Forschung & Lehre 12/2023

12|23 Forschung & Lehre 915 WETTBEWERB Universitäten als Wettbewerbsakteure Der Wettbewerb in der Wissenschaft als Wettbewerb zwischen individuellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird zunehmend überlagert durch Universitäten als Wettbewerbsakteure. Zahlreiche Studien aus den letzten zwei bis drei Jahrzehnten belegen, dass Universitäten sich in ganz unterschiedlichen nationalen Systemen als eigenständige, strategisch orientierte Wettbewerbsakteure positionieren. Dieser Trend, der in den USA schon deutlich früher begann, ist vor allem in Europa, aber auch z.B. in Asien und Lateinamerika deutlich zu beobachten. Die Universität ist in diesem Sinne mehr als die Summe ihrer Teile, und die dezentral organisierte Expertenorganisation wird durch universitätsweite und zentral organisierte Strategiebildungsprozesse überlagert, in deren Rahmen unterschiedliche Profilbildungs- und Positionierungsprozesse in unterschiedlichen Wettbewerben um knappe Güter stattfinden. Leitbilder, Kennzahlen, interne Wettbewerbe sowie das Anwachsen strategisch orientierter Verwaltungsabteilungen (Controlling, Forschungsförderung und -information, Öffentlichkeitsarbeit etc.) sind ebenso Ausdruck dieser Entwicklung wie die Zunahme an Handlungsund Entscheidungskompetenzen auf der Ebene der Universitätsleitungen. Die Universität als Organisation fungiert hier vielfach als Scharnier zwischen ihrer gesellschaftlichen, insbesondere staatlichen Umwelt und ihren wissenschaftlichen Organisationseinheiten und Mitgliedern. Die Rolle des Staates im multiplen Wettbewerb Von besonderer Bedeutung sind – neben den Veränderungen auf der individuellen und universitären Ebene – Veränderungen, die die Rolle des Staates im multiplen Wettbewerb betreffen. Auch hier ist Deutschland in übergreifende, transnationale Entwicklungen eingebettet wie dem New Public Management, das explizit auf eine stärkere staatliche Wettbewerbssteuerung setzt. Der Staat gibt in diesem Rahmen, zugespitzt formuliert, nicht mehr lediglich die Rahmenbedingungen vor, die es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Universitäten erlauben, sich wettbewerblich zu verhalten. Er betreibt selbst eine aktive Wettbewerbssteuerung, sei es über Zielvereinbarungen und andere Governance-Instrumente, sei es über die Multiplizierung von staatlich geförderten Wettbewerben (Exzellenzinitiative bzw. -strategie, Qualitätspakt Lehre, Innovative Hochschule, TenureTrack-Programm etc.). Die hohe Legitimation des Wettbewerbsparadigmas für die staatliche Hochschul- und Wissenschaftspolitik hängt dabei mit der hohen Wettbewerbsorientierung und dem meritokratischen Selbstverständnis des Wissenschaftssystems und seiner individuellen und organisationalen Mitglieder zusammen. Auf Erfolg oder Misserfolg im Wettbewerb basierende oder sich gar verstärkende Ungleichheiten zwischen Individuen, Fächern und Universitäten haben hier eine deutlich höhere, wettbewerbliche und meritokratische Legitimation als Ungleichheiten in anderen Politikbereichen, wie etwa der Sozial- und Gesundheitspolitik, denn letztere dient gerade dazu, von Seiten des Staates gesellschaftliche Ungleichheiten abzuschwächen. Für Deutschland spielt hierzu zudem die föderale Struktur der Hochschul- und Wissenschaftspolitik eine Rolle, die zur Multiplizierung von staatlich geförderten Wettbewerben führt. Einerseits sind die Steuerungsmöglichkeiten des Bundes über das Medium „Recht“ aufgrund des Bildungsföderalismus sehr begrenzt, während das Medium „Geld“ keinen derartigen Restriktionen unterliegt und für eine kaum noch überschaubare Anzahl an Wettbewerben genutzt wird. Andererseits ziehen staatliche Wettbewerbe, die vor allem durch den Bund zustande kommen, Landeswettbewerbe nach sich, mit denen einzelne Bundesländer – man denke hier zum Beispiel an das hessische LOEWE-Programm zur Förderung von Spitzenforschung – versuchen, „ihre“ Universitäten auch mit Blick auf landesübergreifende Wettbewerbe besser zu positionieren; ebenso wird das Instrument der Zielvereinbarungen von Seiten der Landesministerien gerade mit Blick auf die Exzellenzstrategie umfassend eingesetzt. Staatlich initiierte Wettbewerbe in Forschung und Lehre Das Zusammenspiel der individuellen, organisationalen und staatlichen Akteure und ihre jeweiligen Wettbewerbspositionierungen führt zu erheblichen Dynamiken und Folgewirkungen. Diese werden die Hochschul- und Wissenschaftsentwicklung auf vielfältige Art und Weise prägen. Ein Aspekt dieser Entwicklung ist dabei die interne Governance von Hochschulen, die sich dadurch verändert, dass Wettbewerb zunehmend als staatliches Governance-Instrument eingesetzt wird. Die Zusammenhänge von multiplem Wettbewerb, staatlicher Governance und hochschulinterner Governance lassen sich verdeutlichen, wenn man sich staatlich initiierte Wettbewerbe in Forschung und Lehre genauer anschaut. Die staatliche Governance über den Wettbewerb in Deutschland spiegelt sich in der deutlichen Zunahme von Ausschreibungswettbewerben wider, die den „bottom up“-Wettbewerb um wissenschaftliche Erkenntnisse und Reputation überlagern und ergänzen. Konkrete, zeitlich und formal klar umrissene Ausschreibungswettbewerbe, die sich an Universitäten richten, betreffen in erheblichem Maße auch Forschung und Lehre als ihre Kernfunktionen. Mit der Exzellenzinitiative (ExIn) des Bundes und der Länder sowie dem Qualitätspakt Lehre (QPL) wurden den Hochschulen insgesamt 6,6 Milliarden Euro – seit 2006 4,6 Milliarden für die Exzellenzinitiative, seit 2011 2 Milliarden für den Qualitätspakt Lehre – zur Verfügung gestellt. Beide Initiativen werden in anderen Formaten, als Exzellenzstrategie und über die Gründung der Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“, fortgeführt. ExIn und QPL als zwei thematisch unterschiedliche Ausschreibungswettbewerbe versetzen Universitäten in einen multiplen Wettbewerb um die entsprechenden Fördermittel. Im Hinblick auf die Folgen für interne Governance zeigen sich auffällige Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen beiden Ausschreibungswettbewerben. Sowohl die ExIn als auch der QPL führen als externe Wettbewerbe auch zur stärkeren universitätsinternen Nutzung von Wettbewerb als Modus der Governance, da für beide Ausschreibungen von Seiten der Hochschulleitung und -verwaltung interne Wettbewerbe initiiert und durchgeführt werden. Auch darüber hinaus nehmen Hochschulleitung und -verwaltung in diesen Wettbewerben, die sich mit Forschung und Lehre auf die Kerntätigkeiten der akademischen »Neuere Analysen zeigen, dass der wissenschaftliche Reputationswettbewerb deutlichen Veränderungen unterworfen ist.«

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