl warten. Bundeskanzler Scholz will nach aktuellem Stand am 16. Dezember die Vertrauensfrage stellen. Verliert seine Regierung das Vertrauen, soll es am 23. Februar Neuwahlen geben. Missbrauch sicherheitsrelevanter Forschung: Leopoldina und DFG warnen vor Risiken Der aktuelle Bericht der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur sicherheitsrelevanten Forschung hebt hervor, dass Wissenschaft zunehmend unter den Einfluss nationaler Sicherheitsinteressen gerät. Vor dem Hintergrund globaler Krisen und Systemrivalitäten werde Forschung immer stärker auf Themen wie Wettbewerbsfähigkeit, Autonomie und Wehrhaftigkeit ausgerichtet. Der Gemeinsame Ausschuss (GA) der beiden Organisationen warnt vor dem Risiko, dass Forschung missbraucht werden könnte, um Leben, Gesundheit, Umwelt oder das friedliche Zusammenleben zu gefährden. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es sicherheitsrelevante Forschungsrisiken in nahezu allen Wissenschaftsbereichen gibt. Der GA bewertet dabei Forschung als „besorgniserregend“, wenn der Missbrauch unmittelbar erfolgen kann und die möglichen Schäden erheblich sind. Wichtig sei der Schutz von Forschung vor Spionage und politischer Einflussnahme, ohne dabei internationale Kooperationen zu gefährden. Auch hochschuleigene Zivilklauseln, die Forschung auf friedliche Zwecke begrenzen, gerieten zunehmend ins Visier der Politik. Forschung dürfe nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Der Bericht würdigt Fortschritte bei der schützenden Selbstregulierung der Wissenschaft im Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung an deutschen Forschungseinrichtungen. Ein übermäßiger Fokus auf Kontrolle und Dokumentation könne Forschung jedoch lähmen. Die Maxime „so offen wie möglich, so restriktiv wie nötig“ solle Leitlinie bleiben, um auch mit Ländern kooperieren zu können, die andere Werte vertreten, wie etwa China. Bisherige Auswertungen kamen zu dem Schluss, dass bedenkliche Forschungsarbeiten selten sind. Mit der Verlängerung des GA-Mandats bis 2030 soll die Entwicklung noch genauer untersucht werden. KOMMENTAR Neustart Die Bilanz der Wissenschaftspolitik der Anfang November zurückgetretenen Wissenschaftsministerin Stark-Watzinger fällt überaus mau aus: Konnte sie zunächst noch die Dynamisierung des „Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken“ für sich verbuchen, wollte ihr zusehends nichts mehr gelingen. Schwer lastete auf Stark-Watzinger vor allem die Fördergeldaffäre, die sie trotz Rücktrittsforderungen aussaß und dafür jeglichen Kredit in großen Teilen der Wissenschaft verspielte. Am Tiefpunkt angelangt sind auch die Arbeitsbeziehungen zwischen Bund und Ländern, auf die es in Bildung und Wissenschaft doch ankommt. Dass bis zur Neuwahl große Reparaturarbeiten durch Landwirtschaftsminister Özdemir in seiner Nebenrolle als Wissenschaftsminister gelingen, ist kaum mehr als ein weihnachtlicher Wunsch. Spätestens nach den Wahlen bedarf es an der Spitze des Ministeriums einer starken Persönlichkeit, die mit Ehrgeiz, Ideenreichtum, Tatkraft und Begeisterung vorangeht, durch Kommunikation verlorenes Vertrauen in der Wissenschaft zurückgewinnt und die Führungsebene des Hauses in erster Linie mit Fachleuten statt treuen Parteisoldaten besetzt. Ein Neustart in der Wissenschaftspolitik kann und muss gelingen: Die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, ein BundLänder-Programm für Dauerstellen neben der Professur, der Digitalpakt 2.0 oder das Forschungsdatengesetz dulden keinen Aufschub. Yvonne Dorf Stimmen aus der Wissenschaft zum Ampel-Aus auf forschung-und-lehre.de: https://t1p.de/jazbj
Forschung & Lehre 12|24 886 NACHRICHTEN Täglich aktuelle Nachrichten auf www.forschung-und-lehre.de Universitäten im Südwesten fürchten um Grundfinanzierung In Baden-Württemberg haben Mitte November Studierende der neun Landeshochschulen gemeinsam mit ihren Hochschulleitungen demonstriert – sowohl an den Hochschulorten als auch bei einer zentralen Demonstration am 15. November in Stuttgart. Anlass war, dass die badenwürttembergische Landesregierung plant, im Haushalt für die Jahre 2026 bis 2030 weniger Geld für Hochschulen einzuplanen. Der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg (LRK BW) und Präsident der Universität Ulm, Professor Michael Weber, sagte in einer Pressemitteilung der LRK BW am 12. November, dass „die Landeshochschulen real mit erheblich sinkenden Mitteln rechnen müssen“. Das Land spreche in seiner Hochschulfinanzierungsvereinbarung (HoFV III) zwar von einer Budgetsteigerung von 3,5 Prozent. Da die Hochschulen aber gestiegene Personalkosten, Inflationsausgleich und höhere Energiekosten aufbringen müssten, stünden sie mit dieser Vereinbarung „deutlich schlechter“ da als mit der aktuellen, so