889 HOCHSCHULBAU 12|24 Forschung & Lehre Nutzungsanforderungen Zwar haben die zentralen Nutzungsanforderungen mit Forschung, Lehre und Verwaltung grundsätzlich unverändert Bestand, jedoch ändern sich die spezifischen Anforderungen im Zeitverlauf. Während insbesondere im Zuge des Ausbaus der Hochschulen seit den 1970er-Jahren große Hörsäle als zentrale Elemente den Lehrraum strukturierten, ist der gegenwärtige Diskurs durch den sogenannten „shift from teaching to learning“ gekennzeichnet. Dieser adressiert eine veränderte Lehr- und Lernkultur, die in der Verschiebung vom Lehren, primär verstanden als Instruktion und Vermittlung von Wissen, hin zum Lernprozess und hin zu für den Erwerb fachbezogener und überfachlicher Kompetenzen erforderlichen Lernumgebungen besteht. Mit diesem Perspektivwechsel einher gehen neue Anforderungen an Lehr- und Lernräume an Hochschulen: Neben klassischen Lehrraumstrukturen, die mit ihren Hörsälen und Seminarräumen auf Frontalunterricht ausgelegt sind, bedarf es vor allem auch neuer Raumstrukturen, die verstärkt praktische und lerngruppenorientierte Formate, neben Instruktion zum Beispiel auch Kommunikation und Kollaboration ermöglichen. Für den Bereich der Forschung ergeben sich neue Anforderungen an die Gebäude und die Infrastruktur insbesondere in hochtechnisierten Fächern, wobei deren Ausstattung zugleich mit hohen Investitionen einhergeht. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund resultiert auch ein verstärkter Fokus auf die gemeinsame Nutzung von Forschungsinfrastrukturen. Neben der Forschung dient der gesamte Hochschulraum zudem der Begegnung mit außerhochschulischen Akteuren. Unter den Begriffen „Dritte Mission“ oder „Wissens- und Technologietransfer“ werden Formate für den Austausch mit Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Kultur und (Zivil-)Gesellschaft etabliert. Diese benötigen entsprechende bauliche Strukturen, die die Öffnung der Hochschulen in die Gesellschaft begünstigen. Der Campus ist idealerweise ein Begegnungsraum zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Seine Gebäude und seine Gestaltung fördern Interaktion zwischen Studierenden, Forschenden, Mitarbeitenden, Besucherinnen und Besuchern und weiteren Nutzenden der Stadt und bieten ein vielfältiges Angebot an formellen und informellen Begegnungsmöglichkeiten. Dabei geht es nicht nur um das einzelne Gebäude, sondern auch um sein Umfeld in Form von Wegen, Außenanlagen und Plätzen sowie die städtebaulichen Qualitäten. Noch stärker als bisher sollen sich Hochschulen und Teile ihrer Gebäude in die Stadtgesellschaft integrieren und städtebauliche Ziele mit Hochschulbau verknüpfen, indem zum Beispiel Innenstädte durch Hochschulnutzungen belebt werden. Eine geringere bauliche Komplexität weisen sicherlich Büroräume für Verwaltung und Wissenschaft auf. Dennoch verändern sich auch hier die Rahmenbedingungen durch einen zunehmend dauerhaften Anteil mobilen Arbeitens, damit einhergehender veränderter Arbeitsorganisation im Zuge von „New Work“ sowie Vorgaben der Politik zu Flächeneinsparungen. Das Gebot der Stunde lautet, Büroflächen insgesamt zu reduzieren, wobei die Vorgaben in den Bundesländern hinsichtlich des einzusparenden Umfangs (zwischen zehn Prozent und 20 Prozent der bestehenden Flächen) wie auch bei der Umsetzung (Gültigkeit nur für Neubauten oder auch im Bestand, für Verwaltung oder wissenschaftliche Bereiche, Zeitraum für die zu erzielenden Einsparungen) variieren. Sanierungsstau, Finanzierung und Bauverfahren Aktuelle belastbare Zahlen über den vorhandenen Flächenbestand der staatlichen Hochschulen in Deutschland liegen nicht vor. Auf Basis einer Erhebung zum Sanierungsstau aus dem Jahr 2012 ist von einer Hauptnutzungsfläche von 17 Millionen Quadratmeter (Nutzungsfläche NUF 1-6 DIN 277) auszugehen, wobei seinerzeit eine jährliche Flächenerweiterung von 250 000 Quadratmeter NUF 1-6 prognostiziert wurde (Stibbe/ Stratmann 2016). Im Jahr 2019 ergab eine ergänzende Untersuchung, dass sich die Nutzungsfläche der Hochschulen auf 21 Millionen Quadratmeter (NUF 1-6) belief. Dies entspricht einem jährlichem Flächenzuwachs von 500 000 Quadratmetern (NUF 1-6). Wie sich der Flächenbestand auf die Nutzungsarten aufteilt und woraus sich der Flächenzuwachs ergibt, lässt sich leider nicht empirisch nachweisen. Vermuten lässt sich, dass der Flächenaufwuchs primär aus dem Aufwuchs der Drittmittelforschung resultiert. Zugleich sehen sich die Hochschulen einem enormen Sanierungsstau gegenüber: Dieser kann Berechnungen zufolge auf etwa 74 Milliarden Euro beziffert werden (KMK 2023). Der Sanierungsstau betrifft dabei erstens Gebäude mit notwendigen Instandsetzungen oder den Ersatz von Gebäudeteilen durch Reinvestitionen, um deren Betrieb sicherzustellen und (Teil-)Schließungen zu verhindern. Zweitens geht es um notwendige Modernisierungen, um vor allem in hochtechnisierten Fächern wie Naturwissenschaften oder Medizin die den gewachsenen Anforderungen entsprechende Gebäudetechnik zu gewährleisten. Da sich dies häufig nur in Neubauten realisieren lässt, gilt es, durch entsprechende Sanierungsstrategien den Altbestand zu erhalten und eine Nachnutzung für andere Fächer zu ermöglichen oder gegebenenfalls nicht-nachnutzbare Gebäude außer Betrieb zu nehmen beziehungsweise abzureißen. Schließlich geht es drittens um energetische Sanierungen, nicht zuletzt, um Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele zu erreichen. Ein Großteil der Hochschulen ist verpflichtet, Vorgaben im Rahmen der Landesklimaschutzgesetze zu erfüllen, teilweise als Teil der Landesverwaltungen sogar sehr ambitionierte Klimaschutz- beziehungsweise Klimaneutralitätsvorgaben (Nußbaum et al., 2024). Zahlreiche Hochschulen befassen Dr. Grit Würmseer ist geschäftsführende Vorständin des HIS-Instituts für Hochschschulentwicklung in Hannover. Foto:T&T »Der Hochschulbau ist in besonderer Weise durch eine Verflechtung von Zuständigkeiten geprägt.«
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