Forschung & Lehre 12/2024

Forschung & Lehre 12|24 894 HOCHSCHULBAU tem, wonach die einzelnen Hochschulen ihre Raumprogramme aufgestellt haben. Irgendwann gab es ein genehmigtes Raumprogramm, das für alle weiteren galt. Wenn sich aber die Bedingungen ändern, zum Beispiel durch Corona, digitale Entwicklungen oder den Rückgang der Studierendenzahlen, fängt man wieder von vorne an. Dann muss alles neu berechnet werden und alles wird mehrfach geprüft. Diese vielen Prüfschritte verlangsamen den Hochschulbau. Obwohl viele Kanzlerinnen und Kanzler sich mit dem Thema beschäftigen und damit auch eine gewisse Kompetenz erlangt haben, mangelt es offensichtlich am Vertrauen in die Hochschulleitungen. Dabei gibt es für alles Kontrollmechanismen, die wir als Hochschule selbst anwenden können. Bei der Akkreditierung von Studiengängen hat man die Hochschulen ebenfalls in die Selbstständigkeit entlassen. Das wäre auch beim Hochschulbau möglich: Es könnten die Kennwerte des HIS-Instituts für Hochschulbildung – seit Neuestem minus 20 Prozent durch mehr Flächeneffizienz, bedingt durch mehr Homeoffice –, (sogenannte Bauminister-Kennwerte), gelten. Selbstverständlich muss das regelbasiert funktionieren. Solange die einzelne Hochschule beim Bauen innerhalb dieser Kennwerte bleibt, ist es in Ordnung. Wenn eine Hochschule darüber liegt, muss sie es begründen. Wenn man darunter liegt, wäre es meines Erachtens auch kein Problem, das Geld wieder freizugeben. Die Steuerungsmechanismen könnten viel einfacher sein, und dann würde es auch schneller gehen. F&L: Die Universitäten stehen auch vor der Herausforderung, beim Bau und der Sanierung von Gebäuden Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele einzuhalten. Braucht es hier nicht eine stärkere finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder? Ulf Richter: Das Thema Nachhaltigkeit spielt eine sehr große Rolle. Hochschulen haben einen immensen Energiebedarf, der Strombedarf wird immer stärker steigen. Wir erleben Druck von innen – von Studierenden, aber auch teilweise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – und von außen, wir sollen jedes Jahr zwei Prozent Energie sparen. An der Universität Siegen lasse ich auf allen geeigneten Hochschulgebäuden eine Solar-Anlage anbringen. Aber selbst dann gelingt es im besten Fall, zehn Prozent unseres Eigenbedarfs an Strom zu decken. Eine RWTH Aachen oder eine andere Technische Universität hat einen ungleich größeren Strombedarf. Der zweite Energieblock, und das ist der deutlich größere, ist die Wärme- und Kälteenergie, die wir für die Gebäude benötigen. Hier spielt der Sanierungsstau eine große Rolle. Ich hatte die Idee, aus dem Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung einen Teil des energetischen Sanierungsbedarfs zu finanzieren. Von den 74 Milliarden Euro Sanierungsstau könnten 20 Milliarden in energetische Sanierung gesteckt werden. Das würde sich am Ende bezahlt machen, weil durch eine bessere Isolierung, effizientere Pumpen und intelligente Stromnetze (Smart Grids) in der Gebäudetechnologie die laufenden Betriebskosten um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden könnten. Während sich Strom über erneuerbare Energien herstellen lässt, ist es schwieriger, aber auch umwelttechnisch nachhaltiger, auf fossile Brennstoffe und Technologien zu verzichten. F&L: Was bedeutet dieser immense Sanierungsstau für die Leistungsfähigkeit der deutschen Universitäten? So lassen sich kaum die „besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ gewinnen… Ulf Richter: Die Beeinträchtigungen durch den Sanierungsstau lassen sich zahlenmäßig nur schwer messen. Jede Kollegin beziehungsweise jeder Kollege könnte anekdotenhaft erzählen, dass diese oder jene Berufung gescheitert ist, weil die entsprechenden Laborflächen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten. Ich behaupte, wenn Sie zehn Kolleginnen und Kollegen dazu fragen würden, könnten acht oder neun Beispiele nennen. Berufungen scheitern also regelmäßig an der nicht vorhandenen Infrastruktur. Aber auch bei den Berufenen kann es später zu großen Enttäuschungen kommen: wenn in Berufungsverhandlungen zum Beispiel ein neues Labor in Aussicht gestellt wurde, aber dessen Bau und Fertigstellung Jahre braucht. Das ist nicht die beste Werbung für eine Hochschule. F&L: Wie stark ist das Berufungsgeschehen von diesen Problemen betroffen, konkret gefragt: Was sehen die Bewerberinnen und Bewerber im Rahmen des Berufungsverfahrens vom Sanierungsstau? Ulf Richter: Im Bewerbungsverfahren zeigen die Fakultäten selbstverständlich immer die Schokoladenseite. Im Zuge der Verhandlungen mit dem Erst- oder Zweitplatzierten ergibt sich dann ein realistischerer Blick auf die Hochschule und ihre Infrastruktur. Schließlich gibt es den Termin mit der Kanzlerin oder dem Kanzler. Hier können sogenannte Berufungsbaumittel gewährt werden, aber das ist im Vergleich zum Sanierungsstau bestenfalls Kosmetik. F&L: Der Präsident der Leibniz Universität Hannover, Volker Epping, beklagte jüngst den Verfall vieler Universitätsgebäude,dieUniversität spare bereits bei Professuren und anderem Personal. Müssen die Universitäten nun entscheiden, ob sie die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel in Gebäudesanierungen investieren oder in Professuren? Ulf Richter: Das habe ich noch nie gehört, aber ich schließe nicht aus, dass das passieren könnte. Ich kenne die Situation in Niedersachsen und weiß, wie schlecht ausgestattet dort der Hochschulbau ist. Die niedersächsischen Hochschulen haben es noch schwerer als andere. Insgesamt sehe ich die Gefahr, dass die Hochschulen durch die Geldknappheit genötigt werden, ihr Profil an die vorhandenen knappen Mittel anzupassen. Wirtschaftlich zu handeln könnte in dem Fall für eine Kanzlerin oder einen Kanzler bedeuten, dass sie beziehungsweise er teure Fächer – technische Fächer, aber auch Medizin – aufgeben muss. Das wäre für die Attraktivität der jeweiligen Hochschulstandorte und die Wettbewerbsfähigkeit nicht gut. Vielfalt fördert den Wettbewerb, auch in der Forschung. Dazu braucht es viele Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmer sowie die Voraussetzungen, sich dem Wettbewerb erfolgreich stellen zu können. Die Fragen stellte Vera Müller. »Angesichts der aktuellen Zahlen halte ich es für ausgeschlossen, dass die Länder die Auflösung des Sanierungsstaus allein bewältigen können.«

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