Forschung & Lehre 09/2023

Lesenund lesen lassen Corona-Pandemie), aber auch durch willfährig-eitle Indienststellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (in Expertengremien, bei Lanz oder Twitter) seien mit dem Ethos der Wissenschaft wie auch dem Ethos der Demokratie unverträglich. Klaus Ferdinand Gärditz: Hoflieferanten. Wie sich Politik der Wissenschaft bedient und selbst daran zerbricht. Hirzel Verlag 2023, 24,- €. Professorin Dr. Elif Özmen, JustusLiebig-Universität Gießen Was dient dem Frieden? Seit 1987 geben vier führende Friedensforschungsinstitute in Deutschland jährlich ein Friedensgutachten heraus, in dem das Wissen der Expertinnen und Experten zusammengeführt wird, um daraus Empfehlungen für die Politik abzuleiten und die Öffentlichkeit über friedenspolitisch relevante Fragen zu informieren. Dreh- und Angelpunkt im aktuellen Gutachten von 2023 ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der mit seinen vielfältigen Auswirkungen u.a. auf den Klimaschutz oder die Entwicklungs- und Handelspolitik das Ausmaß der zu lösenden Aufgaben zur Friedenssicherung vor Augen führt. Das Gutachten befasst sich nicht nur mit dem Ukrainekrieg, sondern auch mit anderen Gewaltkonflikten, beispielsweise in Afghanistan, nicht nur mit zwischenstaatlichen, sondern auch mit inner- und nichtstaatlichen Gewaltkonflikten, mit den erschwerten Abrüstungsbedingungen oder auch mit der Zunahme politischer Polarisierung in der Gesellschaft. Der gewählte Titel des Gutachtens „Noch lange kein Frieden“ klingt pessimistisch und lässt eine intensive Friedensforschung um so dringlicher erscheinen. BICC/HSFK/IFSH/INEF (Hg.): Friedensgutachten 2023 / Noch lange kein Frieden. transcript Verlag 2023, 15,- €. Unter friedensgutachten.de kostenlos downloadbar. Ina Lohaus (Il)Legitime Politisierung Anders, als die öffentlichkeitswirksamen Klagen um Politisierung und Moralisierung der Wissenschaft nahelegen, ist das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Recht anspruchsvoll, facettenreich und ambivalent. Es ist das Verdienst der Streitschrift von Klaus Gärditz, die sachlichen Grundlagen der Idee und des Selbstverständnisses von Wissenschaft mit ihren epistemischen und gesellschaftlichen Funktionen, politischen An- und Herausforderungen, Rollenbildern und Stolpersteinen zu konfrontieren. Dabei bewegen sich die materialreichen, multidisziplinären und mitunter angriffslustigen Ausführungen in einem Spannungsfeld, das sich durch das Schlagwort der Politisierung nicht einfach auflösen lässt. Einerseits ist die Freiheit der Wissenschaft eine Funktionsbedingung der wissenschaftlichen Tätigkeit und ihrer robusten Wahrheits- und Wirklichkeitsorientierung. Das Grundrecht in Art. 5 Abs. 3 GG dient dem Schutz vor Politisierung durch Zensur, sachfremde Steuerung, Regulierung und Ideologisierung. Andererseits ist Wissenschaftsfreiheit durchaus politisch, d.h. rechtlich-normativ gesetzt und gesamtgesellschaftlich gewollt (und finanziert!), weil mit der Freiheit von staatlicher Fremdbestimmung politische Hoffnungen verbunden werden. Idealiter führt freie Wissenschaft zu Erkenntnissen, die systematisch geprüft, objektiviert, glaubwürdig sind und in freiheitlichen pluralistischen Gesellschaften als verlässliche Rationalitätsreserve dienen können. Kooperationen zwischen Wissenschaft, Politik und Recht sind daher regelmäßig zu erwarten (lesenswert: die Kapitel zu Wissenschaft und Demokratie sowie zu Wissensverarbeitung durch Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung). Gleiches gilt aber für Konflikte, wobei Gärditz ein besonderes Augenmerk legt auf das Laster des wissenschaftlichen Hoflieferantentums. Gerade diese Form der Politisierung durch ungewollte Indienstnahme (z.B. in der BÜCHER ÜBER WISSENSCHAFT Manuela Lenzen: Der elektronische Spiegel Menschliches Denken und künstliche Intelligenz. C.H. Beck Verlag 2023, 20,- €. Ausgehend von der Feststellung, dass wir Menschen immer noch nicht verstehen, was Intelligenz eigentlich ist, geht es in diesem Buch um die Fragen, was wir einerseits durch Versuche, künstliche Systeme zu bauen, die sich intelligent anstellen, über uns selbst lernen können und was man andererseits aus diesen Einsichten wiederum für den Bau intelligenter Maschinen ableiten kann. Rainer Mühlhoff: DieMacht der Daten Warum künstliche Intelligenz eine Frage der Ethik ist. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht unipress, 15,- €. Der Professor für Ethik der Künstlichen Intelligenz an der Universität Osnabrück verweist auf die vielfältigen Gefahren, die sich aus dem Missbrauch gesammelter Daten u.a. durch Firmen ergeben können. Aus ethischer Perspektive nähert er sich dem neuen Machtgefüge in der Gesellschaft, zu dem wir alle durch unsere Daten beitrügen. Katharina Zweig: Die KI war’s! Von absurd bis tödlich: Die Tücken der künstlichen Intelligenz. Heyne Verlag 2023, 20,- €. Wenn maschinelle Entscheidungen über Menschen getroffen würden, seien sie nicht immer richtig. Daher hält es die Informatikprofessorin an der Rheinland-PfälzischenTechnischen Universität KaiserslauternLandau für wichtig, den Prozess hinter den Entscheidungen zu verstehen. Es müsse erkennbar werden, wann sie falsch sind und auch wie man sich wehren könne. Antworten darauf liefert sie anhand zahlreicher Beispiele. 688 BÜCHER Forschung & Lehre 9|23

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