959 ENIGMA 12|24 Forschung & Lehre Enigma Schach rückwärts gedacht Von Christian Hesse* *Autor und Copyright: Christian Hesse ist Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart, Visiting Professor an der UCLA in Los Angeles und Adjunct Professor an der Hertie School, The University of Governance in Berlin. Erschienen sind von ihm der internationale Bestseller „Expeditionen in die Schachwelt“ und kürzlich, zusammen mit Frederic Friedel, „Chess Stories. Legendary Players–Fascinating Problems“. Lösung: Man muss sich nach Art von Sherlock Holmes logisch in die Vergangenheit der Stellung begeben. Also dann: Schwarz hat nur noch seinen König auf dem Brett. Dieser König kann nicht den letzten Zug ausgeführt haben. Denn von welchem Feld sollte er auch nach a2 gelangt sein? Deshalb muss Weiß als letztes gezogen haben. Für diesen letzten Zug kommen nur der weiße Springer und der weiße König in Frage. Hätte der weiße Springer zuletzt gezogen, hätte das nur der Zug von b3 nach a1 gewesen sein können. Aber nehmen wir diesen Zug einmal hypothetisch als letzten an, welchen Zug hätte Schwarz unmittelbar zuvor machen können? Der schwarze König hätte nicht von a1 nach a2 gezogen haben können, weil er auf a1 im Schach gestanden hätte. Es müsste also eine weitere schwarze Figur auf dem Brett gewesen sein, die durch den Springerzug von b3 nach a1 das Brett verlassen hat. Diese schwarze Figur müsste demnach auf a1 gestanden haben. Aber um welche schwarze Figur könnte es sich hierbei gehandelt haben? Dame, Turm und Läufer kommen dafür nicht infrage, da diese im vorhergehenden schwarzen Zug nicht auf das Eckfeld gelangt sein können. Doch auch ein schwarzer Springer kann nicht auf a1 gestanden haben, denn der müsste zuvor zwingend von b3 in die Ecke gesprungen sein. Aber auf b3 stünde beim Rückwärtsdenken in dieser Variante der weiße Springer von a1. Ergo: Diese ganze Rückwärts-Variante scheitert, und der letzte Zug kann nicht vom weißen Springer ausgeführt worden sein. Damit bleibt nur der weiße König. Er kann nur von d1 nach c1 gezogen haben. Das ist im Prinzip die Lösung. Doch man kann noch Genaueres sagen: Da der schwarze König schon länger unbeweglich auf a2 steht, muss vor dem weißen Königszug nach c1 noch eine schwarze Figur dort gestanden haben, die den vorletzten Zug ausgeführt haben muss. Keine schwarze Dame und kein schwarzer Turm oder Läufer hätten sich allerdings unmittelbar zuvor nach c1 begeben können. Nur ein schwarzer Springer kann das, entweder von b3, d3 oder e2 kommend, bewerkstelligen. Somit können wir nun abschließend sagen: Zuletzt zog der weiße König, der von d1 kommend einen schwarzen Springer auf c1 schlug. Am 25. November 2024 begann der Zweikampf um die Weltmeisterschaft im Schach. Eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal ein wenig mit dieser geistigen Kampfsportart zu beschäftigen. Man betrachte dazu das folgende Schachproblem, kreiert von einem der genialsten Problemkomponisten, Karl Fabel, der von 1905 bis 1975 lebte. Welcher Zug wurde als letzter gespielt? Das Problem ist insofern außergewöhnlich, als es nicht nach einer Gewinnkombination in zwei, drei oder mehr Zügen fragt, sondern auffordert, schachlich rückwärts zu denken: Der letzte Zug, der zur abgebildeten Stellung führte, soll gefunden werden.
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