Forschung & Lehre 09/2023

660 GLOBAL HEALTH Forschung & Lehre 9|23 “Eine ethische Verpflichtung der Industrieländer” Zur Finanzierung von globaler Gesundheit Forschung & Lehre: Herr Professor Schreyögg, Sie forschen zur Finanzierung und Qualität von Gesundheitseinrichtungen. Wie stark ist der Widerspruch zwischen der Gesundheit Einzelner und wirtschaftlichen Interessen? Jonas Schreyögg: Die Weiterentwicklung von Gesundheitssystemen ist immer eine soziale wie wirtschaftliche Frage. Es geht darum, vorhandene Ressourcen so einzusetzen, dass sie einen größtmöglichen Nutzen für Patientinnen und Patienten haben. Dafür eine Lösung zu finden, ist die zentrale Aufgabe in der Gesundheitsökonomie. F&L: Der Fokus der Gesundheitsversorgung liegt nicht auf der Vorbeugung von Krankheiten, sondern ihrer Heilung. Viele Firmen verdienen damit ihr Geld. Ist ihr Einfluss zu groß? Jonas Schreyögg: Der Grund für eine zurückhaltende Präventionspolitik liegt aus meiner Sicht darin, dass Prävention nur teilweise dem Gesundheitswesen zugeordnet werden kann. Vieles betrifft individuelle Entscheidungen, gerade in der sogenannten Primärprävention. Diese zielt auf die Förderung eines gesunden Lebensstils ohne direkten Bezug zu einer Krankheit, etwa über eine ausgewogene Ernährung oder regelmäßige Bewegung. Diese Art der Gesundheitsförderung ist schlechter quantifizierbar als die Vorsorge von einzelnen Erkrankungen. Politikerinnen und Politiker können die Notwendigkeit von Verhaltensänderungen dadurch schwer begründen. Hinzu kommt, dass die Politik in Deutschland insgesamt zurückhaltend darin ist, Menschen zu sagen, was sie zu tun haben. Sie konzentriert sich auf die Sekundärprävention, zu der etwa Vorsorgeuntersuchungen wie Krebsscreenings oder Schutzimpfungen gehören. Eine mutige Primärprävention würde mit weniger Geld viel mehr bewirken. F&L: Wie kann eine staatliche Gesundheitsförderung ohne Vorschriften aussehen? Jonas Schreyögg: In Singapur hängen auf Litfaßsäulen staatliche Empfehlungen, wie sich Bürgerinnen und Bürger verhalten sollten, um möglichst gesund zu leben. Solche Kampagnen würden sich auch für Deutschland lohnen. Die staatlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf sind in Ländern mit einer starken Informationspolitik oftmals niedriger als etwa in Deutschland. Während der Corona-Pandemie haben wir an der Impfkampagne gesehen, dass Deutschland dabei sehr zurückhaltend ist. Im öffentlichen Straßenbild war von der Impfkampagne kaum etwas zu sehen. Länder wie Großbritannien haben dagegen sehr prominent im öffentlichen Raum für das Impfen geworben. Dies hat sicherlich auch die hohe Impfquote dort befördert. F&L: Deutschland kann sich vergleichsweise hohe Ausgaben leisten. Viele Länder, mit denen Deutsche kooperieren, können das nicht. Welche Verantwortung haben Firmen hierzulande für die Gesundheit von Menschen in Ländern, in denen sie etwa Produktionsstätten haben? Jonas Schreyögg: Pharmaunternehmen sehen sich sowohl als Unternehmen als auch als Entwickler. Sie haben ein handfestes wirtschaftliches Interesse, Profit zu machen und schaffen gleichzeitig in vielen Fällen vor Ort Arbeitsplätze, produzieren Arzneimittel und verbessern den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Durch Regulierung muss dies in geordnete Bahnen gelenkt werden. Wenn Firmen beispielsweise klinische Studien für ein Arzneimittel in einem Land durchführen, sollte die Bevölkerung im Anschluss auch Zugang zu diesem Arzneimittel haben. F&L: Wie sollte diese Regulierung aussehen? Jonas Schreyögg: Bestimmte Erkrankungen sind wirtschaftlich attraktiver | IM GESPRÄCH | Soziale und wirtschaftliche Fragen hängen bei der Gestaltung von Gesundheitssystemen eng zusammen. Welche Konsequenzen hat das für die Gesundheitsversorgung und welche Verantwortung tragen Staaten und Firmen? Fragen an einen Gesundheitsökonomen. Jonas Schreyöggist Professor und wirtschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics an der Universität Hamburg. Foto: Universität Hamburg

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