auch die stellvertretende Vorsitzende von LRK BW und Rektorin der Universität Tübingen, Professorin Karla Pollmann. Die Einsparungen hätten Folgen für die Innovationskraft der Hochschule und die Ausbildungsqualität, so Weber. Die Unileitungen fordern laut Mitteilung der LRK BW Planungssicherheit bis 2030, die Dynamisierung der Grundmittel um sechs (statt 3,5) Prozent sowie den Ausgleich von Belastungen durch höhere Energie- und Personalkosten. Bevölkerung wünscht sich bessere Informationen über Wissenschaft Weniger Menschen in Deutschland haben das Gefühl, gut über Wissenschaft und Forschung informiert zu sein: Das ist ein Ergebnis aus dem „Wissenschaftsbarometer 2024“, das die Organisation Wissenschaft im Dialog (WiD) Anfang November veröffentlicht hat. Nachdem sich im Vorjahr noch 39 Prozent der Befragten „auf dem Laufenden“ fühlten bei wissenschaftlichen Neuigkeiten, seien es in diesem Jahr nur noch 30 Prozent gewesen, so das Ergebnis der repräsentativen Befragung. Der Teil der Befragten, die Wissenschaft und Forschung vertrauen, ist im Vergleich zum Vorjahr mit 55 gegenüber 56 Prozent minimal gesunken. Das Vertrauen in die Wissenschaft ist laut Erhebung abhängig vom Bildungsniveau: Der Prozentsatz der Befragten mit hohem und mittlerem Bildungsniveau, der der Wissenschaft vertraute, sei 2024 im Vergleich zum Vorjahr um vier beziehungsweise sechs Prozentpunkte gesunken. Derweil sei der Anteil der Menschen mit niedrigem Bildungsniveau und Vertrauen in Wissenschaft und Forschung um neun Prozentpunkte gestiegen. Verglichen mit den Befragten mit mittlerem (46 Prozent) und niedrigem Bildungsniveau (40 Prozent) hätten trotzdem deutlich mehr Menschen mit hohem formalen Bildungsniveau Vertrauen in die Wissenschaft (75 Prozent). Drittmittelquote deutlich gestiegen Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat den „Förderatlas 2024“ mit Trends der Forschungsfinanzierung vorgestellt. Zwischen 2019 und 2022 sind die Grundmittel demnach um 13 Prozent auf rund 27 Milliarden Euro und die Drittmittel um 19 Prozent auf gut 10 Milliarden Euro gestiegen. Die DFG hält die Finanzierung insgesamt für unzureichend und sieht es kritisch, dass Drittmittel stärker zugelegt hätten als Grundmittel. Bei den DFG-Bewilligungen liegen erneut die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Technische Universität München und die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen vorne. Umfrage zeigt Unzufriedenheit unter Forschenden Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wünschen sich verlässlichere Karrierewege, eine andere Finanzierung von Forschung und mehr Unterstützung bei der Verwaltung. Vor allem die Postdoktorandinnen und Postdoktoranden sind unzufrieden: Nur rund 16 Prozent von ihnen bewerteten die Karrierechancen in der Wissenschaft mit „gut“ oder „sehr gut“. Das sind die Ergebnisse des aktuellen „Berlin Science Survey“, den der Exzellenzverbund Berlin University Alliance (BUA) durchgeführt hat. Die Tätigkeiten der BUA selbst sehen die meisten Befragten positiv für den Berliner Forschungsraum: Der Verbund habe diesen internationaler und innovativer gemacht (60 beziehungsweise 52 Prozent der Befragten stimmten zu). Neuer Rekordwert an Studienangeboten erreicht Trotz sinkender Studierendenzahlen ist die Anzahl an Studienangeboten seit 2019 um 13 Prozent auf knapp 23 000 gestiegen. Damit sind jedes Jahr circa 500 Angebote hinzugekommen, ergab eine Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), für die der Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) herangezogen wurde. Im betrachteten Zeitraum seien aber auch etwa 2 000 Angebote entfallen. Ein Grund für das Wachstum sei der Umstand, dass Hochschulen verschiedene Modelle desselben Studiengangs anbieten würden. Insbesondere das Studienangebot an Hochschulen für angewandte Wissenschaften und an privaten Hochschulen habe deutlich zugenommen. Am stärksten gewachsen sind laut Studie Angebote in den Medizin- und Gesundheitswissenschaften. Deutschland überzeugt als Wissenschaftsstandort Als Ziel für internationale Studierende und Forschende liegt Deutschland erstmals auf Platz zwei hinter den USA. Das geht aus aktuellen Zahlen von „Wissenschaft weltoffen“ hervor, die der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in diesem Monat veröffentlichten. Über 75 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt forschten 2021 in Deutschland. Im Wintersemester 2023/24 hätten außerdem rund 380 000 internationale Studierende deutsche Hochschulen besucht. Das seien eine Steigerung um drei Prozent zum Vorjahr und ein neuer Höchststand. Internationale Studierende machten inzwischen fast 13 Prozent der Studierendenschaft aus. Sie kämen vorwiegend aus Indien, China und der Türkei nach Deutschland.
