Forschung & Lehre 09/2023

678 FORSCHUNGSINSTITUTE Forschung & Lehre 9|23 “Insel der Seligen” Institutes of Advanced Study und ihre Bedeutung in der deutschen Wissenschaft Forschung & Lehre: Herr Professor Galizia, Sie leiten das Zukunftskolleg an der Universität Konstanz, eines der wenigen Institutes of Advanced Study (IAS) in Deutschland. Davon gibt es laut einer Abfrage des Wissenschaftsrats von 2021 gerade einmal 23 Stück. Ihrer Meinung nach bräuchte es deutlich mehr – warum? Giovanni Galizia: An einem IAS wie dem Zukunftskolleg können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz auf ihre Forschung konzentrieren und sich mit Personen aus unterschiedlichen Fachrichtungen austauschen. Beides macht die IAS für mich zu einem sinnbildlichen Ort für den traditionellen Kern der Universität. Ich verbinde damit das Forschen um seiner selbst willen, das Zelebrieren von Wissen und von (Noch-)Nicht-Wissen. Dieser Geist ist etwas Besonderes. Im Universitätsalltag geht er zunehmend verloren. Es fehlen die Freiräume für Kreativität, die Orte, an denen man nachdenken kann, miteinander in Ruhe ins akademische Gespräch versinken kann, und das lebt, was eine “Universitas litterarum” ist oder sein sollte. F&L: Warum nicht bei der Universität selbst ansetzen? Giovanni Galizia: Die Struktur der Universität hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert und bedarf viel mehr Verwaltung, sei es für die Gestaltung der Lehre nach genauen Strukturplänen oder für die Akquise von Drittmitteln. Wir können den bürokratischen Aufwand an der ein oder anderen Stelle reduzieren – strukturell etwa durch eine Digitalisierung und Vereinfachung von Abläufen und individuell, indem wir durch verantwortungsvolles Arbeiten das Vertrauen in die Wissenschaft stärken. Um die Verwaltung der zahlreichen Abläufe kommen wir aber nicht herum. Auch ich will ein transparentes Verwaltungsmanagement. Es ist auch ganz normal, dass sich Forschende im regulären Universitätsalltag vor allem mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem eigenen Fach oder daran angrenzenden Bereichen austauschen. Ein IAS ist eine Insel der Seeligen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich hier für eine gewisse Zeit aus diesen Routinen herausziehen. F&L: Wie können auch diejenigen an der Universität profitieren, die selbst nicht an einem solchen Institut sind? Giovanni Galizia: Über das Kolleg kommen interessante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wir sonst nicht hätten gewinnen können. Sie wollen sich auf Forschung statt Lehre konzentrieren, und passen nicht in herkömmliche Stellenpläne oder Fachbereiche. Sie setzen Impulse für neue Themen und Fachrichtungen. In Konstanz können wir durch das Zukunftskolleg als vergleichsweise kleine Universität ein viel breiteres Forschungsspektrum abdecken, als es ohne der Fall wäre. Auch können wir Formate für Karriereberatung oder Schulungen testen, die wir dann auf die ganze Universität übertragen können. F&L: Wo bleibt die Verbindung von Forschung und Lehre? Giovanni Galizia: Viele Institute wie das Zukunftskolleg sind – anders als etwa eines der ältesten IAS in Deutschland, das Wissenschaftskolleg in Berlin – organisatorisch an die Universität angebunden. Die Verbindungen sind eng. Das halte ich für wichtig. Die Fellows am Zukunftskolleg lehren sogar während der Zeit am Kolleg und bereichern durch ihre Forschung auch die Lehre. F&L: Wie sieht der Alltag in einem IAS aus? Giovanni Galizia: Wir bieten regelmäßige Diskussionsrunden, Mittagessen oder auch „scientific retreats“ an, bei | IM GESPRÄCH | An einem Institute of Advanced Study (IAS) sollten alle Forschenden mindestens einmal während ihrer wissenschaftlichen Laufbahn gewesen sein, findet Professor Giovanni Galizia. Die Notwendigkeit für IAS hält er gleichzeitig für eine Schwäche des Hochschulsystems. Giovanni Galiziaist Professor für Zoologie und Neurobiologie an der Universität Konstanz und leitet dort das Zukunftskolleg, ein Institute of Advanced Study für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere. Foto: Zukunftskolleg Konstanz

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