Forschung & Lehre 12|23 938 LESEFORUM Zustimmung und Widerspruch Heft 10/23: Wissenschaftliche Arbeit ist nicht „neutral“ Korrelationen Wir beziehen uns auf den Artikel von D. Baumgarten und N. Biller-Andorno („B&B“). B&B zeihen uns der Ignoranz. Und in der Tat: Wir haben, als wir einen kritischen Aufsatz unter dem Titel „Diversität und Diversion“ in F&L 4/23 veröffentlichten, einige bibliometrische Publikationen, die, um den Wert oder Unwert der Diversität für die wissenschaftliche Exzellenz zu belegen, gern zitiert werden, schlicht ignoriert. Aus guten Gründen. Eine sachkundige Dekonstruktion dieser Publikationen findet der geneigte Leser in einem langen Aufsatz von W. Krischke in der FAZ („Vom Nutzen und Nachteil der Vielfalt“, 4.5.2023). Die Quintessenz dort ist, dass es zur Erfassung der diversen Diversitätsdimensionen der Autoren einer wissenschaftlichen Publikation, vom Geschlecht über Gender über „race and creed“ bis hin zur intersektionalen Überkreuztheit, gar keine zuverlässigen, reproduzierbaren Methoden oder Metriken gibt und dass – wie in all diesen bibliometrischen Studien – endlich ganz unklar bleiben muss, was irgendwelche Korrelationen aussagen. Die personelle Diversität einer Arbeitsgruppe mag die Ursache ihrer Exzellenz sein, ebenso aber auch deren Folge, indem exzellente Arbeitsgruppen ebenso hervorragendes Personal anziehen. Und Genies gibt’s in diversesten geschlechtlichen und soziokulturellen Verfasstheiten. B&B aber zitieren DORA, die San Francisco Declaration on Research Assessment von 2012, und behaupten, es seien seither „volumenorientierte Maßstäbe wissenschaftlicher Leistungen passé.“ Läse man DORA, würde man feststellen, dass es dort gar nicht um „Volumenorientierung“, sondern um die Kritik eines bestimmten bibliometrischen Maßstabs, nämlich des journal impact factors geht. B&B, in einer eleganten Kehrtwende um 180°, halten uns dann eine Publikation von Yang Yang et. al. von 2022 vor („Gender-diverse teams produce more novel and higher-impact scientific ideas“, PNAS) die, strikt volumetrisch (6,6 Millionen Publikationen), strikt bibliometrisch (Zitationshäufigkeiten und „impact“) und strikt statistisch (Korrelationen etc.) das zu belegen behauptet, was der Titel der Publikation verkündet. Doch die Publikation, läse man sie nur, zeigt vor allem, dass der „impact“ einer Veröffentlichung vor allem mit der schieren Größe der Autorengruppe stark positiv korreliert. Die Korrelationskoeffizienz zwischen der „gender-diversity“ des Autorenteams und dem „impact“ der jeweiligen Veröffentlichung aber liegt bei nur etwa 0.03, und das ist – sit venia verbo – ein statistischer Flatus, selbst wenn er signifikant sein sollte. Nun gut, der Flatus ist in der Welt und zitabel. Freilich gibt es auch andere Publikationen (z.B.: Schneid et al., 2015 Int. J. Human Res. Management) die, mit ähnlich lächerlichen Korrelationskoeffizienten, in die Gegenrichtung, nämlich hin auf den Unwert der Diversität, zu stänkern versuchen. Auch diese Publikation wäre zitabel, aber man pickt sich, je nach politischem Standpunkt, halt gerne die Rosinchen, und seien sie noch so mickrig. Hauptsache, sie riechen der eigenen Nase gut. Wir bleiben dabei: Wir haben keine soliden „Data“ zur Diversität, wir haben nur „Desiderata“, mithin Wünsche, die die Väter der Gedanken sind. Wir haben wackelige, um nicht zu sagen: bedeutungslose Korrelationen, die in beide Richtungen weisen, von Kausalitäten kann keine Rede sein. Wissenschaftliche Arbeit ist, in ihrem innersten Wesen, „neutral“. Es ist den Gesetzmäßigkeiten der Schwerkraft egal, ob sie von Galileos Frau oder Newtons Urgroßvater entdeckt wurden. Die Wahrheit ist nackend und eins, und wer sie mit den bunten Mäntelchen der Diversität bekleidet, huldigt nicht ihr, sondern seinen modischen Perspektiven auf sie. Professor Dr. Josef Pfeilschifter und Professor Dr. Helmut Wicht, Goethe-Universität Frankfurt am Main Heft 9/23: Zerstört, eingefroren und ausgesetzt Größerer Einfluss Der sehr russozentrische Artikel beantwortet die Frage „Was passiert an und mit den Slawistik-Instituten in Deutschland seit dem russischen Überfall auf die Ukraine?“ leider gar nicht, da nur nach den Sanktionen gefragt wurde. Denn wir haben ja nicht nur russische, sondern auch ukrainische Kooperationspartnerinnen und -partner, was im Artikel aber gar nicht vorkommt. Diese haben 2022 zum Teil Forschung und Lehre eingestellt, um mit der Kalaschnikow ihr Land zu verteidigen, verbringen einen großen Teil ihrer Zeit in Kellern und U-Bahn-Stationen, wo sie um ihre Bibliotheken fürchten, von denen bisher 610 ganz oder teilweise zerstört wurden, können (wenn männlich) das Land nicht verlassen oder sind (wenn weiblich) hunderte Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt und oftmals an unsere deutschen Institute geflohen, wo wir versuchen, ihnen zu Stellen oder Stipendien zu verhelfen. Das hat einen deutlich größeren Einfluss auf unsere Institute als die Sanktionen gegen Russland. Das Projekt meiner Mitarbeiterin zur Russischen Gebärdensprache, das im Artikel als ungelöstes Problem erscheint, kann so dank zwanzig nach Köln geflüchteter tauber Ukrainerinnen und Ukrainer sehr sinnvoll fortgeführt werden. Den im Artikel postulierten Vertrauensverlust gegenüber Russland sehe ich nicht: Die russischen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite, waren auch vor 2022 zumeist putinkritisch eingestellt, viele von ihnen befinden sich inzwischen nicht mehr in Russland. Putins Regime habe ich schon 1999, als ich in Moskau war, während der Geheimdienst der Russischen Föderation FSB dort Hochhäuser und mit ihnen 367 Menschen in die Luft sprengte und das „tschetschenischen Terroristen“ in die Schuhe schob, nicht vertraut. Professor Daniel Bunčić, Universität zu Köln
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