12|24 Forschung & Lehre 887 FUNDSACHEN Spielwiese „Für mich ist der Regenwald eine große Spielwiese. Die Möglichkeit, überrascht zu werden, ist nirgendwo größer. Für meine Doktorarbeit habe ich mehrere Jahre in einer kleinen Waldhütte gelebt, um eine wenig erforschte nachtaktive Lemurenart, den Rotschwanz-Wieselmaki, zu beobachten. Natürlich kann Forscheralltag auch stinklangweilig sein, wenn man nächtelang unter einem Baum sitzt. Aber es kommt immer wieder vor, dass man etwas sieht, was vielleicht noch nie ein Mensch gesehen hat.“ Roland Hilgartner, Primatenforscher; zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. November 2024. Weg „Eine Raketenwissenschaft gibt es noch nicht, der Weg dorthin scheint aber nicht mehr weit angesichts der an den Hochschulen obwaltenden Meinung, alles könne zur Wissenschaft werden.“ Thomas Thiel; zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. November 2024. Luxus „Wissenschaft wird oft als Luxus angesehen, den man nicht unbedingt braucht. Es merkt nicht jeder, wie notwendig sie ist, um mit allen Krisen zurechtzukommen. Dabei geht es nicht nur um Biotechnologie oder KI. Die Sozialwissenschaften helfen uns zu verstehen, wie Migration Gesellschaften beeinflusst, oder auch Erziehung und Bildung, und wie diese uns dabei helfen, mit den Problemen umzugehen.“ Maria Leptin, Biologin und Immunologin, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Genetik an der Universität zu Köln und Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC); zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. November 2024. Bürokratie „Die größte Herausforderung in Deutschland ist die Bürokratie. Es ist in Deutschland sehr schwer, kurzfristig umzustrukturieren. Wir müssen also überlegen, wie wir ein System bauen, das langfristig Forschung fördert und den Instituten trotzdem Flexibilität gibt. Ein deutlicher Pluspunkt ist die langfristige Forschungsförderung. Hier bietet Deutschland viel bessere Bedingungen als die Vereinigten Staaten.“ Martin Keller, Leiter des Nationalen Instituts für erneuerbare Energien (NREL) in den USA und neugewählter Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft; zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Oktober 2024. Thema „Die Forderung nach einem ethischen Kapitalismus ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Die Leute vergessen oft, dass Adam Smith, der Vordenker des Kapitalismus, Professor für Moralphilosophie war. Die Schattenseiten des Wirtschaftens, die Ausbeutung und die Armut, waren von Anfang an ein Thema.“ Markus Gabriel, Professor für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart an der Universität Bonn; zitiert nach Der Spiegel vom 1. November 2024. Wissen „Es gibt eine Suche nach Wissen, an deren Ende man hofft, eine finale Wahrheit zu erlangen. Das war schon immer aussichtslos und ist es auch heute. Aber der Prozess der Erkenntnissuche an sich, der Skeptizismus, der Zweifel – all das, was zumindest mir immer geholfen hat, den Verstand nicht zu verlieren –, ist heute notwendiger denn je. Das Infragestellen von allem, was einem begegnet, und zu jedem Informationshäppchen, das einem von wem auch immer gereicht wird, erst einmal Nein zu sagen, das war für mich immer hilfreich.“ Joshua Cohen, amerikanischer Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger 2022; zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 15. November 2024. Aikido „Wir können nicht weglaufen. Nicht schweigen. Nötig ist eine Art intellektuelles Aikido, um unsere Energie in eine andere Richtung zu lenken in der Hoffnung, dass in vier Jahren die Lektion gelernt sein wird. Wenn uns irgendetwas retten wird, dann Unordnung. Komplikationen. Die vielen Facetten unserer Persönlichkeit. Dass die Wahrheiten auch die andere Seite erreichen. Die Erkenntnis, dass wir mehr sind als ein monolithisches Etwas. Hüten wir uns davor, ein eindimensionales Bild vom durchschnittlichen Amerikaner zu zeichnen. Colum McCann, irischer Schriftsteller, seit 1996 Aufenthalt in den USA; zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. November 2024. Fundsachen Leben „In drei Worten kann ich alles zusammenfassen, was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter.“ Robert Frost, US-amerikanischer Dichter (1874–1963) Gefahr „Die größte Gefahr für unsere Zukunft ist Apathie.“ Jane Goddall, britische Verhaltensforscherin
