Forschung & Lehre 9/2019

öffentlichung in Zeitschriften wie Sci- ence und Nature liegt. Da stellt sich doch sofort die Frage: Wie soll man so die Geisteswissenschaften beurteilen? Zudem bringt der Evaluierungswahn die Gefahr kurzfristigen Denkens und Planens mit sich, eine Gefahr, die ei- gentlich schon längst erkannt wurde; aber auch diese Erkenntnis setzt sich gegen die selbst angemaßte Autorität der Evaluierungsfetischisten nur viel zu langsam durch. Und so wird zu regel- mäßigen Terminen fröhlich gezählt: Wieviele Aufsätze, wieviele Bücher? Niemand schaut sich die Qualität an – sie bleibt dadurch oft genug auf der Strecke: Quantität statt Qualität. Drittmittel Noch schlimmer ist jedoch eine andere Methode der Qualitätssicherung, näm- lich eingeworbene Drittmittelprojekte zu zählen. In den meisten „Leistungs- berichten“ wissenschaftli- cher Einrichtungen wie auch in den „Rankings“ spielt die Einwerbung von Drittmitteln eine größere Rolle als die Schaffung neuer Erkenntnis. Natür- lich: Geld ist leichter zu zählen, als die Qualität von Forschungsergebnissen zu messen ist. Die Folgen sind allenthalben sichtbar: Anträge stecken voller Luft- blasen-artiger Versprechen dessen, was man alles erreichen will, während die am Ende tatsächlich erzielten Ergebnis- se dabei in den Hintergrund geraten. Und mit den Drittmitteln sind wir dann auch wieder bei der Kurzfristigkeit der Planung: Förderung kann nur für weni- ge Jahre beantragt werden – längerfris- tige Forschung, vor allem Grundlagen- forschung, ist auf diesem Wege kaum möglich. Forschung und Öffentlichkeit Zu allem Überfluss spielt sowohl bei Anträgen auf Forschungsförderung wie auch bei Evaluierungen immer mehr auch ein Komplex eine Rolle, der mit dem Schlagwort „Sichtbarmachung der Forschung“ umrissen werden kann. Forschung muß sichtbar sein, das ist unumstritten. Die Frage ist aber, in wel- chem Rahmen und in welchem Umfeld sie sichtbar sein sollte. Als neueste Hei- lige Kuh wird in diesem Zusammenhang der Begriff „open access“ ins Spiel ge- bracht, wozu Publikationen im Internet verhelfen sollen. Solange sich dies an Fachkollegen in aller Welt richtet, kann das auch sinnvoll sein (wobei allerdings die Fragen der Finanzierung und der dauerhaften Zugänglichkeit m.E. noch weit davon entfernt sind, geklärt zu sein). Aber der Adressat soll auch der Steuerzahler sein, der ja letztendlich zu- mindest die an öffentlichen Einrichtun- gen durchgeführte Forschung finanziert und etwas für sein Geld sehen will. Das Prinzip ist natürlich richtig, die gefor- derte Durchführung bewegt sich aber teilweise in einer vollkommen unrealis- tischen Vorstellungswelt. Nehmen wir also einmal an, ein Steuerzahler, der sich als Laie für die Entstehung des Weltalls interessiert (also jemand wie ich), hat die Absicht, die neueste Forschungsliteratur dazu zu lesen. Er versucht zunächst, sich in einer Fachbibliothek zurechtzufinden, und schafft es nach langen Mühen auch, der gewünschten Publikationen habhaft zu werden. Ist ihm das endlich gelungen und er liest die wissenschaftli- chen Ausführungen, muß er feststellen, dass er sie überhaupt nicht versteht, weil ihm die fachlichen Voraussetzungen fehlen. Das wird jedoch – so die Vor- stellung – durch „open access“ ganz an- ders: Der steuerzahlende Laie begibt sich also wieder nach Hause, schaltet seinen Computer ein, findet dort in Se- kundenschnelle alles, was er lesen will (also das, was er zuvor in der Bibliothek auf dem Tisch hatte) – allerdings mit dem bedeutenden Unterschied, dass er jetzt alles versteht! Warum? Weil es im Internet ist! Und weil das für jeden Steuerzahler gilt, auch für den, der in ländlicher Idylle fernab von Universi- tätsbibliotheken wohnt, nennt man das „Demokratisierung des Wissens“. Ein schöner Begriff, der umso schöner ist, als er die Möglichkeit bietet, jeden, der auf die Absurdität dieser Vorstellung hinweist, zu beschuldigen, in undemo- kratischer Weise „Herrschaftswissen“ zu favorisieren, welches auf Kosten der Steuerzahler durch einsames und ziello- ses Forschen im Elfenbeinturm hervor- gebracht wird – das Schlagwort eignet sich so hervorragend als Totschläger. Nein, für die „Demokratisierung des Wissens“ – früher nannte man das übri- gens, glaube ich, „Bildung“ – sind in erster Linie die Schulen zuständig, wo schließlich Lehrer das bei uns erworbene Wissen weitergeben; dann auch z. B. die Wissenschaftsjournalisten, die deshalb m. E. eine wichtige Rolle in der Gesell- schaft spielen. Natürlich könnte man jetzt auch von uns verlangen – und lei- der wird ein solches Ansinnen ja auch bisweilen an uns herangetragen –, dass wir selbst so schreiben, dass es jeder versteht. Wer derartiges verlangt, ist sich offenbar nicht im Klaren darüber, wie voraussetzungsreich Forschung ist. Um auch einem Laien wie mir die neu- esten Ergebnisse der Weltraumforschung verständlich zu machen, müsste jeder Wissenschaftler in jeder Veröffentlichung bei Adam und Eva beginnen. Ergebnis: die Publikationen würden zehnmal so lang, ihre Autoren benötigten zehnmal so viel Zeit, der wissenschaftliche Fort- schritt würde beträchtlich verlangsamt und in der Summe reduziert. Und diese Übung nennt man dann wahrscheinlich „Qualitätssteigerung“ ... Ich fasse zusammen: Die Aufgabe der Akade- mien ist und bleibt m.E. – natürlich mit der notwen- digen Flexibilität – die in eigenfinanzierten Lang- zeitprojekten durchge- führte Grundlagenforschung. Darauf aufbauend werden dann – an den Aka- demien und an den Universitäten – neue Erkenntnisse erzielt, die sonst un- möglich wären, und dieses neue Wissen wird an den Universitäten von Studen- ten erworben, die es als Lehrer an ihre Schüler weitergeben, sowie von Wis- senschaftsjournalisten, die für eine zu- sätzliche Verbreitung an alle Interes- sierten auch außerhalb der Schulen sorgen. Diese traditionelle Aufgabentei- lung zwischen Akademien, Universitä- ten, Schulen und Wissenschaftsjourna- lismus scheint mir die sinnvollste Art, neues Wissen zu erarbeiten und allge- mein zu verbreiten – das autoritäre He- rumfuchteln mit geist- und inhaltslosen Schlagwörtern dient nur der Volksver- dummung. *Dieser Beitrag ist eine leicht geänderte Fas- sung eines Vortrags, den der Autor unter dem Titel „Historische Grundlagenforschung und die Rolle der Akademien“ im Jahre 2016 bei der „Festveranstaltung anlässlich der Vorstellung der 2016 neu gewählten Mitglieder“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehalten hat. Dadurch erklärt sich die besonde- re Berücksichtigung der Rolle der Akademien. 9|19 Forschung & Lehre G E I S T E S W I S S E N S C H A F T E N 823 »Geld ist leichter zu zählen als die Qualität von Forschungsergebnissen zu messen.«

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