Forschung & Lehre 12/2023

Forschung & Lehre 12|23 908 FORSCHUNGSFELDER IM WANDEL Nachgefragt Einblicke in den Forschungsalltag Forschungsfeld Die Digital Humanities haben sich mittlerweile von einem Forschungsfeld zu einer eigenen Disziplin entwickelt. Ich selbst bin habilitierter Klassischer Archäologe und habe bereits in den 1990er Jahren archäologische Datenbanken programmiert. Aber erst in meiner Generation ist es möglich, computergestützte Objekterkennung und 4D-Visualisierung von Bildwerken sinnvoll einzusetzen, wie ich es beispielsweise für die Analyse griechischer Vasenbilder und Terrakotten, römischer Skulptur und virtueller Museen nutze. Allgemein gesprochen könnte man die Digital Humanities als Explorationsfeld für die Auswirkungen des digitalen Wandels auf den Umgang mit digitalen Wissensbeständen verstehen. Stichworte sind hier Aufbau, Erweiterung und Lücken in der digitalen Erfassung; Datenrepräsentation und Transparenz; Einheitlichkeit der Kategorienbildung; Vereinfachung und Kanonisierung; Heterogenität und Unbestimmtheit als Eigenheit der Conditio Humana; Autorität und Expertise als Forschungstreiber oder -behinderung; Konsequenzen von Fehlern und Irrtümern auf die Forschung; Erinnern und Vergessen als geisteswissenschaftliches Anliegen; Aufgabenteilung menschlich-maschineller Datenkuratierung und ihre Konsequenzen; Datengerechtigkeit, Zugangskontrolle und Macht und, zunehmend wichtig, auch Energieverbrauch und Klimaschutz. Motivation Die Digital Humanities verstehe ich als Brücke ins Digitale Zeitalter. Neben der digitalen Erschließung von historischen Texten und Objekten und den innovativen Forschungsmethoden und Fragestellungen sind hier auch der hohe Grad an interdisziplinärer Zusammenarbeit und die gemeinsame Entwicklung neuartiger Forschungsumgebungen und Lehrformate zu nennen. So werde ich zum Beispiel im kommenden Jahr das Lehrprojekt „Sehen lernen: Mensch und KI im Vergleich“ beginnen, das für zwei Jahre von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert wird. Denn auch die Ausbildung von Forschenden liegt mir sehr am Herzen. Durch ihre weltweite Verfügbarkeit können DH-Methoden zudem ein breiteres Publikum ansprechen und so das öffentliche Bewusstsein und die Wertschätzung für geisteswissenschaftliche Forschung fördern, wofür etwa unsere VR-Anwendungen ein gutes Beispiel sind. Chancen und Herausforderungen Für die Digital Humanities, die ja die gesamte Breite der Geisteswissenschaften vertreten möchten, ist es nicht immer einfach, schon auf der Ebene der Begrifflichkeiten einen Überblick über die Diskurse in den einzelnen Fachdisziplinen zu gewinnen. Ebenso schwierig ist es, die aktuellen Entwicklungen in der Informatik im Auge zu behalten. Gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben auch im Bildbereich die Innovationen rasant zugenommen: Zum ersten Mal ist es möglich, nicht nur Personen und Objekte, sondern auch übergeordnete Konzepte in Bildern zu erkennen. Was möglich ist, ist jedoch nicht unbedingt wahrscheinlich. Und hier sind besonders die Digital Humanities gefordert, den Deep-Learning-Models Argumentationsstrukturen beizubringen, indem etwa Konzepte wie Ähnlichkeit oder Methoden der Hermeneutik in ihren Eigenheiten genauer bestimmt und formalisiert werden. Gleichzeitig muss aber auch der methodische und gesellschaftliche Umgang mit diesen Werkzeugen reflektiert und diskutiert werden. Eine sehr interessante und wirklich aufregende Aufgabe! Forschungsfeld Ausgehend von meiner Expertise in Technikphilosophie und Ökologie beschäftige ich mich mit der Beobachtung und Beschreibung der Genese und Transformation von Objekten und Prozessen in einer technisierten Umwelt. Die Objekte können im wissenschaftlichen Kontext entstanden sein und für die Alltagspraxis relevant werden, die Prozesse epistemischer, technischer oder sozioökologischer Art sein. Mit der technisierten Umwelt sind in meiner Forschung Beziehungsgefüge von Natur, Technik und Mensch gemeint. Solche Beziehungsgefüge bieten sich an als produktiver Denk- und Aktionsraum, in dem Fragen nach der Entstehung von Entitäten aus Beziehungen und von Beziehungen aus Entitäten verfolgt werden. Sind die Objekte einfach da und gehen Relationen ein Martin Langner ist Professor für Digitale Bildund Objektwissenschaft an der Georg-AugustUniversität Göttingen. Professorin Astrid Schwarz forscht an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und fokussiert aus philosophischer Perspektive auf Natur-Mensch-TechnikRelationen. Foto: Institut für Digital Humanities/ Firmin-Forster

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