Hochschulgebäude sind anspruchsvolle und komplexe Bauwerke, an die im Regelfall spezialisierte Nutzungsanforderungen gestellt werden. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Forschung mit Laboren, Werkstätten und Versuchshallen, aber auch Lehr- und Veranstaltungsräume, ebenso wie Bibliotheken oder Mensen. Zugleich wird mit demBegriff Hochschulbau nicht nur die baulich-technische Infrastruktur – also Gebäude, Flächen und Räume inklusive der zugehörigen technischen Ausstattung –, sondern auch deren Planung, Betrieb und Nutzung verstanden (Wissenschaftsrat, 2022). Den Hochschulbauten kommt dabei als den zentralen sozialen und physischen Orten der Hochschulen eine hohe strategische Relevanz zu. Auch wenn unter den Bedingungen der Coronapandemie Lehre zumindest temporär in den virtuellen Raum verlagert wurde, können wir für die Zukunft davon ausgehen, dass Hochschulen auch weiterhin (zumindest in der Breite) auf Gebäude und einen gemeinsamen Ort angewiesen sein werden, um ihre Leistungen in Forschung und Lehre, aber auch in der „Dritten Mission“ adäquat erbringen zu können. Der physische Ort dient als Stätte der Begegnung und Kommunikation, die Hochschulgebäude tragen zur Gestaltung und Strukturierung des hochschulischen Lebens bei. Und da Hochschulbauten einen flächenmäßig großen Anteil der Gebäude der öffentlichen Hand ausmachen, kommt ihrer Planung, Sanierung, Nutzung und dem Betrieb auch eine zentrale politische Bedeutung zu. | GRIT WÜRMSEER | Der Zustand der Hochschulbauten in Deutschland variiert stark, viele Gebäude haben mit veralteter technischer Infrastruktur und sanierungsbedürftigen Räumlichkeiten zu kämpfen. Es besteht erheblicher Modernisierungsbedarf, um die Attraktivität der Hochschulen zu steigern und um im internationalen Wissenschaftswettbewerb bestehen zu können. Idealerweise ein Begegnungsraum Stand und Perspektiven des Hochschulbaus in Deutschland Foto: mauritius images / Alamy
889 HOCHSCHULBAU 12|24 Forschung & Lehre Nutzungsanforderungen Zwar haben die zentralen Nutzungsanforderungen mit Forschung, Lehre und Verwaltung grundsätzlich unverändert Bestand, jedoch ändern sich die spezifischen Anforderungen im Zeitverlauf. Während insbesondere im Zuge des Ausbaus der Hochschulen seit den 1970er-Jahren große Hörsäle als zentrale Elemente den Lehrraum strukturierten, ist der gegenwärtige Diskurs durch den sogenannten „shift from teaching to learning“ gekennzeichnet. Dieser adressiert eine veränderte Lehr- und Lernkultur, die in der Verschiebung vom Lehren, primär verstanden als Instruktion und Vermittlung von Wissen, hin zum Lernprozess und hin zu für den Erwerb fachbezogener und überfachlicher Kompetenzen erforderlichen Lernumgebungen besteht. Mit diesem Perspektivwechsel einher gehen neue Anforderungen an Lehr- und Lernräume an Hochschulen: Neben klassischen Lehrraumstrukturen, die mit ihren Hörsälen und Seminarräumen auf Frontalunterricht ausgelegt sind, bedarf es vor allem auch neuer Raumstrukturen, die verstärkt praktische und lerngruppenorientierte Formate, neben Instruktion zum Beispiel auch Kommunikation und Kollaboration ermöglichen. Für den Bereich der Forschung ergeben sich neue Anforderungen an die Gebäude und die Infrastruktur insbesondere in hochtechnisierten Fächern, wobei deren Ausstattung zugleich mit hohen Investitionen einhergeht. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund resultiert auch ein verstärkter Fokus auf die gemeinsame Nutzung von Forschungsinfrastrukturen. Neben der Forschung dient der gesamte Hochschulraum zudem der Begegnung mit außerhochschulischen Akteuren. Unter den Begriffen „Dritte Mission“ oder „Wissens- und Technologietransfer“ werden Formate für den Austausch mit Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Kultur und (Zivil-)Gesellschaft etabliert. Diese benötigen entsprechende bauliche Strukturen, die die Öffnung der Hochschulen in die Gesellschaft begünstigen. Der Campus ist idealerweise ein Begegnungsraum zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Seine Gebäude und seine Gestaltung fördern Interaktion zwischen Studierenden, Forschenden, Mitarbeitenden, Besucherinnen und Besuchern und weiteren Nutzenden der Stadt und bieten ein vielfältiges Angebot an formellen und informellen Begegnungsmöglichkeiten. Dabei geht es nicht nur um das einzelne Gebäude, sondern auch um sein Umfeld in Form von Wegen, Außenanlagen und Plätzen sowie die städtebaulichen Qualitäten. Noch stärker als bisher sollen sich Hochschulen und Teile ihrer Gebäude in die Stadtgesellschaft integrieren und städtebauliche Ziele mit Hochschulbau verknüpfen, indem zum Beispiel Innenstädte durch Hochschulnutzungen belebt werden. Eine geringere bauliche Komplexität weisen sicherlich Büroräume für Verwaltung und Wissenschaft auf. Dennoch verändern sich auch hier die Rahmenbedingungen durch einen zunehmend dauerhaften Anteil mobilen Arbeitens, damit einhergehender veränderter Arbeitsorganisation im Zuge von „New Work“ sowie Vorgaben der Politik zu