Forschung & Lehre 12/2023

Forschung & Lehre 12|23 912 FORSCHUNGSFELDER IM WANDEL Auf das intrinsische Erkenntnisinteresse vertrauen? Zur Lage der Forschungsförderung abseits bekannter Pfade in Deutschland Forschung & Lehre: Herr Dr. Bornefeld, wir sprechen über Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit unkonventionellen Ideen abseits des Mainstreams. Wie hat sich deren Förderung in den letzten Jahren entwickelt? Gero Bornefeld: Es hat sich in den letzten Jahren nicht viel getan, das heißt, es gibt weiterhin wenige Formate auf nationaler wie europäischer Ebene. Neue und unkonventionelle Ideen haben es nach wie vor sehr schwer. Die Bewilligungsquote eingereichter Förderanträge in diesem Segment ist erschreckend gering. Interdisziplinäre Verbünde haben zudem Schwierigkeiten, wenn sie neue Themen angehen wollen, die noch nicht auf einer jahrelangen Zusammenarbeit basieren. Diese Konsortien fühlen sich manchmal von den Gutachtenden nicht richtig verstanden oder es besteht der Eindruck, dass die Begutachtungsgruppe nicht optimal zusammengesetzt war. F&L: Woran liegt das? Gero Bornefeld: Insgesamt fehlt es an Risikobereitschaft und vielleicht auch an Vertrauen bei den großen Geldgebern. Wir sollten mehr Ideen abseits eingetretener Pfade und deren Förderung zulassen. Wie ein Kommentar-Artikel bei Nature zeigt, hat traditionelle Forschungsförderung oft einen „Innovation Bias“, das heißt, es werden eher inkrementelle Forschungsansätze gefördert, weil diese sich besser bewerten lassen als diejenigen, die als bahnbrechend angekündigt werden (https://www.nature. com/articles/s41562-023-01649-y). Zudem gibt es weitere mögliche Falltüren, zum Beispiel Seniorität, das Standing in der Community, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation, die – bewusst oder unbewusst – die Auswahlprozesse bei der Förderentscheidung beeinflussen können. Auch rein fachlich können Bewilligungen nicht immer nur auf eindeutiger Evidenz basieren. Es sind Bewertungen, die sich bei unterschiedlichen Gutachtenden auch deutlich unterscheiden können. F&L: Welche Ideen werden diskutiert, damit sich diese Situation verändert? Gero Bornefeld: Es gibt Ansätze für neue Verfahren, die in der Wissenschaftsöffentlichkeit vermehrt gefordert werden, aber bisher nur in Einzelfällen und noch nicht von den großen Forschungsförderern wie der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder der EU getestet werden. Hierzu zählt das Losverfahren: Wenn es nach Bewertung aller Förderkriterien zu viele förderfähige Anträge gibt, die allerdings so gut sind, dass die Entscheidung für oder gegen einen Antrag gegebenenfalls willkürlich erscheinen könnte, entscheidet das Los über die Förderung. Das würde weitere aufwändige Begutachtungen erübrigen. Oder man lässt bereits in einem früheren Stadium das Los entscheiden. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass alle verzerrenden Vorannahmen, wie Renommee, Alter, Geschlecht und Nationalität ausgeschaltet werden können. Es ist damit in gewisser Weise ein gerechteres Verfahren. Eine andere Möglichkeit bietet das sogenannte „Golden Ticket“, ein Pilotprojekt der National Science Foundation der USA. Es befugt einzelne Gutachterinnen und Gutachter dazu, Forschungsanträge auch dann zu bewilligen, wenn im Begutachtungsverfahren kein Konsens besteht. Damit soll vermieden werden, dass nur die am wenigsten umstrittenen Anträge unterstützt werden. Diese Art „Wildcard“ könnte aber auch zu einer Art von Patronage führen. F&L: Wo sehen Sie Handlungsbedarf von Seiten der Politik? Gero Bornefeld: Von Bundes- oder Landesministerien sind vielleicht nicht als Erstes Impulse zu erwarten, da hier die Politik über die Programmforschung die großen Themen definiert, was in einer hochdifferenzierten Förderlandschaft sicher auch seine Berechtigung hat. Es sollten allerdings insgesamt mehr Mittel in die Grundausstattung der Hochschu- | IM GESPRÄCH | Die Förderung interdisziplinärer und über die Fächergrenzen hinausgehender Forschung bleibt nach wie vor eine Herausforderung. Woran mangelt es und was kann verbessert werden? Eine Bestandsaufnahme. Dr.-Ing. Gero Bornefeldist Abteilungsleiter im Forschungsdezernat an der RWTH Aachen.

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