908 Forschung & Lehre 12|24 DATENMANAGEMENT Eine Studie der OECD von 2020 beschreibt treffend die Transformation der Wissenschaften in „Computational Sciences“ sowie den fortgeschrittenen Grad der Digitalisierung aller Bereiche der Forschung: „The development and adoption of digital technologies is transforming science through all stages of the scientific process, from agenda setting and experimentation to research output communication and evaluation.” (Michela Bello /Fernando Galindo-Rueda). Nicht nur werden heute Erkenntnisse durch computergestützte Methoden wie die Computersimulation, die algorithmenbasierte Datenanalyse und künstliche Intelligenz gewonnen; jedes Messinstrument und jede Forschungsinfrastruktur ist mit zahlreichen Sensoren und Prozessoren bestückt. Dies hat wiederum Unmengen an Daten, Software und Computercodes entstehen lassen. Bis heute wird das Schreiben von Forschungssoftware jedoch nicht als natur-, technik- oder geisteswissenschaftliche Tätigkeit angesehen und daher zumeist auch nicht durch die Drittmittelgeber für wissenschaftliche Projekte gefördert. Dies hat ein merkwürdiges Schisma von Forschung und Programmierung eingeführt, das im Extremfall in ein Schisma von Wissenschaft und Service kumuliert, das aber in der Regel einen Wust an wissenschaftlichen Softwareprojekten hinterlässt. Das Dilemma resultiert aus zwei offenen Grundfragen: Inwieweit ist es Forscherinnen und Forschern neben ihrer Forschertätigkeit überhaupt möglich, Software auf aktuellem Stand der Programmierung zu realisieren und zu betreuen? Research Software Engineering soll hier Abhilfe schaffen und wissenschaftliche Softwareprojekte professionalisieren. Doch inwieweit ist es Forscherinnen und Forschern andererseits möglich, das Medium ihrer Forschung (Software) einer anderen Disziplin (Informatik) zu überlassen? Dies macht das Dilemma der Digitalisierung von Forschung, aber auch die Herausforderung an das Research Software Engineering deutlich. 80 Jahre Computational Sciences Die Situation ist nicht neu, insofern der „Linguistic Turn“ im automatisierten Rechnen kommendes Jahr seinen achtzigsten Geburtstag feiert. 1945 beschrieb der Mathematiker und Computerpionier John von Neumann nicht nur die bis heute gebräuchliche Architektur des Von-Neumann-Computers, sondern führte auch für die logische Kontrolle (Programmierung) der Computer codewords ein. „It is therefore our immediate task to provide a list of the orders which control the device, i.e. to describe the code used in the device, and to define the mathematical and logical meaning and the operational significance of its code words.” Damit eröffnete er die Bühne von Hardware und Software, auf der sich die digitale Wissenschaft bis heute bewegt. Die mnemotechnische Revolution der Codewörter initiierte eine Kaskade an Folgephänomenen, in deren Verlauf sich die symbolische Ersetzung der Maschinenoperationen durch Codes immer mehr an den menschlichen Sprachgebrauch annäherte – von ersten Codierhilfen wie Assemblern oder Compilern bis zu höheren Programmiersprachen. Doch von Neumann leistete noch ein Weiteres, indem er die Entwicklung leistungsfähiger Computer vorantrieb, um komplexe wissenschaftliche Probleme mithilfe von Computersimulationen zu lösen. Neben der Berechnung der Ausbreitung von Explosionswellen für das Manhattan-Projekt, an dem von Neumann beteiligt war, war es die Meteorologie, der er 1950 zu einer der ersten Computersimulationen verhalf. Von Beginn an wurden dabei die wissenschaftlichen Softwareprojekte und Programmiertechnologien von den Forscherinnen und Forschern selbst entwickelt. Denn gerade im Kontext der Computersimulationen und -modelle ist Software programmierte Theorie. Änderungen im Programmcode des Simulationsmodells bedeuten Änderungen der Theorie, und dies hat Folgen für die Resultate und Erkenntnisse. Der Programmcode muss daher so transparent, nachvollziehbar und verstehbar wie möglich sein. Dies ist einer der Gründe, warum wissenschaftliche Software bis heute oft noch in Fortran (Formular Translator) geschrieben ist, der ältesten höheren Programmiersprache. Fortran hatte das Ziel, wissenschaftliches Programmieren durch eine mathematiknahe Epistemische Überforderung? Mit Research Software Engineering Forschungssoftware professionalisieren | GABRIELE GRAMELSBERGER | Riesige Datenmengen, extrem schnelle Berechnungen und die wachsende Komplexität der Softwarestrukturen machen es immer schwieriger, Wissenschaft transparent, nachvollziehbar und verstehbar zu gestalten. Research Software Engineering soll hier Abhilfe schaffen. Gabriele Gramelsberger ist Professorin für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie anderRWTH Aachen. AUTORIN Foto: privat
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