Flächeneinsparungen. Das Gebot der Stunde lautet, Büroflächen insgesamt zu reduzieren, wobei die Vorgaben in den Bundesländern hinsichtlich des einzusparenden Umfangs (zwischen zehn Prozent und 20 Prozent der bestehenden Flächen) wie auch bei der Umsetzung (Gültigkeit nur für Neubauten oder auch im Bestand, für Verwaltung oder wissenschaftliche Bereiche, Zeitraum für die zu erzielenden Einsparungen) variieren. Sanierungsstau, Finanzierung und Bauverfahren Aktuelle belastbare Zahlen über den vorhandenen Flächenbestand der staatlichen Hochschulen in Deutschland liegen nicht vor. Auf Basis einer Erhebung zum Sanierungsstau aus dem Jahr 2012 ist von einer Hauptnutzungsfläche von 17 Millionen Quadratmeter (Nutzungsfläche NUF 1-6 DIN 277) auszugehen, wobei seinerzeit eine jährliche Flächenerweiterung von 250 000 Quadratmeter NUF 1-6 prognostiziert wurde (Stibbe/ Stratmann 2016). Im Jahr 2019 ergab eine ergänzende Untersuchung, dass sich die Nutzungsfläche der Hochschulen auf 21 Millionen Quadratmeter (NUF 1-6) belief. Dies entspricht einem jährlichem Flächenzuwachs von 500 000 Quadratmetern (NUF 1-6). Wie sich der Flächenbestand auf die Nutzungsarten aufteilt und woraus sich der Flächenzuwachs ergibt, lässt sich leider nicht empirisch nachweisen. Vermuten lässt sich, dass der Flächenaufwuchs primär aus dem Aufwuchs der Drittmittelforschung resultiert. Zugleich sehen sich die Hochschulen einem enormen Sanierungsstau gegenüber: Dieser kann Berechnungen zufolge auf etwa 74 Milliarden Euro beziffert werden (KMK 2023). Der Sanierungsstau betrifft dabei erstens Gebäude mit notwendigen Instandsetzungen oder den Ersatz von Gebäudeteilen durch Reinvestitionen, um deren Betrieb sicherzustellen und (Teil-)Schließungen zu verhindern. Zweitens geht es um notwendige Modernisierungen, um vor allem in hochtechnisierten Fächern wie Naturwissenschaften oder Medizin die den gewachsenen Anforderungen entsprechende Gebäudetechnik zu gewährleisten. Da sich dies häufig nur in Neubauten realisieren lässt, gilt es, durch entsprechende Sanierungsstrategien den Altbestand zu erhalten und eine Nachnutzung für andere Fächer zu ermöglichen oder gegebenenfalls nicht-nachnutzbare Gebäude außer Betrieb zu nehmen beziehungsweise abzureißen. Schließlich geht es drittens um energetische Sanierungen, nicht zuletzt, um Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele zu erreichen. Ein Großteil der Hochschulen ist verpflichtet, Vorgaben im Rahmen der Landesklimaschutzgesetze zu erfüllen, teilweise als Teil der Landesverwaltungen sogar sehr ambitionierte Klimaschutz- beziehungsweise Klimaneutralitätsvorgaben (Nußbaum et al., 2024). Zahlreiche Hochschulen befassen Dr. Grit Würmseer ist geschäftsführende Vorständin des HIS-Instituts für Hochschschulentwicklung in Hannover. Foto:T&T »Der Hochschulbau ist in besonderer Weise durch eine Verflechtung von Zuständigkeiten geprägt.«
890 HOCHSCHULBAU Forschung & Lehre 12|24 sich bereits mit entsprechenden Maßnahmen, etwa mit der Erarbeitung von Nachhaltigkeitsstrategien, der Einrichtung von Umweltmanagementsystemen, der Entwicklung integrierter Klimaschutzkonzepte oder auch durch Treibhausgasbilanzierungen. Nicht betrachtet werden dabei in der Regel innerhalb der Treibhausgasbilanzen die für den Bau der Gebäude anfallenden CO2-Emissionen (sogenannte Graue Emissionen). Sofern möglich, sollte unter Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsaspekten auf den Erhalt und die Sanierung bestehender Gebäude gesetzt werden. Auch wenn politische Einigkeit besteht, dass der enorme Sanierungsrückstand an Hochschulen schnellstmöglich abgebaut werden sollte, bestehen finanzielle und organisatorische Restriktionen, die ein zügiges Vorankommen erschweren. Der Hochschulbau liegt seit 2007 mit Ausnahme großer Forschungsbauten in der alleinigen Zuständigkeit der Länder, die Summen lassen sich nicht nur angesichts der derzeitigen Haushaltslagen nicht aus den laufenden Landeshaushalten finanzieren. Auch die Aufnahme von Krediten ist in der Regel aufgrund der Schuldenbremse derzeit (kaum) möglich. Vor diesem Hintergrund wird in jüngster Zeit vermehrt als Lösung die Gründung privatrechtlich organisierter öffentlicher Infrastrukturgesellschaften diskutiert. Damit hier Kreditfähigkeit besteht, müssten allerdings die Eigentümer- und Bauherrenaufgaben sowie ein Teil der Gebäudemanagementaufgaben für die seitens der Infrastrukturgesellschaften erstellten Gebäude übernommen werden. In diesem Fall würden die Infrastrukturgesellschaften als Vermieter gegenüber den Hochschulen auftreten, denen Mieten aus dem Landeshaushalt zugewiesen werden. Um dieses Modell insbesondere mit Blick auf den Bestandserhalt umzusetzen, wäre eine