Forschung & Lehre 9/2019

822 G E I S T E S W I S S E N S C H A F T E N Forschung & Lehre 9|19 Bemerkungen zur Wissenschaftspolitik Die Sicht eines Geisteswissenschaftlers D ie Schaffung neuer Erkenntnis ist nur durch intensive und oft sehr spezialisierte For- schung möglich, die von Fragen und Hypothesen getrieben wird. Um diese Fragen zu beantworten und Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren, be- darf es einer soliden Grundlage, die zu einem großen Teil aus einer möglichst breiten Materialbasis besteht. Diese Materialbasis zu schaffen und zur Ver- fügung zu stellen, ist die Hauptaufgabe der Grundlagenforschung. In dieser Hinsicht kommt den Aka- demien eine wichtige Rolle zu, weil sie – im Unterschied zu den Universitäten – ihren Forschern die Möglichkeit geben können, sich alleine der zeitauf- wändigen Erarbeitung eben jener Grundlagen zu widmen, ohne die eine zielführende „hypothesengetriebene“ Forschung unmöglich ist. Nicht von ungefähr liest man in einem Evaluati- onsbericht aus jüngster Zeit: „Solche ‚Dauerbrenner‘ wirken heutzutage und prima facie nicht attraktiv, schon gar nicht innovativ. Sie leisten aber ent- scheidende Beiträge zur kulturwissen- schaftlichen Grundlagenforschung und geben eine bedeutende Hilfestellung für viele andere Forschungen. ... Akademien sind nach allgemeinem Verständnis für solche Projekte der adäquate Ort.“ Dazu sind natürlich lange Perspektiven notwendig, also Langzeitprojekte, die von Mitarbeitern mit unbefristeten Dienstverträgen durchgeführt werden. Dem steht aber leider die derzeitige Wissenschaftspolitik weitgehend entge- gen. Alles muß „innovativ“ sein, For- schung ist nur gut, wenn sie „hypothe- sengetrieben“ ist, und ihre Finanzierung muß „kompetitiv“ eingeworben werden. Dieses Konzept hat jedoch in Zeiten knapper Mittel höchst nachteilige Kon- sequenzen, und zwar in zweifacher Ausprägung. Erstens sollen sich die Mitarbeiter der unterfinanzierten Aka- demie an Förderorganisationen wenden und dort Geldmittel einwerben. Die we- nigen in Österreich für Geisteswissen- schaften zur Verfügung stehenden Or- ganisationen beziehen ihre Finanzen je- doch – wie die Akademie – ebenfalls vom Staat, und sie sind ebenso – oder vielleicht sogar in noch höherem Maße – unterfinanziert. Zweitens ist es zwar die Aufgabe dieser Organisationen, Grundlagenforschung zu fördern, aber mir ist nicht klar, was sie unter „Grund- lagenforschung“ verstehen, denn Anträ- ge zur finanziellen Förderung von Edi- tionen sind so gut wie aussichtslos. Da- raus ergibt sich im Endeffekt für eine Drittmittelfinanzierung der Akademie das folgende Paradox: Die Mitarbeiter einer unterfinanzierten Einrichtung wen- den sich an eine andere unterfinanzierte Einrichtung, um Förderung für Projekte zu erhalten, die gar nicht zu ihren vor- nehmsten Aufgaben gehören. „Wissenschaftssprache“ Englisch Dazu kommt, dass in vielen Bereichen als einzig zugelassene Sprache das Eng- lische gilt, wegen der „internationalen Sichtbarkeit der Forschung“. Abgesehen davon, dass hier „Internationalität“ mit Anglomanie verwechselt wird, und auch abgesehen davon, dass alle Wis- senschaften ohnehin schon immer „in- ternational“ waren und es weiterhin sind, ist dieses Prinzip für die Geistes- wissenschaften tödlich, weil nicht-eng- lische Fachliteratur dann kaum noch zur Kenntnis genommen wird – so kann das Rad immer wieder aufs Neue erfunden werden! Das alles scheint mir das Ergebnis einer Wissenschaftspolitik zu sein, die nur noch von Schlagwörtern beherrscht wird. Dazu gehören – zusätzlich zu den schon genannten Begriffen – auch z. B. „Exzellenz“, „Qualitätssicherung“ oder gar „Qualitätssteigerung“, „Ranking“, „Impact“, „Employability“, „Zielverein- barung“, „open access“ oder gar „open innovation“, „dissemination strategy“ – und „Demokratisierung des Wissens“. Evaluierung Aus dieser Vokabelsuppe möchte ich nur wenige Termini herausgreifen und auf einige ihnen gemeinsame Gefahren hinweisen. Dazu gehört z. B., dass diese Schlagwörter für alle Fächer und alle Forschungsarten gleichermaßen gültig sein sollen, ohne Rücksicht auf die un- terschiedlichen Voraussetzungen, Be- dingungen und Bedürfnisse zu nehmen. Das zeigt sich vor allem in Evaluierun- gen und im sog. „Ranking“. Abgesehen davon, dass es mehrere Systeme des Rankings gibt, deren Ergebnisse sich teilweise widersprechen, ist den meisten gemeinsam, dass der Schwerpunkt auf der Zahl der Nobelpreise und der Ver- | T H O M A S C O R S T E N | Forschung geschieht nicht plötzlich, sondern braucht oft Zeit und lange Perspektiven. Demgegenüber steht die poli- tische und gesellschaftliche Forderung nach schnellem Nutzen und Innovation. Eine Analyse aus geisteswissenschaftlicher Perspektive.* A U T O R Thomas Corsten ist Professor für Grie- chische Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik an der Universität Wien.

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