formelle Übertragung der Hochschulliegenschaften auf die Infrastrukturgesellschaft erforderlich. Der grundsätzliche Finanzierungsbedarf bleibt für die Länder in (mindestens) gleicher Höhe bestehen, da der Bau beziehungsweise die Sanierung ebenso wie der Betrieb und Erhalt über auskömmliche Mieten abgedeckt sein muss. Der Hochschulbau ist in besonderer Weise durch eine Verflechtung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten insbesondere der Finanz- und Wissenschaftsministerien, der Landesbaubetriebe und der Hochschulen geprägt. Dies zeigt sich sowohl beim Planen, Bauen und Sanieren als auch hinsichtlich Betrieb beziehungsweise Gebäudemanagement. Insbesondere die Bauherrenfunktion liegt in der Regel bei den Landesbaubetrieben, die Grundstücke gehören zumeist den Ländern, das Gebäudemanagement wiederum liegt zum größten Teil bei den Hochschulen selbst. Dabei gibt es wenige Ausnahmen, bei denen die Liegenschaften den Hochschulen gehören. Dagegen sind die Forschungszentren überwiegend Eigentümer ihrer Liegenschaften oder Erbpächter zum Beispiel beim Land. Zudem besteht seit einigen Jahren in zahlreichen Ländern verstärkt die Möglichkeit, dass Hochschulen selbst die Bauherreneigenschaft insgesamt oder für einzelne Baumaßnahmen übernehmen – wobei es erforderlich ist, dass entsprechende personelle Ressourcen und Kompetenzen aufseiten der Hochschulen aufgebaut und vorhanden sind, um die Aufgaben übernehmen zu können. Ein bisher selten in den Blick genommener Aspekt betrifft die von den Studierendenwerken betriebenen beziehungsweise genutzten Flächen innerhalb der Hochschulgebäude. Die gastronomischen Flächen der Mensen und Cafeterien befinden sich in der Regel in zentraler Lage innerhalb der Hochschulgebäude. Herausforderungen bestehen auch hier beim Sanierungs- und Instandsetzungsstau. Insbesondere die technischen Anlagen für die Produktion und Kühlung sowie das Spülen erfordern erhebliche Reinvestitionen, können allerdings auch zu deutlichen Energieeinsparungen beitragen. Hinsichtlich der Attraktivität der Hochschulen gilt es in Zukunft, die Foto: mauritius images / Hemmis.fr. Jacob und Wilhelm Grimm Zentrum, Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin
891 HOCHSCHULBAU 12|24 Forschung & Lehre gastronomischen Flächen so umzugestalten, dass sie auch jenseits der in der Regel primär mittäglichen Essenszeit von Studierenden, aber auch Beschäftigten genutzt werden können. Durch entsprechende Nutzungskonzepte kann die Aufenthaltsqualität gesteigert werden. Dazu ist es erforderlich, dass Hochschulen und Studierendenwerke gemeinsam Konzepte entwickeln und entsprechende Unterstützung seitens der für Planung und Bau verantwortlichen Akteurinnen und Akteure bei der Umsetzung erhalten. Vielfältige Aufgaben mit strategischer Relevanz Um die Zukunftsfähigkeit von Hochschulstandorten sicherzustellen, braucht es ein klares und nachvollziehbares Zukunftsbild und ganzheitliche Strategien für den Hochschulbau: Vor Ort an der einzelnen Hochschule ist es Aufgabe der Hochschulleitung, Bedarfsplanungen vorzunehmen, die aktuelle Gegebenheiten des Gebäudebestands und ebenso kommende Anforderungen berücksichtigen. Es braucht eine Bedarfsplanung als ergebnisoffenen Prozess mit dem Anspruch, die Komplexität nicht zu jedem Zeitpunkt beherrschen zu können – und die Gewohnheiten, Gewissheiten und Überzeugungen auf den Prüfstand stellt. Im Ergebnis soll eine fundierte und abgestimmte Entscheidungs- und Planungsgrundlage vorliegen, die den Erfordernissen der jeweiligen Hochschule gerecht wird sowie aufwands- und zielorientiert die notwendigen Informationen und Rahmenbedingungen für die Realisierung einer modernen mittel- bis langfristigen Immobilienstrategie liefert. Der Hochschulstandort muss anpassungsfähig sein und Veränderungen ermöglichen. Benötigt wird demzufolge eine entwicklungsfähige Struktur, die es einerseits durch Nutzungsänderungen bestehender Flächen und andererseits durch Erweiterungs- und Ergänzungsflächen ermöglicht, auf zukünftige Entwicklungen reagieren zu können. Des Weiteren sollten verstärkt kooperative Nutzungsmodelle verfolgt werden. Dies betrifft insbesondere aufwendige Forschungsinfrastrukturen (Core Facilities), in gleicher Weise aber auch die gemeinsame fakultätsübergreifende Nutzung von Lehrraumstrukturen ebenso wie gemeinsame Nutzungskonzepte im Bereich der gastronomischen Flächen. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen – beispielsweise Campusuniversitäten, ländlich verortete Hochschulen für angewandte Wissenschaften oder Hochschulen mit zahlreichen Liegenschaften innerhalb einer städtischen Struktur –, aber auch angesichts der jeweiligen inhaltlichen Profile in Forschung und Lehre braucht es standortspezifische Planungen. Auf Landesebene werden ergänzend dazu ebenfalls ganzheitliche Planungen benötigt, um dem Sanierungsstau angesichts angespannter Haushaltslagen zu begegnen und verlässliche Zusagen und Vereinbarungen mit den landeseigenen Hochschulen zu treffen. Die Frage, wie Bauprozesse in Zukunft schlanker und damit schneller und kostengünstiger umgesetzt werden können, gilt es zwischen den verantwortlichen Akteurinnen und Akteuren auf Landesebene zu bearbeiten. Neben der Qualität der Gebäude und Flächen gilt es, angesichts des Sanierungsstaus auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele, die Quantität der Flächen kritisch zu prüfen. Handlungsleitende Prämisse sollte Flächensuffizienz bei hoher Aufenthaltsqualität sein. Eine Textfassung mit Literaturangaben kann bei der Redaktion von Forschung & Lehre angefordert werden. Foto: mauritius images / ImageBroker »Um die Zukunftsfähigkeit von Hochschulstandorten sicherzustellen, braucht es ein klares Zukunftsbild.« Blick in die Mensa, Universitätsbau des amerikanischen Architekten Daniel Libeskind in Lüneburg
Forschung & Lehre 12|24 892 HOCHSCHULBAU Langfristig planen und finanzieren Zur prekären baulichen Infrastruktur der Universitäten Forschung & Lehre: Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder allein für den Hochschulbau verantwortlich. Angesichts von 74 Milliarden Euro Sanierungsstau scheint das dem Hochschulbau nicht wirklich gut bekommen zu sein… Ulf Richter: Die zusätzlichen Entflechtungsmittel, die die Länder erhielten, haben sie nicht in dem Umfang in den Hochschulbau investiert, wie sie es hätten tun müssen. Das war vor der Föderalismusreform mit der Kofinanzierung anders. Zu jedem Euro, den ein Land in den Hochschulbau investierte, gab es auch einen Bundes-Euro. Die Länder hatten also ein eigenes Interesse, denn durch die zusätzlichen Mittel des Bundes für einen Hochschulbau konnten sie ihr jeweiliges Bundesland aufwerten. Dieser Hebel existierte nach 2006 nicht mehr. Die Länder setzten dann andere Prioritäten. Bereits in der sogenannten Düsseldorfer Erklärung 2012 wiesen die Kanzlerinnen und Kanzler deutlich auf den Sanierungsstau und die damit zusammenhängenden Kosten für die Länder hin. Das ist dann leider auch so eingetreten. F&L: Wenn man sich den Haushalt einer Universität anschaut: Wie viel von der staatlichen Grundfinanzierung kann in die bauliche Infrastruktur investiert werden? Ulf Richter: Viel zu wenig. Der Sanierungsstau ist entstanden, weil nicht kontinuierlich investiert wurde. Gebäude können etwa 50 bis 55 Jahre genutzt werden. Zwischen drei und vier Prozent des Investitionsvolumens, also mehr als die Abschreibungen, wären optimal, wenn man die Preissteigerung bei den Investitionen berücksichtigt. Der Wert der Gebäude steht fest, aber da die Baupreise steigen, sollte man immer etwas mehr einplanen. Wenn eine Hochschule kontinuierlich drei Prozent vom Gebäudewert investieren könnte, würde ein solcher Sanierungsstau nicht entstehen. Ein Blick in die Bilanzen der Hochschulen oder der Landesbaubetriebe zeigt aber, dass diese drei bis vier Prozent über Jahre beziehungsweise Jahrzehnte nicht investiert wurden. Da darf man sich nicht wundern, dass man nun vor einer großen Sanierungswelle steht. Der Zustand des Hochschulbaus hängt aber auch stark von den einzelnen Bundesländern ab. Das Hochschulbauprogramm Heureka in Hessen zum Beispiel ist nach wie vor eine der besten Varianten, um den Sanierungsstau abzuarbeiten. Hessen stellt planbar langfristig finanzielle Mittel zur Verfügung, um zu investieren. F&L: Welchen Einfluss haben die Kanzlerinnen und Kanzler auf die jeweils zuständigen Bundesländer, mehr Geld in den Hochschulbau zu investieren? Ulf Richter: Ich kann nur für Nordrhein-Westfalen sprechen. Bei unseren Kanzlertreffen ist der Hochschulbau immer eines der Topthemen. Alle zwei bis drei Monate steht es in den sogenannten Kanzlerkonferenzen des Landes auf der Agenda. Es geht vor allem darum, bei den Politikerinnen und Politikern ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen, insbesondere im Ministerium für Wissenschaft und Kultur und im Ministerium für Finanzen. Was haben wir erreicht? Zum einen das sogenannte „Optionsmodell Bauherreneigenschaft“, womit die Hochschulen selber bauen dürfen, und das nun in fast allen Bundesländern möglich ist. Das ist ein wichtiger Schritt, denn vorher war dafür der Bauund Liegenschaftsbetrieb des Landes zuständig. Für ein besseres und schnelleres Bauen ist aber noch etwas wichtig: der Verwaltungsaufwand, wir kämpfen darum, Prozesse nicht noch stärker zu bürokratisieren. Bau-, Wissenschaftsund Finanzministerium haben alle ihre eigenen Prüflogiken und -verfahren, das führt häufig zu Verzögerungen. F&L: Hochschulbauprogramme wie das von Hessen helfen, den Sanierungs- und Modernisierungsstau im Hochschulbe- | IM GESPRÄCH | Der Hochschulbau in Deutschland ist unterfinanziert und überbürokratisiert. Wo gilt es anzusetzen, damit der Sanierungsstau abgebaut werden kann? Fragen an denVorsitzenden des Arbeitskreises Hochschulbau der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten. Ulf Richter ist Kanzler der Universität Siegen sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Hochschulbau der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten. Foto: Universität Siegen
12|24 Forschung & Lehre 893 HOCHSCHULBAU reich abzubauen. Wo könnte man noch ansetzen? Wie stehen Sie zu Public-Private-Partnership-Projekten (PPP) im Hochschulbau? Ulf Richter: Hochschulbau ist ein langfristiges Thema, er sollte auf zehn, besser auf 15 Jahre geplant werden. Daher sind eine langfristige Finanzierung und Planbarkeit äußerst wichtige Komponenten. Angesichts der aktuellen Zahlen halte ich es für ausgeschlossen, dass die Länder die Auflösung des Sanierungsstaus allein bewältigen können. Es wäre gut, wenn der Bund wieder in den Hochschulbau einsteigen würde, wenn es also zum Beispiel eine Art Sondervermögen gäbe. Meiner Meinung nach sollten wir aber auch über andere Finanzierungsquellen, zum Beispiel Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) oder Public-Private-Partnership (PPP)-Projekte, nachdenken. Hochschulen sind für private Financiers durchaus interessante Partner. F&L: An welche Partnerschaften denken Sie da? Ulf Richter: Viele Unternehmen haben ein Interesse daran, Teile ihrer Unternehmen in der Nähe von Hochschulen zu platzieren, weil sie mit der entsprechenden Hochschule Forschungsprojekte umsetzen wollen. Sie suchen die Nähe zu den Studierenden, um Personal zu rekrutieren oder weil das Image einer Hochschule auch gut für das Image eines Unternehmens ist. Diesem Wunsch nach räumlicher Nähe kann man dadurch nachkommen, dass man Gebäude gemeinsam errichtet und betreibt. Das bringt Hochschulen und Wirtschaft im Sinne von Transfer enger zusammen. An der einen oder anderen Stelle wie zum Beispiel an der RWTH Aachen beobachte ich, dass so etwas umgesetzt wird. Bei den Beispielen, die ich im Kopf habe, handelt es sich um keine klassischen ÖPP- oder PPP-Projekte, wie man das von früher kennt und wo die Interessenslage der Privaten im Vordergrund stand, nämlich eine Rendite zu erzielen. Ich meine PPP-Projekte, die über dieses eine Interesse hinausgehen. F&L: Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Länder dann noch stärker zurückziehen und auf die Finanzierung des Hochschulbaus durch PPP-Projekte verweisen? Ulf Richter: Dem muss man vorbeugen. Das Potenzial für solche Kooperationen ist in den Fächern unterschiedlich. Man könnte sagen: Von einer guten Universität wird erwartet, dass sie zwischen 20 und 30 Prozent ihres Grundhaushalts über Drittmittel einwirbt. So etwas Ähnliches könnte man auch für die bauliche Infrastruktur festlegen. Es muss klar sein, dass PPP-Projekte lediglich ein Baustein einer Finanzierung sein können. Auf gar keinen Fall darf man dem Finanzministerium eine Hintertür offen lassen, so dass der staatlich finanzierte Hochschulbau noch weiter vernachlässigt würde. F&L: Mitunter benötigen Bauprojekte im Hochschulbau zehn Jahre und länger bis zu ihrer Realisierung. Was sind Ihre Erfahrungen? Ulf Richter: An der Universität Siegen stellen wir gerade einen sehr anspruchsvollen und hochtechnisierten Laborbau fertig, er wird nächstes Jahr seiner Bestimmung übergeben. Mit der konkreten Planung haben wir 2017/18 begonnen. Mit diesem Zeitrahmen sind wir eher zügig als langsam. Von den circa acht Jahren nahm das eigentliche Bauen lediglich zweieinhalb bis drei Jahre ein. Die übrige Zeit bestand vor allem aus Bürokratie. F&L: Was macht das Bauen so bürokratisch? Ulf Richter: Ich bin seit elf Jahren Kanzler der Universität Siegen und habe währenddessen drei Referatsleiter im Wissenschaftsministerium erlebt, die für Hochschulbau zuständig sind. Jeder musste sich erst einmal in die Materie einarbeiten, dabei geht es nicht nur um eine, sondern mehrere Hochschulen, das benötigt selbstverständlich Zeit. Diese Fluktuation auf der Referatsleitungsebene spielt eine große Rolle. Ganz schwierig wird es, wenn sich Rahmenbedingungen grundlegend ändern, wenn das Land zum Beispiel neue Kennzahlen zugrunde legt. Früher gab es ein KennzahlensysFoto: mauritius images / Alamy »Hochschulbau ist ein langfristiges Thema, er sollte auf zehn, besser auf 15 Jahre geplant werden.«
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